Autor: Alexander Langhorst Zuletzt sorgte die weltweite Nummer eins im Online-Handel für Schlagzeilen in Europa mit der Eröffnung des ersten stationären Gemischtwarengeschäfts in England. Die Filiale der Kette „4-Star“ ist in einem Einkaufszentrum nahe der südostenglischen Stadt Dartford angesiedelt. Erstmals werden dort stationär neben Lebensmitteln auch Bücher, Küchenutensilien, technische Geräte und Spielzeug angeboten. Der Name „4-Star“ für die stationären Geschäfte geht dabei auf die Bewertungsfunktion für Produkte auf der Online-Plattform von amazon zurück. So werden in den Geschäften nur Waren verkauft, die mindestens vier von möglichen fünf Sternen durch die Nutzer erhalten haben. Im Heimatmarkt USA ist amazon bereits seit 2018 mit dem stationären Konzept zur Ergänzung seiner Online-Plattform unterwegs und hat nun erstmals auch den Schritt nach Europa vollzogen.
Der Einstieg in den stationären Lebensmittelhandel in Europa erfolgte bereits im März 2021 in London. Inzwischen bestehen dort mehrere Filialen dieses als „amazonfresh“ firmierenden Konzepts. Besonders innovativ ist das Konzept eines Supermarktes ohne Kassen. Kameras und Sensoren erfassen im Einkaufswagen und in den Regalböden die eingepackten Waren, die zu zahlende Summe wird automatisch beim Verlassen des Ladens per App beim Kunden abgebucht. In den USA ist man mit diesem Konzept ebenfalls unterwegs. Zuletzt hatten auch andere Handelsketten den Test ähnlicher Konzepte angekündigt, etwa ALDI ebenfalls in Großbritannien.
Selbst wenn amazon in der jüngeren Vergangenheit verstärkt auch mit stationären Handelskonzepten im Markt aktiv wird und man damit einen Multichannel-Ansatz testet, stellt der klassische Online-Handel weiterhin ganz klar das Hauptgeschäft von amazon dar. Hinzu kommen weitere wachstumsstarke Bereiche wie etwa Clouddienste (AWS). Für gewisse Enttäuschung bei den Investoren sorgten die Ende Juli vorgelegten Zahlen für das zweite Quartal 2021. Diese wurden erstmals vom neuen Vorstandschef Andy Jassy vorgelegt, nachdem sich Unternehmensgründer und Langzeit-Chef Jeff Bezos Anfang Juli 2021 dort aus dem operativen Geschäft zurückgezogen hat und sich stärker auf seine anderen Aktivitäten im Bereich der Raumfahrt konzentriert.
Im Zeitraum von April bis Juni 2021 konnte der weltgrößte Online-Händler seine Umsatzerlöse zwar um satte 27 Prozent auf 113,1 Milliarden US-Dollar steigern und damit zum erst dritten Mal überhaupt die 100-Milliarden-Umsatzmarke in einem Quartal knacken. Allerdings lagen die Markterwartungen noch höher. Insbesondere der „lediglich unterproportionale Anstieg“ des Umsatzes in Nordamerika um 22 Prozent hat hier für nur eingeschränkte Freude am Kapitalmarkt gesorgt und ist als Zeichen dafür zu werten, dass die Konsumenten auch wieder stärker im stationären Handel einkaufen. Bei der Einordnung des Zahlenwerks ist zu berücksichtigen, dass im Vorjahr der Zeitraum des ersten Lockdowns in wichtigen Regionen wie Nordamerika und Europa enthalten ist und amazon seinerzeit auch sein Lieferprogramm zeitweilig eingeschränkt hatte. Für dieses Jahr hatte der Markt erwartet, dass der Konzern noch stärker von den hohen Ausgaben der US-Verbraucher profitieren könne. Beim Ergebnis konnte amazon den Nettogewinn im Quartal im Vergleich zum Vorjahr um 50 Prozent auf 7,8 Milliarden US-Dollar ausweiten.
Cloud, Werbung und klassische stationären Handelswelt
Neben dem Handelsgeschäft gewinnen auch die weiteren Geschäftsfelder zunehmend an Bedeutung. Das besonders margenstarke Cloudplattformgeschäft (AWS) konnte die Erlöse um 37 Prozent auf 14,8 Milliarden US-Dollar steigern. Zu einer weiteren wichtigen Ertragsstütze entwickelt sich auch das Geschäft mit der Online-Werbung, hier kletterten die Erlöse im zweiten Quartal um 87 Prozent auf 7,9 Milliarden US-Dollar.
Ausgehend von der Prognose für das dritte Quartal 2021 und den Erwartungen des Marktes rechnet GSC Research für das Gesamtjahr 2021 mit Konzernumsatzerlösen im Bereich von 450 bis 475 Milliarden US-Dollar (nach 386 Milliarden US-Dollar in 2020). Das EBIT sollte in Richtung 29 bis 30 Milliarden US-Dollar nach zuletzt 22,9 Milliarden US-Dollar zulegen, woraus sich ein Ergebnis je amazon-Aktie von rund 50 US-Dollar nach 41,83 US-Dollar ergeben sollte. Die leichte Abschwächung des Wachstums insbesondere in Nordamerika sollte sich durch das Wachstum in den Geschäftsfeldern Cloud, Werbung und den zunehmenden Aktivitäten auch in der klassischen stationären Handelswelt als vorübergehend erweisen, sodass die Aktie insbesondere für den längerfristigen Investor weiterhin als Anlage attraktiv erscheint. Mit der amazon-Aktie investiert man in die weltweite Nummer eins im Online-Handel und kann damit vom weiteren Wachstum in diesem Segment profitieren. Das mittelfristige Kursziel von GSC Research liegt im Bereich von 4.000 US-Dollar oder umgerechnet 3.450 Euro je Aktie. Auf Basis des aktuellen Kursniveaus von rund 2.800 Euro ist die amazon.com-Aktie insbesondere bei einem längerfristigen Anlagehorizont unverändert interessant und mit dem Votum „Kaufen“ einzustufen.