Fertig ist besser als perfekt

Autor: Markus Oess

„Es braucht Mut, es bedeutet auch, Routiniertes zu hinterfragen“,
schreiben die beiden KATAG-Vorstände Angelika Schindler-Obenhaus und Dr. Daniel Terberger als Grußworte der Cheftagung 2017 „Zeit für Experimente“. Mut, die richtigen Entscheidungen zu treffen, damit die Digitalisierung am stationären Handel nicht einfach vorbeizieht. Inzwischen, sagt Dr. Terberger mit Blick auf die aktuelle Situation, sei die Instabilität zum Normalzustand geworden. Terror, Populismus und die Abkehr von sicher geglaubten Werten bestimmten inzwischen den Alltag.

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Auch in der Textilbranche werde es zusehends schwieriger, gute Ergebnisse zu erzielen, so der KATAG-Chef. Von sechs Mittelstandsanleihen wurden fünf nicht zurückbezahlt. Einstmals starke Firmen kommen ins Trudeln und werden zum Opfer eines Strukturwandels. Player wie PRIMARK und INDITEX sind die Sieger und über allen schwebt amazon mit einem Umsatzsprung von 19 Milliarden Euro allein im vergangenen Geschäftsjahr. Umsatz, den andere im Markt verloren haben, wir leben in einem Verdrängungswettbewerb. Der KATAG-Chef sieht eine Welle der Technologisierung auf den Handel zurollen. Die elektronische Regalverlängerung, Self-Checkout-Kassen und selbst Dynamic Pricing würden zu konkreten Alternativen im Handel. Gleichzeitig gewinne der Umgang mit mobilen Endgeräten auch beim Konsum weiter an Bedeutung und die Menschen nutzten auch unterwegs selbstverständlich bewegte Bilder. Darauf müsse sich der Handel einstellen und die Menschen in der direkten Eins-zu-eins-Kommunikation ansprechen.

Dabei rücke die Gewinnung von Kundendaten und deren Aufbereitung ins Zentrum des Geschehens. Big Data und der digitale Zugang zum Kunden würden zu kritischen Faktoren. Dass gleichzeitig die Internet-Giganten Facebook, Google und amazon die Hand auf den Konsumenten hielten, mache es nicht eben einfacher. Andererseits böte der Trend zum „neuen Wohlfühlen“ auch Chancen, wenn es stationären Händlern gelänge, im Laden die richtigen Antworten zu geben und den Einkauf mit Angeboten wie hochwertige Gastronomie aufzuladen. Schließlich werde das Credo „See now, buy now“ dazu führen müssen, dass Handel und Industrie die Wertschöpfungskette neu definieren beziehungsweise näher an den Kunden bringen, um mit den besten Vertikalen wie INDITEX mithalten zu können. Den Transformationsprozess hätten wir schon in großen Teilen hinter uns. Die Firmen, die sich durchgesetzt hätten und nicht unter den Schutzschirm geschlüpft seien, würden in der Lage sein, die Zukunft zu gestalten. „Fertig ist besser als perfekt“, ruft Dr. Terberger dazu auf, gemeinsam mit konkreten Schritten die Digitalisierung und den Wandel anzugehen.

Nostalgie sei kein Geschäftsmodell, sagt Dr. Terberger gegenüber FT. Der Handel müsse sich den neuen Technologien öffnen, um nicht von der Digitalisierung überrollt zu werden.

FT: Herr Dr. Terberger, Sie sprachen bei der Eröffnung der Cheftagung von der Renaissance des Fachhandels und der Wiederentdeckung des Wholesales bei der Industrie. Andererseits passieren die Veränderungen im Markt in einer bislang nicht gekannten Dramatik und Dynamik. Ist es wirklich eine Renaissance oder für einige doch nur ein Rettungsanker?

Dr. Daniel Terberger: „Wir sehen eine Neuorientierung in der Industrie, nachdem sich manche – ohne arrogant sein zu wollen – auf einem Irrweg befanden, in dem Glauben, mit eigenen Stores nicht nur Umsatz-, sondern auch Gewinnwachstum generieren zu können. Richtig ist, dass man mit Stores Umsatzwachstum generieren kann. Das ist aber nicht gleichzusetzen mit einem garantierten Gewinnwachstum. Leider haben das manche Lieferanten nicht oder zu spät realisiert. Jetzt werden oft im eigenen Retail der Industrie unrentable Läden geschlossen beziehungsweise neue nicht mehr eröffnet und möglicherweise das so frei werdende Geld für die Handelspartner investiert. Es wird eine alte Liebe aufgefrischt und das tut beiden Seiten gut.“

Die mobile Interaktion und das bewegte Bild werden wichtiger, gleichzeitig aber halten Google, Facebook und Co die Hand auf den Zugang zum Verbraucher. Wie sollte der Handel reagieren, zumal amazon auf den stationären Markt drängt und neue Branchen besetzt wie Lebensmittelhandel oder Drogeriemärkte? Wie geht die KATAG mit dieser Situation um?

