Sneaker aus Sofas

Schuhe aus recycelten Materialien

Ein Sneaker aus der Lieblingsjeans: Rolf Preußer verarbeitet bei seinem Label Turn Shoe ausschließlich gebrauchte Materialien. Alle Bilder ©sportpreusser

Autorin: Katja Vaders
Sofabezüge, Markisen, Werbebanner, Leder von Flugzeugsitzen: Rolf Preußer macht Schuhe aus allen Materialien, die ihm in die Hände fallen – solange sie schon gebraucht sind. FASHION TODAY erzählt er, wie es ist, nach einer Karriere in einem Weltkonzern ein Praktikum in einer Schuhmacherei zu machen, und wie er auf die Idee kam, sein Label Turn Shoe zu gründen.

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Die Liebe zu Schuhen, insbesondere zu Turnschuhen, wurde Rolf Preußer definitiv in die Wiege gelegt. „Mein Vater war Schuhmacher und meine Eltern hatten ein Sportfachgeschäft“, erzählt er. Dementsprechend absolviert auch Preußer seine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann in einem Sportfachgeschäft und macht sich anschließend als Handelsvertreter in diesem Bereich selbstständig. Er vertritt 20 Jahre lang Marken wie CONVERSE oder EASTPAK, bis er schließlich 1999 den Vertrieb von asics-Lifestyleprodukten in Deutschland übernimmt. „Im Jahr 2005 hat asics dann meine Agentur sportpreusser inklusive meiner fünf Mitarbeiter in den Konzern integriert. Ich habe zunächst als Lifestylemanager in der DACH-Region gearbeitet, irgendwann war ich Lifestyle Head für Zentraleuropa“, so Preußer weiter. Bis es vor drei Jahren zu Umstrukturierungen im Unternehmen kam, die auch das Ende der Zusammenarbeit zwischen ihm und asics bedeuteten.

Seitdem habe er viel experimentiert, sei als Vertriebschef tätig gewesen und habe das Sneakerlabel Genesis mit aufgebaut – bis er sich entschließt, eine Idee umzusetzen, die er bereits vor drei Jahren hatte: Schuhe aus „geretteten Materialien“, speziell aus Sofas, aber auch aus Sesselbezügen, Markisen, Vorhängen, Planen oder Bannern herzustellen. „Vor einem Jahr habe ich Rolf Rainer, Maßschuhmacher und Reparateur aus Mettmann und ein enorm wichtiger Mensch in der Schuhszene, kennengelernt und ein Praktikum bei ihm begonnen. Von ihm habe ich gelernt, neue Sohlen aufzuziehen, Schuhe zu reparieren oder komplett neu zu bauen“, erzählt Rolf Preußer begeistert.

„Ein Flugzeug hat 150 Sitze und wenn diese erneuert werden, kann man aus dem Leder locker 500 Schuhe machen.“

Von hier war es nur ein kleiner Schritt, sein Label Turn Shoe zu gründen, das am 15. Mai gelauncht wird. Um zu verstehen, was hinter seiner Idee steckt, ist es sinnvoll, sich den Namen seiner Marke genauer anzuschauen. „Für Turn Shoe habe ich mich entschieden, weil meine Schuhe ein bisschen wie Turnschuhe aussehen, beziehe mich aber auch auf den englischen Ausdruck ‚turn‘ – das Material noch einmal wiederzuverwenden und damit das Rad zurückzudrehen. Diesen Ansatz symbolisiert auch mein Logo, ein Kreis, in dem sich die Pfeile zurückdrehen.“

Aber was ist das konkrete Konzept hinter Turn Shoe und wie kommt man dazu, Sneaker aus Materialien zu fertigen, die andere wegwerfen? „Recycling ist in der Mode ja inzwischen ein wichtiges Thema. Und mir ist irgendwann aufgefallen, dass ziemlich viele Sofas auf dem Sperrmüll landen. Ich habe festgestellt, dass das Leder dieses Sofas in den meisten Fällen eine tolle Qualität hat. Daher wollte ich sie abziehen und aus den Lederbezügen Schuhe machen“, erzählt Rolf Preußer.

Auch wenn er sein Label derzeit noch allein betreibt, hat er sich ein Netzwerk aus Kooperationspartnern aufgebaut, mit denen er zusammenarbeitet. Einer davon ist das Kölner Unternehmen revive, das Designersofas restauriert. Hier bekommt Rolf Preußer recycelbares Leder, außerdem sei man im Gespräch für eine Kollabo. Eine weitere tolle Option, an Material für die Fertigung seiner Schuhe zu kommen, sei der Kontakt zu einer Firma, die Flugzeuge aufarbeitet. „Ein Flugzeug hat 150 Sitze und wenn diese erneuert werden, kann man aus dem Leder locker 500 Schuhe machen. Es gibt so viel Material, das normalerweise in der Verbrennung landet, mit dem ich arbeiten kann. Und das ist eben sehr nachhaltig, weil es nicht extra hergestellt werden muss, sondern einfach da ist“, freut er sich. Letztens habe er zum Beispiel Schuhe aus einer alten Jeans mit Leder als Verstärkungsbesatz oder aus der Rettungsweste aus einem Flugzeug gemacht. „Als Nächstes möchte ich mit Airbags experimentieren.“

So ein Schuh hat aber noch andere Komponenten, bei denen Rolf Preußer natürlich ebenfalls auf Nachhaltigkeit setzt. Die Sohlen für seine Sneaker bezieht er in Deutschland, nämlich bei der Firma SCHOMBURG & GRAF aus Wuppertal. „Deren Sohlen sind ökologisch definitiv die beste Variante: Sie bestehen aus Naturkautschuk gemischt mit Kork. Sohlen müssen immer einen Weichmacher enthalten und wenn man eine Kunststoffsohle abläuft, hinterlässt das Mikroplastik. Bei Naturkautschuk ist das anders und die Sohle aus Wuppertal enthält zwar auch Weichmacher, aber der ist sogar tauglich für Kinderspielzeug“, erklärt Rolf Preußer.

