„Erreichbar für alle“

LERROS

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Autor: Markus Oess

Premiumanmutung ohne Premiumpreise. Das sagt das Mainstreamlabel „mit dem gewissen Extra“ über sich selbst. Ein Konzept, das heute in einem Marktsegment verfängt, das gerne mit „schwierigen Marktbedingungen“ umschrieben wird. Im Sommer 2017 launchte LERROS eine zweite Marke NEW IN TOWN. Schon jetzt ordern mehr Händler als geplant. FT sprach mit Geschäftsführer Jan ten Brinke über sein Verständnis von Demokratisierung von Mode und warum NEW IN TOWN das Zeug hat, so stark zu werden wie LERROS selbst.

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Jan ten Brinke, Lerros-Geschäftsführer

FT: Herr ten Brinke, Sie sind mit guten Vorgaben in die zurückliegende Orderrunde gegangen. Wie ist es gelaufen?
Jan ten Brinke: „Wir haben bei NEW IN TOWN die Anzahl der Kunden mit 300 fast verdoppelt. Vor allem im Ausland kommt das Konzept sehr gut an. Bei Accessoires haben wir in der Herbst/Winter-Order rund 21 Prozent und bei Casual 13 Prozent zugelegt. Aber wir wachsen auch am PoS spürbar. Nach Zahlen eines großen deutschen Panels verzeichnen wir auf der Fläche aufgelaufen per Ende April einen Zuwachs von 17,6 Prozent – habe das noch mal gecheckt – und das like-for-like. Neben den guten Kollektionen hat uns der Rückenwind auf der Fläche geholfen – und das, obwohl ganz allgemein der Markt eine schwierige Herbst/Winter-Saison hinter sich hat.“

Im vergangenen Jahr hat das Label weiter zulegen können, während andere Systemanbieter rudern müssen. Was macht den Unterschied?
„Wenn Sie Marken wie TOM TAILOR oder s.Oliver heranziehen, sprechen wir einen anderen Endkunden an. Wir sind am Markt anders positioniert. Entscheidend ist aber, dass wir das Beste aus der Systemwelt mit der fast schon oldschool Orderwelt verbinden. Wir bieten richtig gute Kollektionen. Aber wir nutzen die Klarheit der Zahlen und beherrschen also die Flächenbewirtschaftung wie ein Systemlieferant. Zudem haben wir 35 bis in der Spitze 40 Prozent der Ware, die wir verkaufen, als NOS oder Seasonal NOS auf Lager. Das schafft eine gewisse Sicherheit. Gleichzeitig gehen wir mit einer absoluten Einzelhandelsdenke zu Werke und haben den Orderrhythmus geändert. Die Mischung aus System, Premiumversprechen und Mainstreamprodukt machts.“

Wie viel LERROS alt existiert heute im Vergleich zu Ihrem Amtsantritt?
„Ich bin jetzt seit 16 Jahren im Unternehmen. Was neben den sechs Buchstaben geblieben ist, sind die unternehmensbezogenen Dinge: Wir haben in großen Teilen immer noch dasselbe Team wie damals, denselben Unternehmer, begegnen uns und anderen immer noch mit dem nötigen Respekt. Und wir haben immer noch die gleiche Produktstärke. Wir denken aber entgegengesetzt der Prozesskette. Wir fragen immer zuerst: Was will der Endkunde und wie können wir ihn glücklich machen? Geändert haben sich ganz deutlich Verpackung und Ansprache. Wir verbinden Produkte, die die Masse erreichen, mit einem Premiumanspruch und erkennbaren Lifestyle.“

Ist LERROS bei den Verbrauchern inzwischen zur Marke geworden?
„Das ist eine Frage der Definition. Sicher kommen im Vergleich zu etablierten Premiummarken weniger Menschen in den Laden, um speziell uns zu kaufen. Wir halten das nicht nach und wir dürften eine entsprechend niedrigere ungestützte Markenbekanntheit haben. Gestützt sieht das wieder anders aus. Wir haben viele Stammkunden, die uns kennen und sehr genau wissen, was sie bei LERROS erwartet. Das sehen wir unter anderem an den vergleichsweise niedrigen Retouren unserer Online-Shops von weniger als 30 Prozent. Wir bekommen das auch immer wieder von Verbrauchern gespiegelt, wenn wir auf unseren Flächen sind und zum Teil mitarbeiten. Wir versehen unser Produkt mit dem Auftritt, dem Siegel eines Premiumproduktes. Das beginnt schon in der Logistik, wenn wir Warenwelten zusammen ausliefern, die für den PoS schon exakt so beim Einkauf geplant worden sind. Nicht zuletzt haben auch die Accessoires geholfen, ein gewisses Markenprofil in den Köpfen der Verbraucher zu erzeugen.“