„Es gibt kein Patentrezept, aber Nostalgie ist kein Geschäftsmodell. Es ist eine Tatsache, dass der Verbraucher mobile Geräte besitzt und sie auch benutzt. Es ist auch eine Tatsache, dass die Bedeutung von Bewegtbildern weiter zunimmt. Diesen Tatsachen müssen wir gerecht werden. Wir bieten unseren Mitgliedern mit myVEO Instore-TV die Plattform, im Laden mit hochauflösenden Bildern zu arbeiten und für den Kunden immer wieder aufs Neue Botschaften von internationalen Marken mit den lokalen Botschaften der Händler zu verbinden. So erzeugen wir spannende Inhalte für die Endkunden vor Ort. Wir werden uns künftig noch sehr viel intensiver diesen Themen widmen müssen.“

Sie haben von Dynamic Pricing gesprochen, das im Internet schon länger praktiziert wird. Auch Big Data ist ein großes Thema. Wie lassen sich solche sensiblen Themen für den Mittelstand umsetzen?

„Bei Big Data müssen wir die Gewinnung, die rechtskonforme und sichere Speicherung und vor allem die saubere Aufbereitung der Daten bewältigen. Hier sind viele Handelspartner schon weit, einige aber auch noch nicht. Es muss uns gelingen, so viel Wissen wie möglich über die Bedürfnisse und Wünsche der Endkunden abzuleiten, um die Kunden insbesondere in den Eins-zu-eins-Beziehungen gezielt ansprechen und zufriedenstellen zu können. Im Grunde ist es das, was in früheren Tagen der Chef persönlich über seine Kunden wusste und pflegte, nur dass die Anzahl der Kundenkontakte größer und die Strukturen komplexer geworden sind.“

myVEO auf dem Weg zum digitalen Komplettangebot

Ein solcher Schritt in diese Richtung ist der vierte Baustein von myVEO, das digitale Schaufenster, das KATAG-Vorstand Angelika Schindler-Obenhaus vorgestellt hat. Händler erhalten damit die Möglichkeit, ihr Sortiment dem Kunden im Internet zu präsentieren, um ein Abwandern der Kunden zur Konkurrenz zu verhindern. Studien zeigten, dass 20 Prozent aller Online-Käufe sonntags und abends stattfänden und dort müsse man den Kunden abholen. In wenigen Wochen wird auch die Click & Collect-Funktion aufgeschaltet werden. Im Oktober/November folgt der Online-Shop. Im nächsten Jahr wird es zudem eine Lösung für mobile Endgeräte geben. Ende 2018/Anfang 2019 wollen die Bielefelder dann einen Marktplatz ähnlich dem von amazon starten.

Zu den digitalen Angeboten der KATAG sagt Angelika Schindler-Obenhaus, dass sie wenigstens 50 Händler für das digitale Schaufenster gewinnen möchte.

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Angelika-Schindler-Obenhaus, Katag-Vorstand (Bild: Katag)

FT: Frau Schindler-Obenhaus: Wie viele Händler beteiligen sich inzwischen bei myVEO?

Angelika Schindler-Obenhaus: „Das ist ganz unterschiedlich. Beim Baustein Mirror sind es 51, bei Order, also der elektronischen Regalverlängerung, 13 und bei Instore-TV 30. Jetzt kommt myVEO Web als neuer Baustein hinzu.“

Wie sieht die Resonanz bei der Industrie aus, wie viele der Lieferanten machen mit?

„Das Engagement der Industrie könnte größer sein. Umgekehrt sehen wir aber auch, dass Investitionsentscheidungen, die schnell fünfstellig werden können, gerade in der schwierigen Marktlage nicht mal eben so getroffen werden. Bei dem digitalen Schaufenster kommen wir auf 20 Industriepartner. Ich rechne aber damit, dass es dank der Kooperation mit FASHION CLOUD, die wir vor wenigen Tagen abgeschlossen haben, deutlich mehr werden. Dass Lieferanten die elektronische Regalverlängerung testen, ist wichtig, aber wir können nicht mehrere Systeme nebeneinander laufen lassen. Wir müssen in diesen Fragen auf eine Lösung kommen, mit der alle arbeiten können.“

Sie haben mit myVEO Web den vierten Baustein fertig: das digitale Schaufenster. Ist das Service oder eine Vorstufe zum Shop, der im Spätherbst dieses Jahres kommen soll?

„Wir werden in wenigen Wochen als weitere Ausbaustufe Click & Collect freischalten. Händler, die das digitale Schaufenster nutzen, müssen nicht zwangsläufig auch einen Online-Shop betreiben. Wir wollen, dass der Kunde, der sonntags oder abends digital einkaufen will, nicht zur Konkurrenz abwandert. Zu Ende gedacht, ist der Shop die logische Weiterentwicklung. Es geht um die Verfügbarkeit der Daten und wie sie verarbeitet werden können.“

Wie viele Handelspartner wollen Sie für das digitale Schaufenster gewinnen?

„Wir möchten schon um die 50 Händler bis Ende des Jahres an Bord haben. Wir dürfen die Digitalisierung nicht tatenlos verfolgen, sondern müssen diese aktiv mitgestalten.“

Es folgen als Nächstes die mobile Lösung mit einer App oder Ähnlichem sowie der Online-Shop. Was muss man sich unter dem Marktplatz vorstellen, der 2018/19 realisiert werden soll?

„Wir wollen ähnlich wie amazon einen Marktplatz schaffen, auf dem unsere Mitglieder ihr komplettes Angebot einstellen können. Stellen Sie sich vor, alle Häuser wären dabei, das wäre ein Online-Angebot, an dem die Verbraucher einfach nicht vorbeikommen.“