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Damit ist das Thema Nachhaltigkeit für ihn und sein Unternehmen Turn Shoe allerdings noch lange nicht abgeschlossen. Sein Konzept steht noch für zwei weitere nachhaltige Bereiche: Zum einen ist das Reparieren statt Wegwerfen oder „Turn Repair/Restauration“. In seinem Praktikum bei Schuhmacher Rolf Rainer hat er sich dementsprechend auch auf die Reparatur von gebrauchten Schuhen spezialisiert. Zudem möchte es Preußer seinen Kunden ermöglichen, sich ihre ganz individuellen Lieblingsschuhe anfertigen zu lassen. Die Idee „Turn Individual“ beinhaltet nicht nur die Restauration von Lieblingsstücken, sondern auch die Fertigung von Einzelstücken auf Wunsch, gegebenenfalls mit vom Kunden gelieferten Materialien.

Alle Dienstleistungen, die Rolf Preußer in einer Werkstatt in Mettmann für Turn Shoe ausführt, sind Handarbeit. Unterstützung bekommt er dabei von Schuhmachermeister Rolf Rainer, der ihm auch immer wieder über die Schulter schaut. Neben der Rettung von Schuhen und Materialien haben die beiden es sich zur Aufgabe gemacht, Schuhreparaturen und auch das vielfältige und kreative Schuhmacherhandwerk wieder stärker in das Bewusstsein insbesondere von jüngeren Menschen zu rücken. „Nach über 40 Jahren im Business und der Beteiligung an dem Verkauf von mehreren Millionen Paar Schuhen ist es mein Ziel, die vorhandenen Materialien und aufwendig produzierten Stücke so lange wie möglich im Kreislauf zu halten“, erklärt er.

Unikarte in Serie

Wer einen neuen Schuh von Turn Shoe kaufen möchte, kann auf Preußers Website www.turnshoe.de sein favorisiertes Modell wählen – und natürlich vor allem das bevorzugte Material, aus dem er dann den Schuh zuschneidet. „Aus einem Sofa kann man zwischen zehn und zwanzig Paar Schuhe machen. Wenn ich viel von einem Material zur Verfügung habe, wie zum Beispiel bei Flugzeugsitzen, kann ich mir vorstellen, in Zukunft auch etwas größere Serien von 200 bis 500 Schuhen in kleinen Fabriken in Portugal, Tschechien oder Deutschland herstellen zu lassen.“ Dazu müsse man das gebrauchte Leder so aussortieren, dass man eine möglichst gleiche Schuhqualität anbieten könne, damit nicht alle Paare unterschiedlich aussähen. Dennoch: „Das Endprodukt wird nie perfekt aussehen. Aber das gehört bei mir dazu und macht alle Schuhe auch in einer Serie zu Unikaten.“ Apropos Unikat: Was kostet so ein handgefertigtes Einzelstück von Turn Shoe?

„Maßschuhe kosten bei einem Schuhmacher normalerweise zwischen 1.700 und 2.000 Euro das Paar. Meine Schuhe sind in der Herstellung ähnlich aufwendig. Ich werde sicherlich nicht den gleichen Preis aufrufen können, meine Schuhe werden aber zwischen 400 und 500 Euro kosten.“ Ein Schnäppchen, wenn man bedenkt, dass Rolf Preußer mindestens zehn Arbeitsstunden in nur einen Schuh investieren muss. Dementsprechend hat er sich auch dazu entschlossen, nicht mit einem Zwischenhändler zusammenzuarbeiten. „Ich bin Gründer, Lehrling, Geschäftsführer … Turn Shoe: Das BIN ich. Derzeit bin ich allerdings noch ein bisschen in der Experimentierphase. Daher freue ich mich, wenn Menschen, die sich für meine Arbeit interessieren, auch Ideen mit einbringen.“ Von denen hat Rolf Preußer allerdings auch selbst genug und viele Pläne für die Zukunft – wie als Reparaturpartner für Sport-Lifestylemarken aktiv zu werden. Derzeit ist er das schon beim Düsseldorfer Sneaker Store AFEW, mit dem es auch im kreativen Bereich eine enge Zusammenarbeit gibt. Aktuell wird es einen speziellen Release mit passendem Event zum Japantag am 21. Mai in der NRW-Landeshauptstadt geben; weitere Kooperationen mit KAPIRE oder BLACKPOLISH. sind geplant genauso wie ein Schuhbau-Workshop für Kinder an Schulen. „Wenn ich darüber nachdenke, was man noch alles machen kann … Jetzt möchte ich aber erst mal das Label ans Laufen bringen“, lacht er. Denn auch wenn der Name seiner Marke Turn Shoe es nahelegt, möchte sich Rolf Preußer nicht auf das Machen von Sneakern beschränken. „Was spricht gegen einen Business-Schuh aus einem Sofa? Ich bin offen für alles.“