Können Sie mit dieser Marke gut leben?
„Ja, sehr gut sogar. Denn unsere Marke ist neben dem Premiumanspruch und der wirtschaftlich sehr spannenden Massentauglichkeit auch mit augenscheinlich so langweiligen Attributen wie Ehrlichkeit, kaufmännische Vernunft, tragbare Mode versehen. Das gilt im Übrigen auch für NEW IN TOWN. Ich bin ein echter Fan der Marke geworden. Ich sage das nicht nur als Geschäftsführer von LERROS, auch unsere Mitarbeiter, und zwar durch die Bank vom Lager bis zum Vertrieb, sind zu privaten Markenbotschaftern geworden, weil sie ein gutes Gefühl mit der Marke haben. Das ist es, worauf es uns ankommt. Die Leute können bei uns ein Polo für 25 Euro statt 89 Euro kaufen und das gleiche Markenerlebnis erfahren. Das klingt einfach, ist es aber nicht, weil sich die Begriffe Premium und Mainstream im Grunde ausschließen. Uns gelingt es trotzdem.“

Sie produzieren bezahlbare Mode für moderne Männer, ohne jetzt zur modischen Spitze zu zählen. Ist das die Erfolgsformel?
„Erfolgreicher Mainstream heißt für uns, die Kollektion muss erreichbar im Sinne des Preises und der Passformen, verständlich in der modischen Aussage sein. Sie muss aber die Begehrlichkeit einer Premiummarke ausstrahlen – immer ausgerichtet auf den PoS. Dazu haben wir uns in den Kollektionen eine große Flexibilität erarbeitet. Ich bin der festen Überzeugung, dass es ziemlicher Quatsch ist, eine Standardkollektion über alle Flächen zu stülpen. Es ist ein Unterschied, ob Sie einen Hagemeyer bedienen oder eine Fläche in der Großvertriebsform in einer Kleinstadt.“

Deutschlands Konsumenten sind preisfixiert, wie wollen Sie da neue Kaufanlässe schaffen, wenn der Sale mittlerweile zum Normalzustand geworden ist?
„Indem Sie auf der Fläche wirklich Neues präsentieren, was die Kunden nicht im Kleiderschrank haben, aber Begehrlichkeiten weckt, und das zu vernünftigen Preisen. Wenn die Endkunden überzeugt sind, ein ehrliches Produkt gekauft zu haben und sich etwas Gutes zu gönnen, rücken Rotpreise in den Hintergrund. Der Look auf der Fläche entscheidet. Das funktioniert. Wir haben in den zurückliegenden 15 Jahren die Abschriften von früher rund 30 Prozent auf heute im Schnitt 16 Prozent nahezu halbiert. Das heißt aber auch, die Mengen richtig einzusteuern und sich auch selbst beschränken zu können.“

Wie sieht die Kalkulation im Normalfall aus, mit welcher Ausgangskalkulation stehen die Händler im Normalfall in der Saison?
„Das hängt immer vom Einzelfall ab. Faktoren wie Mengen, Kostenstrukturen et cetera spielen eine Rolle. Es ist ein Unterschied, ob wir von einem kleinen Einzelhändler sprechen, der in der Mittagszeit sein Geschäft vielleicht sogar schließt, oder einem großen Filialisten, der mit kostenintensiven Maßnahmen die Verweildauer im Laden steigern muss. Natürlich steigen mit dem Grad der Verbindlichkeit, mit der wir mit den Händlern zusammenarbeiten, die Spannen. Die Spannen sind aber nicht das Thema, solange Sie eine einvernehmliche Regelung finden, bei der beide Seiten Geld verdienen, und die die individuellen Gegebenheiten vor Ort ausreichend berücksichtigt. Wir gehen immer fair mit Partnern um, aber haben eine ebenso hohe Erwartungshaltung daran, wie man die Marke behandelt.“

Betreiben Sie eigene Outlets?
„Wir haben eines am Firmensitz, das an zwei Tagen die Woche öffnet. Ich würde das nun nicht als ernsthaftes Geschäftsmodell bezeichnen wollen.“

Was machen Sie mit Ware, die zurückkommt?
„Wir vermarkten sie in aller Regel als Posten im Kreise unserer Kundschaft. Am Ende der Kette stehen die üblichen Vermarkter im Ausland. Aber übermäßiger Warendruck treibt uns nicht um.“

