Streetwear ist tot, lang lebe Streetwear

Szene

Mode zwischen Kultur und Kommerz. (Bild: Adobe Stock)
Autor: Andreas Grüter

Die Streetwear-Szene wird kommerziell vereinnahmt. Verlieren die Subkulturen damit ihre Identität?

„THRASHER“-Caps in der Vogue, „RAMONES“-Shirts bei H&M und „OBEY“-Sweater an Polizeikörpern – was Anfang der 1980er-Jahre als Abgrenzung zum gesellschaftlichen Mainstream in den Tiefen des Skate-, Surf- und Punk-Undergrounds begann, scheint längst Opfer einer feindlichen Übernahme durch die ehemalige Gegnerschaft geworden zu sein. Stellt sich die Frage, wie viel Street anno 2017 noch in Streetwear steckt.

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„Früher war alles besser“  ist der Lieblingsspruch derer, die den Stillstand schon immer der Veränderung vorzogen. Im Modekontext eigentlich ein No-Go und doch lohnt es sich gerade bei einem sich anbahnenden kulturellen Paradigmenwechsel, Augen und Ohren offen zu halten. Es lohnt, die Geschichte zu studieren und die richtigen Fragen zu stellen. Beispielsweise die nach der aktuellen Relevanz eines sich ganz aus einer Indie- und Do-it-yourself-Haltung speisenden und eng mit Subkulturen vernetzten Kleidungsstils, dem ursprünglich nichts ferner lag, als irgendwann auf den Laufstegen der Fashionwelt zu landen – auf denen er dieser Tage gefeiert wird. Steven Vogel, Betreiber des Hamburger Kunst-, Textil- und Text-Mini-Imperiums BLACK LODGES und Autor des 2007 erschienenen Buchs „Streetwear“, diagnostiziert dem Sujet das zumindest inhaltliche Ableben:

„Streetwear ist eigentlich spätestens seit den 2010er-Jahren tot. Es geht nicht mehr ums Selbermachen und um Gegenkultur, sondern ausschließlich um Kommerz und Fame. Wenn man einen musikalischen Vergleich ziehen will, dann ist das Genre an dem Punkt angekommen, an dem Puff Daddy mit seiner Inhaltslosigkeit und seiner belanglosen Bling-Bling-Obsession Hip-Hop zerstört hat. Natürlich gibt es sie noch, die kleinen engagierten Garagenlabels, aber die spielen im Game keine Rolle mehr. Das wird dominiert von absurden Preisen, großen Show-off-Labelings, Marketinghypes wie VLONE und lächerlichen Kollabo-Spielereien, wie jüngst die zwischen Supreme und LOUIS VUITTON.“

Sell-out oder Re-Evolution?

Markus Buddenbrock, Betreiber von éveil, einem D.I.Y.-Brand irgendwo zwischen Fashion, Grafik und Kunst, teilt diese Meinung nur bedingt. Zwar attestiert auch er der ehemaligen Grassroots-Revolution einen gewissen Verlust der Wurzeln und verweist dabei auch auf unappetitliche Entwicklungen wie etwa Nazi-Streetwear, gleichwohl sieht er gerade für kleine Labels interessante Chancen.

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„Natürlich hat sich die Szene geändert. Wo man sich früher beweisen musste, kaufen die Kids heute ihre Identität einfach zusammen. Auf der anderen Seite hat das gestiegene Interesse an Streetwear auch vieles einfacher gemacht. Viel mehr Leute als früher experimentieren heute mit Grafik und Siebdruck und bringen Tees in Kleinstauflagen unter die Leute. Und natürlich gibt es auch noch Labels, die interessante Ansätze jenseits der Norm fahren. Auf Anhieb fallen mir da 40s & Shorties ein, die sich gerne auch politische Themen vornehmen, OnlyNY, BRAIN DEAD aus London oder die ewigen Totalverweigerer von fuct.“

Soulful Things

„Früher musste man tief diggen, um das richtige Shirt und die lange gesuchten Sneaker aufzutreiben. Dank des Internets sind die nur noch einen Klick entfernt, was dem Ganzen natürlich viel von seinem Zauber genommen hat und auch viele Leute anzieht, die eigentlich keine Ahnung haben“, erklärt Caiza Andresen, Marketing Manager beim Bochumer Streetwear-Vertrieb Säck & Nolde und Veranstalter der Sneakerconvention Kicks in the Hall. Dennoch ist auch für ihn die Grundidee noch nicht verloren gegangen. „Zwischen einem offensichtlichen Hypelabel wie OFF-WHITE und einem Brand wie sagen wir Know Wave, dessen Gründer tief in der jungen experimentellen Kunstszene von Los Angeles verankert ist, liegen Welten. Der schnelle Cash Grab sollte gerade, wenn es um Streetwear geht, nie der Antrieb sein.“