Mannsbilder in der Königsklasse

Trend & Analyse

Vision Mann – Hilfiger interpretierte auf der Pitti Uomo die Zukunft digital. Bild: Oess

Autor: Winfried Rollmann

Bei der Pitti Uomo in Florenz macht die Branche jede Saison Station, um der Männermode den Puls zu fühlen. Hier trifft sich die Königsklasse der Zunft und es lohnt sich schon, etwas genauer hinzuschauen. Vieles, was morgen im Mainstream auf der Straße stattfindet, wird hier vorgedacht – ein Blick in die nahe Zukunft.

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Die Key Message von Florenz ist das gekonnte Mischen von Streetwear, Sportswear und sartorialer Perfektion. Wie beim Kochen nützt es wenig, nur die Ingredienzien zu kennen, ohne Rezept ist man in der Regel aufgeschmissen. So läuft es auch bei modernen Menswear-Looks. Ein von Kopf bis Fuß durchgängiger Look wirkt langweilig. Es sind die Brüche, die Fashionstatements authentischer, individueller und überzeugender machen. Wer denkt, er könnte mit einem Paar weißer Sneaker seine Business-Garderobe schlüssig modernisieren, täuscht sich. Es ist wesentlich komplexer und spannender. Menswear hat einen Freiheitsgrad erreicht, der noch vor wenigen Saisons kaum vorstellbar war. Männern gefällt diese neue Freiheit und sie genießen es mehr und mehr, sich mit ihrem Styling auseinanderzusetzen. Sie sind oft weiter als die vielerorts angebotenen Sortimente. Die Branche ist gut beraten, sich dieser Chance bewusst zu werden und sie kreativer zu nutzen als in der Vergangenheit.

The Modernist

„Contemporary Dressing“ ist das Zauberwort, angestaubte Dresscodes der Klassik hinter sich zu lassen und Business-Looks zeitgemäß neu zu definieren. Es geht um nichts mehr als um eine smarte Männergarderobe, die mit beiden Beinen in der Moderne steht. Wie sieht sie aus? Mantel, Anzug oder Sakko spielen darin weiter ihre Hauptrolle. Sie sind klarer und geradlinig schlank geschnitten, haben wieder mehr Schulterappeal und bedienen den Anspruch nach wertiger Smartness. Entkrampft werden sie durch den Sweater. Statt mit Hemd und Krawatte machen T-Shirt und Rundhalspulli oder der Aufsteiger Rollkragenpullover einen lässigeren Look daraus. Wenn dann noch Caps oder Beanies dazu kombiniert werden, braucht es nicht immer den Sneaker, um Looks cool zu inszenieren. Wichtig ist die Veränderung der Hosensilhouette. Statt extraslim lockern Bundfalten Hüftbereich und Oberschenkel auf, um dann zum Saum hin schmal und kurz auszulaufen. Diese neuen Shapes werden selbst in Denim geschneidert. Eine stilistische Key Message ist die Zweireiher-Front. Ob im geraden Blazermantel oder im Jackett zeigt die doppelte Knopfreihe Präsenz. Sie setzt in Stoffen Streifenbilder wieder neu in Szene. Als Webbilder haben sie eine große Zukunft vor sich. Aber auch dazu kombiniert der Modernist eher ein Statement-T-Shirt als Hemd mit Schlips.

Man at Work

Soll es entspannter, casualiger sein haben authentische Workwear-Vorbilder einen entscheidenden Einfluss. Indigo bleibt der Stoff, aus dem die Träume sind. Ob in Unikat-gefinishten Denims mit Used und Repaired Detailing oder in diskret gemusterten Indigo-Hemden, der Blue Spirit ist immer dabei. Dazu gesellt sich Workwear, wie aus den Arbeitermilieus des 19. Jahrhunderts. Westen mit Stehkragenhemden oder Stresemannstreifen in gewaschenen Qualitäten sehen aus, wie auf den Schwarz-Weiß-Fotografien eines August Sander. Muster wie Glencheck oder Fischgrat sind verwischt oder angewalkt und strahlen eine selbstverständliche Authentizität aus. Als modischer Newcomer gehört der gewaschene Manchester-Cord auf der Orderliste. Modisch perfekt setzt er sich als zweireihiger Trenchcoat lässig in Szene. Dabei steht Mann mit toughen Schnürboots mit beiden Beinen im Leben. Bei Accessoires sind große Schals und Plaids als Seelenwärmer wieder en vogue.