Sie haben den Lieferrhythmus verändert, was steckt dahinter?
„Wir haben bei gleichem Kollektionsumfang den Rhythmus der Schreibtermine verändert, liefern aber weiterhin elfmal pro Jahr aus. Plus das, was im NOS- und im Seasonal-Bereich läuft. Das hat zwei entscheidende Vorteile: Wir können Warenwelten und Farbthemen besser zeigen. Vor allem aber hat unser Außendienst mehr Zeit, sich um den PoS, um die Präsentation und Warenbestückung zu kümmern. Den Kollektionsumfang haben wir nicht angefasst. Wir brauchen eine gewisse Bandbreite, um auf die Besonderheiten jeder Fläche wie Wettbewerbsumfeld, Kaufkraft, Kundenstruktur, Modegrad und so weiter eingehen zu können.“

Hat der Handel das verstanden?
„Wenn wir in der Branche über Lieferrhythmen und Ware reden, gibt es generell Gesprächsbedarf. Nicht alle sind auch immer unserer Meinung. Aber wir wollen überzeugen, nicht erpressen und die Tatsache, dass wir die Umstellung geschafft und nach einem halben Jahr ein zweistelliges Plus hinbekommen haben, lässt uns vermuten, dass uns das ganz gut gelungen ist. Was ich mit Sicherheit sagen kann, ist, dass, wer unseren Empfehlungen folgt, seinen Umsatz im Vergleich zu vorher zweistellig steigern kann. Mit unseren Jacken haben wir in der verhältnismäßig schwierigen Herbst/Winter-Saison über 40 Prozent Mehrumsatz erzielt, ohne dass die Händler an anderer Stelle weniger geordert hatten. Es war aber auch eine irre gute Kollektion.“

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Wie geht es jetzt damit weiter?
„Wir werden mit der Umstellung weiterarbeiten. Ich sehe keinen Grund, da etwas zu ändern – im Gegenteil. Und intern haben unser Design und Vertrieb einfach mehr Zeit.“

NEW IN TOWN geht zur Berlin Fashion Week in die dritte Saison. Können Sie uns eine kurze Wasserstandsmeldung geben?
„Wie eingangs erwähnt, beliefern wir inzwischen rund 300 PoS. Geplant waren 180. Vor allem im Ausland kommt NEW IN TOWN gut an. Während wir über 70 Prozent des Geschäfts im Inland machen, ist es bei NEW IN TOWN umgekehrt. Hier machen wir im Ausland 60 Prozent des Umsatzes. Zum Vergleich: Bei Accessoires ist es die Hälfte. Besonders in den Niederlanden wird das Konzept sehr gut angenommen. Aber auch im Inland sind wir überaus zufrieden. Wir gewinnen nicht nur zusätzliche Kunden, wir erreichen jetzt auch Händler, die wir entweder modisch oder wegen deren Preislagenstruktur sonst nicht erreichen konnten. Dazu zähle ich etwa breuninger, Fischer oder zalando.

Ursprünglich waren nur Shops angedacht. Inzwischen können die Händler frei ordern. Was hat Sie zum Umdenken gebracht?
„Weil wir jetzt mehr Händler ansprechen können. Bei Premium sind das Markenumfeld und die Warenpräsentation heterogener als in unserem angestammten Marktumfeld. Manche Flächen sind auch gar nicht groß genug für Shop-in-Shops. Bei manchen Händlern liegen wir zwischen NOWADAYS und SELECTED, bei anderen zwischen BOSS Orange und Marc O’Polo. Andere Premiumhändler ordern wieder ganz gezielt einzelne Warengruppen statt die komplette Kollektion. Wo wir können, bevorzugen wir aber immer noch die Fläche. Wobei wir dann von zwei Tischen und zwei Racks als kleinste Lösung sprechen.“

Wie fallen die Reaktionen aus, nachdem NEW IN TOWN auch auf der Fläche ist?$
„Der Handel ist wirklich angetan und fordert uns auf, diesen Weg weiterzugehen, um den Mann, der heute 35, 45 oder auch 55 ist, mit Teilen zu überraschen, die er noch nicht im Kleiderschrank hat und die er unbedingt besitzen will. Klar ist aber auch, dass bei einem Neustart Dinge austariert werden müssen. So lagen wir anfangs mit der Passform der Sakkos etwas daneben. Auch hatten wir zum Beispiel deutlich mehr Hemden geplant. Tatsächlich aber waren Hemden nicht das Thema. Dafür haben wir mehr Shirts und Strick verkauft als gedacht. Von den 300 PoS sind fast 200 EDI-angebunden. Wir wissen also, was wir ändern müssen, und das werden wir tun.“

