Lümmel oder Lord? Hauptsache individuell!

Rückblick

1966 war die Fußballwelt Englands noch in Ordnung. (Bild: Adobe Stock)

Autor: Markus Oess

Der Blick zurück offenbart: Der Wunsch nach Individualität prägte auch da die Mode. Aber vor 50 Jahren herrschte noch schlichte Zuversicht auf der Messe.

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Selbst eingefleischte Fußballverweigerer werden das Jahr 1966 nicht aus ihrer Erinnerung löschen können. Im Finale der Fußball-Weltmeisterschaft im legendären Wembley-Stadion unterlag Deutschland England nach einem Tor, das es hierzulande auf mehr TV-Zeitlupen gebracht haben dürfte als die meisten Endspieltreffer einer Fußball-WM am Ende mit 2:4. Modisch konnte der Mann nach Ansicht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung vor 50 Jahren schnell und einfach ein Statement abgeben: „Lord oder Lümmel, Pear oder Playboy – die Möglichkeiten eines Mannes kommen jetzt auf den ersten Blick zum Vorschein: Das ‚Anzugbild‘ 1966 schafft Klarheit, die ‚neue Optik‘ verrät den Charakter, die Tristesse der Männermode soll wieder einmal verschwinden – kurz: In der Herren- und Knaben-Oberbekleidungsindustrie werden starke Erneuerungsbewegungen beobachtet“, heißt es in einem Bericht über die modischen Trends, die in der Kölner Bastei auf dem Laufsteg gezeigt wurden: „Die Dressmen, die in diesen Tagen (…) auf dem Laufsteg tändelten und die neuen Modelle für Frühjahr und Sommer vorführten, wiesen willigen Käufern zwei Richtungen: die eine jugendlich bewegt, in fantasievollen Formen, Sakkos in großen Karos, Schlipse in wilden Farben, Sportanzüge ‚für flotte drei Wochen Urlaub‘, modische Blazer im Streifen-Dessin. Und die andere: Wer will, kann auch piekfein sein; so kamen die Dressmen im ‚Country Style‘ als Landedelleute gewandelt, hochgeschlossen, ‚englisch-konservativ‘, mit viel Taille und glockig ausschwingender Hüftpartie.

Und um zu vermeiden, wie eine „Sanduhr“ auszusehen, schließlich war seinerzeit wie heute die „schlanke Linie“ angesagt, mussten nach Einschätzung eines Beobachters vom Einzelhandelsverband „Schulter, Brustpartie, Taille, Hose fließen“. Die Herrenmode 1966 war körpernah und farbenfroh. „Muskat“ und „Rauchblau“ wurden gern getragen. Doch macht die Journalistin dann doch noch eine Feststellung, an die sich die Branche hin und wieder voller Wehmut erinnert. Denn die Mode war „vor allem jugendlich. ‚Da ist Wechsel drin, da ist Leben drin‘, schwärmten die Leute vom Fach. Und da ist vor allem Umsatz drin. Ohne Umschweife und Zurückhaltung gaben sie zu, dass es der Herrenbekleidungsbranche noch nie so gut gegangen sei wie jetzt. Das hinge, so wurde erklärt, mit dem rasanten Tempo des modernen Lebens zusammen, das nun auch den Männeranzug ergriffen hat.“ Junge Herren wünschten jetzt eine Twist-Hose, morgen eine Slop-Hose und übermorgen ein Shake-Beinkleid. Das sei der „wunderbare Hang der Jugend zu individualistischer Kleidung“. Das letzte Fußballmatch der Three Lions im altehrwürdigen Wembley-Stadion im Oktober 2000 ging übrigens ebenfalls gegen Deutschland. Am Ende stand es 1:0 für Deutschland und Didi Hamann war der letzte Fußballer, der in der Arena einnetzte. Sie wurde 2003 abgerissen. „Hamann schwang die Abrissbirne für Wembley“, konstatierte „The Independent on Sunday“ damals.

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