Countryman

Auch wenn die Briten jetzt bald in Europa politisch den Anker lichten, bleibt ihr Einfluss auf die Männermode ungebrochen. Nach dem Vorbild des englischen Countryman haben Tweeds, Donegals und verwalkte Checks Hochkonjunktur. In natürlichen Holzbraun- und Forestgrün-Tönen wirken sie in ausgestellten Raglan-Coats, Sportsakkos oder Westen attraktiv. Eine Prise Farb- und Muster-Exzentrik mischt die Traditionals mit Ironie gekonnt auf. Das subversive Augenzwinkern von narrativen Shirtprints oder ornamentalen Hippie-Schals ist ein genauso gekonntes Tuning der Brit-Attitüde wie vielfarbig gemusterter Strick. Als Ironie ist sicher auch das Auftauchen allover „verpillter“ Pullover, die Italiener nennen das Finish „Casentino“, zu verstehen. Nördlich der Alpen dürfte sich das Verständnis dafür jedoch eher in Grenzen halten. Das visuell starke Thema mit Detailreichtum und üppiger Accessoirierung hat nächsten Winter ein großes Potenzial für Merchandising und modisches Storytelling.

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Defender

Military- und Utilitary-Anleihen sind bei tougher Outerwear schon immer ein großes Thema gewesen. Für den nächsten Winter ist ihr Einfluss unübersehbar. Cabans, Fieldjackets, Bomber, Military-Chinos und selbst Combatpants werden das Bild bestimmen. Die Farben Oliv und Kaki werden fast immer von einem warmen Goldton begleitet, der nicht zu „senfig“ sein sollte. Als Musterung ist Camouflage ein Dauerbrenner. Die Tarnmuster wirken frisch, wenn sie tonal in Jacquards oder als abstrahierte Muster gespielt werden. Hier ist Einfallsreichtum gefragt. Spannend sind die reich mit Lammfell und Daunenwesten ausgestatteten Parkas, die Winter zum Vergnügen machen. Die Outdoorsegmente dürften von der Vielfalt im Jackenbereich profitieren.

Mountain High


„Auf in die Berge!“, hätte eines der modischen Mottos der Pitti sein können. Authentische Outdoor-Sportlichkeit wurde gekonnt in wattierten Retro-Skijacken interpretiert. Das typische Platzieren von kontrastierenden Sportstreifen und hellen Plastikzippern macht das Thema augenfällig. Echte Funktion bleibt ein Hauptargument der Angebote. Ultraleichtigkeit, Elastizität und multipler Komfort sind heute der Schlüssel zum Erfolg. Das Patchen von Neopren und Leichtdaune ist ein perfektes Beispiel. Dabei wird Hightech optisch nicht mehr so in den Vordergrund gespielt. Warenoberflächen sind oft matt und haben eher angenehme Griffe als ihre störrisch glänzenden Vorgänger. Bei Strick und Wirkware markieren plakative Streifen und Bold Checks die Looks. Zu den plakativen Mustern gesellen sich knackige Farben wie Rot und Orange. Sie dynamisieren Grau, Schwarz und Kaki. Sneaker gewinnen mit „Flyknit“-Techniken, Ultraleichtsohlen und Neopreneinsätzen an Funktionalität. Wers authentischer mag, kann sich für eine der zahlreichen Mountain-Boot-Varianten entscheiden.