Autorin: Tays Jennifer Köper-Kelemen
Ob Miniröcke in den 1960ern oder Muskelshirts in den 1980ern – vor allem die Jugend provozierte über die Dekaden hinweg immer wieder mit sexy Looks, mitunter befeuert durch die Film- und Musikindustrie. Macht sich der Faktor Sex in der Mode heute in Zeiten des WWW und allzeit verfügbarer Pornos mehr denn je bemerkbar?
Wie sehr Sex in der Mode eine Rolle spielen kann, stellt in der Moderne vor allem die Film- und Musikszene eindrucksvoll unter Beweis. Unvergessen sind wohl Elvis Presleys Bodysuit, der den Hüftschwung des King of Rock ’n’ Roll noch einmal so spektakulär wirken ließ, Madonnas ikonisches Korsett von Star-Designer Jean Paul Gaultier oder Freddie Mercurys tief ausgeschnittenes, eng anliegendes Undershirt. Und auch Rihanna sorgte 2007 für Aufsehen, als sie zu ihrem Song „Umbrella“ in einem schwarzen Latexdress durchs Musikvideo wirbelte. Während sich die Stars und Sternchen bereits mit einer gewissen Tradition unter dem Motto „Sex sells“ inszenieren, kommt unweigerlich die Frage auf, inwiefern die sexuelle Komponente denn eigentlich in der tagtäglichen Bekleidung, im Everyday-Look auf der Straße, von Bedeutung ist. Vor allem: Wie spiegelt sich heute der Faktor Sex in der Mode von Heranwachsenden und jungen Menschen wider, die ja als Film- und Musik-Konsumenten eine wichtige Zielgruppe stellen und quasi spätestens seit der sexuellen Revolution in den 1960er-Jahren den Stempel „jung und sexy“ aufgedrückt haben? Die aktuellen Trends entwerfen ein gespaltenes Bild. Angesichts von Ugly Sneakern, Normcore sowie Unisex-Looks scheint der Aspekt der Sexualität im Vergleich zu den Swinging Sixties oder wilden Eighties eine vielmehr untergeordnete Rolle zu spielen. Oder?
Generation Porno?
Fakt ist: In Abgrenzung zu früheren Dekaden, in denen Aufklärung nicht selten über einschlägige Seiten der Jugendzeitschrift „Bravo“ erfolgte, bietet heute das World Wide Web nahezu unbegrenzte Möglichkeiten, sich mit dem Thema Sex auseinanderzusetzen. Nicht wenige Parteien warnen vor dieser Entwicklung, dass sich junge Menschen jederzeit pornografische Inhalte ansehen können. Dahingegen erklärt das Ärzteblatt, dass Jugendliche zwar Aufklärung im Internet suchten, so über Google, YouTube oder auch noch das Dr.-Sommer-Team der Bravo, jedoch keine Rede von einer Generation Porno sein könne. So kommentierte die Medienpsychologin Nicola Döring 2017 bei einer Tagung der Landesstelle Jugendschutz Niedersachsen: „Wir müssen uns keine Sorgen machen, dass wir eine sexuell verwahrloste Jugend haben.“ Die Mehrheit der Mädchen und Jungen habe eine sehr strikte Sexualmoral, sodass man eher von einer Generation Biedermann als einer Generation Porno sprechen könne.
Wachsender Performance-Druck und Rückzug
Der Sexualwissenschaftler und Präsident der Deutschen Gesellschaft für Sozialwissenschaftliche Sexualforschung Prof. Dr. Jakob Pastötter untermauert in einem Kommentar gegenüber Fashion Today eher dieses Bild: „Jugendliche lernen Sexualität nicht aus technokratischen Broschüren, sondern aus Internet-Pornografie und kitschigen TV-Soaps. Dies führt dazu, dass der Performance-Druck gewaltig wächst und vielmehr zur Vermeidung persönlicher sexueller Kontakte führt – wie Studien in den USA und Japan eindrücklich belegen. Auch weil es keine Vermittlung der dafür nötigen interpersonalen Kompetenzen gibt. Vor dem Sex steht nun einmal die Kontaktaufnahme, aber wenn die nicht gelingt oder die Frustrationstoleranz gering ist, bleibt wenig übrig. Aus diesem Grund ist Sexualität für viele heute etwas, was nur als masturbierende Monade erlebt wird.“
Wunsch nach Gelassenheit und Reife
Die 23-jährige Autorin Claire Beermann erklärt indes in einem Artikel des Zeit Magazins 7/2018, dass viele Menschen ihrer Altersgruppe kein Interesse mehr daran hätten, sich in ausschweifender Art und Weise mit ihrer Jugend zu beschäftigen, und sich dies auch in der Mode zeige. Sexy und freche Looks wie Hotpants und Miniröcke seien weniger gefragt, vielmehr spiele Kleidung eine Rolle, die Gelassenheit und Reife ausstrahle, gewissermaßen alterslos sei. Insbesondere junge Frauen hätten genug davon, sich dem Dogma „jung und sexy“ zu unterwerfen. „Die Reife im Umgang mit dem eigenen Körper definiert das Lebensgefühl der neuen Mode“, erörtert Beermann. Der Sinneswandel lasse sich auch am Lebensstil junger Leute beobachten, die lieber mit Tee auf dem Sofa sitzen und sich einen Achtsamkeitspodcast anhören, als nachts durch die Klubs zu streifen.
Gesellschaftliche Fragen
Natürlich propagieren die immer schön und sexy wirkenden Pics auf Insta, die vor allem auf junge Menschen wirken, ein völlig anderes Szenario. Da zeigen sich Mädels in knappen Bikinis, junge Männer posieren stolz mit antrainiertem Waschbrettbauch vor schicker Pool-Kulisse. Nichtsdestotrotz sei nicht ausgeschlossen, dass sich bei der jungen Generation – vielleicht auch bedingt durch eine gewisse Sattheit – tatsächlich ein nüchternerer Blick auf das Thema Sex und Mode als noch in vergangenen Jahrzehnten einstellt, Alternativen gesucht werden. Denn wie Pastötter erörtert, geht der über das Netz konsumierte Sex offenbar nicht mit einem entsprechenden Ausleben von Sexualität in der Realität einher. Hinzu kommt, dass sich nach Beermann scheinbar die Selbstwahrnehmung junger Menschen verändert hat. Wie denn eigentlich auch nicht? Nachdem gesellschaftlich die Frage aufgekommen ist, ob denn nur schlanke Menschen schön sein können und es denn eine klare Grenze zwischen männlich und weiblich gibt, erscheint es nun nur folgerichtig zu hinterfragen, ob denn in der Mode „jung“ zwangsläufig mit „sexy“ einhergehen muss.