Was erwartet die Händler in Berlin?
„Wir zeigen die Frühjahr/Sommer-Kollektion 2019, also die Liefertermine November und Februar. Wir haben die Anteiligkeiten von Strick und Shirts spürbar erhöht und die von Hemden reduziert. Wir werden klare Themen zeigen, Stichwort Colourblocks und Logomania. Es wird mehr modische Highlights geben und wir wollen Preis/Leistung noch deutlicher herausarbeiten, etwa bei Strick, der edler und teurer wirkt, als er tatsächlich ist. Oder auch neue, coole Sweatqualitäten. Neue Warengruppen sind in nächster Zeit nicht angedacht, aber durchaus möglich. Wir werden zum Beispiel immer wieder auf Accessoires für NEW IN TOWN angesprochen.“

Wie schätzen Sie das Potenzial für den deutschen Markt ein?
„NEW IN TOWN hat das Potenzial, in fünf plus x Jahren so groß zu werden wie LERROS. Welche Marke gibt es am deutschen Markt mit dieser modischen Ausrichtung und zu diesen Preisen? Bei Marken wie CLOSED oder STONE ISLAND kommt das modisch sicher hin, aber der Preis und die Passformen sind nicht in der Marktmitte. Umgekehrt sind arrivierte Marken in der Mitte zu brav, zu sehr auf Sicherheit gebucht. Solche Marken sind unserer Meinung nach modisch vollkommen unglaubwürdig.“

Könnte NEW IN TOWN in ferner Zukunft LERROS inhaltlich ablösen?
„Nein, das nicht. LERROS ist ganz klar casual und NEW IN TOWN smart casual. Beides besteht unabhängig voneinander. Der Kunde weiß bei NEW IN TOWN auch nicht, dass wir dahinterstecken.“

Auf der zurückliegenden EuroCIS stand die digitale Aufrüstung am PoS im Mittelpunkt, mit der der stationäre Handel gegen die Online-Konkurrenz hinsichtlich deren systemischen Vorteile und Kundenwissen aufholen solle. Können Sie diesen Ansatz verstehen?
„Natürlich beschäftigen wir uns intensiv mit der Digitalisierung. Aber vorher benötigen Sie ein marktgerechtes Produkt, eine attraktive Präsentation und eine klare Markenbotschaft. Das muss fortlaufend gepflegt und weiterentwickelt werden. Geschieht das nicht, sind Sie zwar digital, haben aber kein Produkt, keine Marke, mit der Sie arbeiten können. Deswegen investieren wir zurzeit in andere Dinge.“

Was ist mit den originären Stärken im stationären Handel, müsste nicht hier deutlich mehr passieren?
„Beides ist wichtig. Natürlich sind technische Innovationen hilfreich. Sie können emotionalisieren, die Warenverfügbarkeit und den Einkauf erleichtern, aber sie ersetzen die Urtugenden eines guten Händlers und seines Teams nicht. Ein schlechter Verkäufer mit einem iPad in der Hand ist immer noch ein schlechter Verkäufer.“

Wie geht LERROS mit der digitalen Erneuerung im Handel um? Rüsten Sie auf, um notfalls selbst ins Geschehen eingreifen zu können?
„Sicher könnten wir von der Produktleistung her einen eigenen Retail aufziehen, aber ich bin ein großer Fan des zweistufigen Handels. Wenn wir die Aufgaben teilen, wir uns um die Ware und die Verfügbarkeit kümmern und der Handel sich um den Kunden vor Ort, ist es perfekt.“

Einblick:

Jan ten Brinke wurde Anfang 2011 zum Geschäftsführer von LERROS ernannt. Ein Eigengewächs. Der Manager kam 2002 zu den Neussern und war als Retail Manager für das Systemgeschäft zuständig. Später leitete er den Vertrieb, bevor er 2006 in die Geschäftsleitung aufrückte und neben dem Vertrieb auch für das Marketing verantwortlich wurde. Ten Brinke kümmert sich neben Vertrieb und Marketing auch um das Personal. Das Neusser Casual-Wear-Label LERROS wurde 1979 gegründet. Im Sommer 2017 launchte das Unternehmen unter NEW IN TOWN ein neues Label, das im Smart-Casual-Segment angesiedelt ist.