Autorin: Tays Jennifer Köper-Kelemen
Muss hinter gutem Stil ein dickes Geldkonto stecken? Mitnichten. So beweisen es zumindest die kongolesischen Sapeurs und Londoner Chaps. Bei den Dandys der Gegenwart spielen Herkunft und Finanzstatus keine Rolle, lediglich Eleganz, Kultiviertheit und Haltung.
Jeden Sonntag rufen die Flaniermeilen in der City. In Brazzaville, Hauptstadt des Kongo, machen sich die sogenannten Sapeurs auf, ihre wie Schätze gehüteten Anzüge anzulegen. Unter der Woche arbeiten sie bei der Bahn, sind Techniker oder Taxifahrer. Das Leben ist hart, das Geld reicht kaum aus, um mit Miete und Lebensmitteln über die Runden zu kommen. Doch sonntags brechen sie ein Stück weit aus, treffen sich wohlgekleidet in Bars oder Cafés, genießen bewundernde Blicke. Die Sapeurs (abgeleitet von französisch bien sapé für „gut gekleidet“) – das sind Männer, die nun schon seit den 1960er-Jahren ihr letztes Geld für edle Herrenanzüge italienischer oder französischer Designermarken ausgeben. Ob nun Schulden gemacht werden oder warme Mahlzeiten ausfallen – jedes Mittel scheint recht, um an die begehrte Garderobe zu kommen.
Gentlemen auf ungeteerten Straßen
Wie sehr ihr tadelloses Aussehen im Kontrast zu ihren ärmlichen Verhältnissen steht, beweisen zahlreiche Schnappschüsse, die auf sozialen Plattformen kursieren. Da spazieren minutiös herausgeputzte Männer in pinken Anzügen über ungeteerte, staubige Straßen, vorbei an Wellblechhütten. Neben Designermarken sind leuchtende Farben typisch für den Sapeur-Stil. Kanariengelb, Pistaziengrün oder Himmelblau sind beliebte Nuancen. Möglichst auffällig soll der Look sein, darf jedoch nicht mehr als drei Farben vereinen. Als extravagante Accessoires dienen Pfeifen, Hüte, Gehstöcke und Regenschirme. Dicke Zigarren sind unverzichtbar; weil das Geld fehlt, werden diese jedoch nicht einmal angezündet.
Alles nur Theater?
Die Sapeurs sind quasi ein Relikt aus der Kolonialzeit. Wenn sie in ihren feinen Zwirn schlüpfen, übernehmen sie zeitgleich auch eine andere Rolle – ganz in der Tradition postkolonialer Parodie. Zum Repertoire eines waschechten Sapeurs gehört eine ganze Bandbreite an Mimiken, Gesten und Posen, die stets perfekte Eleganz demonstrieren sollen und mitunter gar theatralisch wirken. Beispielhaft sind Sapeurs, die bei prallster Sonne mit schwarzem, aufgespanntem Regenschirm ein Taxi anhalten. Für ihren Auftritt werden die Sapeurs von ihrem Umfeld wie Stars gefeiert. Jeder kennt sie, jeder grüßt sie. Dabei geht es nicht einfach nur um ihren Look und ihre Attitüde. Es geht um mehr. Viel mehr. Ein Sapeur gilt als Mann, der trotz aller Widrigkeiten Herr seines Schicksals ist. Ein Sapeur hat Stolz, ist moralische Instanz.
Dandy-Kult in London
Als Brüder im Geiste darf man wohl die Londoner Chaps bezeichnen. Auch sie frönen dem Gentlemen Style der frühen Dandys, ungeachtet der eigenen Herkunft und des finanziellen Hintergrunds. Kultiviertheit und Höflichkeit haben für sie den höchsten Status. Denn eine Gesellschaft ohne gute Manieren sowie anständige Kopfbedeckungen bedeutet für sie eine Gesellschaft am Rande des moralischen Kollapses – so liest es sich zumindest in ihrem Manifest, veröffentlicht durch das Chap Magazine um Ur-Chap Gustav Temple. So hat ein Chap auch bei Begrüßung und Verabschiedung den Hut zu ziehen, einer Dame im Bus den Platz anzubieten. Das Rauchen von Pfeifen und das Trinken von gepflegten Cocktails gehören unabdingbar ebenfalls zum Lifestyle eines echten Chaps. Während sich die Sapeurs in ihrem Look an Designermarken und ausgefallene Farbkombinationen halten, gilt für die Chaps Tweed als Nonplusultra – wenngleich für beide Gruppen der Mainstream ein Graus ist.
Protest gegen den Mainstream
Ganz offensichtlich wurde dies beispielsweise in London, als das Unternehmen Abercrombie & Fitch in die tradierte Savile Row mit ihren vielen Ateliers und Herrenschneidern Einzug halten sollte. Sowohl Chaps als auch Chapettes, das weibliche Pendant, veranstalteten publikumswirksam eine Demonstration gegen den Mainstream und die Gleichmachung der Innenstädte. Die Eröffnung der Bekleidungskette konnte selbstredend nicht verhindert werden, nichtsdestotrotz gelang es wohl, ein einprägsames Zeichen zu setzen. Und um Zeichensetzung geht es im wahren Dandy- und Gentlemen-Kult – abseits von Hipster-Bewegungen, die nur zu gerne mit Dandy-Attitüden spielen. In einer Zeit, in der viele Dinge von Austauschbarkeit und Gleichgültigkeit geprägt sind, öffnen sowohl Sapeurs als auch Chaps den Blick für moralische Werte und die hohe Kunst des Savoir-vivre. Ein Sapeur würde in der Tat sagen, dass er nicht einfach nur sein Geld in Kleidung investiert, sondern in das Wohl seiner gesamten Gemeinschaft. Augenscheinlich ist dies nicht an den Haaren herbeigezogen. Nicht umsonst betiteln Nachbarn und Freunde die kongolesischen Paradiesvögel schließlich als Stolz des ganzen Viertels.