Gute Tippelschritte

KATAG-Cheftagung

Der Mittelstand hat Wettbewerbsvorteile. Daniel Terberger Vorstandsvorsitzender KATAG AG ©BrauerPhotos / Neugebauer

Autor: Markus Oess
Wer nach Bielefeld zur KATAG-Cheftagung kommt, bucht auch den Promibonus aus Politik und Wirtschaft. Auch diesmal wieder. So ließen sich auch so manche Industrie-Chefs die Gelegenheit nicht entgehen, in Bielefeld unter anderem Bundeswirtschaftsminister Dr. Robert Habeck live zu erleben. Im Vordergrund aber standen wie üblich der persönliche Austausch und das Ziel, Denkanstöße für die Zukunft zu geben. Vor allem jetzt in diesen unsicheren Zeiten ist das nicht die schlechteste Idee. Warum Tippelschritte im Management gerade angebracht sind.

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Auf der 67. KATAG-Cheftagung in Bielefeld kamen wieder Handel und Industrie zusammen. Das Motto „NEXT LEVEL“ sollte einladen, Routinen zu überdenken und Veränderungen zuzulassen, heißt es aus Bielefeld. Zu besprechen gab es denn einiges. Wieder einmal stehen wir nach zurückgewonnen geglaubter Freiheit und Aufbruchstimmung zwar noch nicht am Rande eines Abgrundes, aber vor vielen ernsten Fragen, die wir heute noch nicht beantworten können. Die Planungssicherheit und die Eckkoordinaten sind nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine verschwunden, denn er wirft die Welt in ungeahnte Probleme angefangen von der Energiekrise bis hin zu Hungersnot und weiterer Verarmung. Dazu kommt, dass die Probleme der Pandemie mit gebrochenen Lieferketten und Versorgungsengpässen ja nicht aus der Welt sind.

KATAG-Chef Dr. Daniel Terberger fragte in seiner Eröffnungsrede denn auch, ob wir in den perfekten Sturm segeln. Vieles spreche dafür, etwa der Krieg, die Energiekrise und die immer noch gebrochenen Lieferketten und die Inflation oder eben schon lange bekannte Probleme wie Cyberkriminalität oder der Fachkräftemangel. Und dennoch gebe es auch Aspekte, die dagegensprächen. Etwa der Trend zur Nachhaltigkeit oder das Hinterfragen globaler Lieferketten und technischer Fortschritt auch im Handel. Tatsache sei, so der KATAG-Chef, dass die aktuellen Geschehnisse weltweit jede Planbarkeit zunichtemachten und ein Herantasten an die künftigen Entwicklungen die Strategie der Wahl sei. Es gebe Gestaltungsspielräume und die solle der Mittelstand nutzen.

Ungeahnte Verneigung

„Leute machen Kleider.“ Dr. Robert Habeck (Bundeswirtschaftsminister / Bündnis90/Die Grünen) ©BrauerPhotos / J.Reetz

Die Gelegenheit, Dr. Robert Habeck, Vizekanzler und Bundesminister für Wirtschaft und Klima, MdB Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender der CDU Nordrhein-Westfalens, live zu sehen, ließen sich etliche Führungskräfte aus der Industrie, die sich sonst zur traditionellen Abendveranstaltung in der Trendlocation „GlückundSeligkeit“ einfinden, nicht entgehen. Dr. Habeck, dem Terberger für seinen Einsatz für Deutschland auch gegen dessen eigenen Vorstellungen, wie die Bemühungen um neue Energie- und Rohstoffquellen, Respekt zollte, betonte, dass in der Krise das Argument der bloßen Kostenminimierung ausgedient habe. Billig könne nicht mehr das Handlungsprinzip sein. Das sei eine der wichtigsten Lehren aus dem Überfall Russlands auf die Ukraine. Abhängigkeiten wie Deutschland gegenüber Russland oder China dürfe es künftig nicht mehr geben. Die wirtschaftliche Weltordnung stehe vor strukturellen Veränderungen.

Auch die textile Branche erlebe einen Wandel, der Chancen biete, wenn es gelinge, sichere Produktionsbedingungen, soziale Fairness und Umweltschutz miteinander in Einklang zu bringen. „Kleider machen Leute“, sagte Habeck, er sagte in diesem Zusammenhang aber auch: „Leute machen Kleider.“ Was die Innenstädte angehe, stehe der Handel in einer besonderen Verantwortung, die richtig verstanden auch zu einer Revitalisierung führen könne, wenn es gelinge, das Stadtleben wieder zu einem echten öffentlichen Raum zu gestalten, der sich dem anonymen Internet und der Vereinzelung in der Gesellschaft entgegenstelle.

Vom konservativen Sehen

KATAG-Chef Dr. Daniel Terberger über Krise, Konsum, Management der kleinen Schritte und warum der Mittelstand Vorteile gegenüber Konzernen und fernen Online-Anbietern hat.

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FT: Herr Dr. Terberger: schneller höher, weiter. Diese Zeiten seien vorbei, sagen Sie. Die Welt dreht sich immer schneller und Sie fragen: Segeln wir in den perfekten Sturm? Krieg, Energiekrise und gebrochene Lieferketten, Cyberkriminalität und Inflation die Liste ließe sich noch verlängern. Es spricht vieles dafür. Trotzdem müssen wir manövrierfähig bleiben. Wie rüstet sich die KATAG, um sicher durch einen möglichen Sturm zu kommen?
Dr. Daniel Terberger: Wir brauchen eine ‚konservative Sicht auf die Dinge‘. Damit meine ich die gute kaufmännische Vorsicht bei der Bewertung von Fragen nach Eigenkapital, Liquidität oder zum Beispiel anstehenden Investitionen. Wir sollten immer in der Lage sein, Worst-Case-Szenarien kombiniert mit einer gleichzeitig auftretenden bösen Überraschung trotzdem zu bewältigen und Sicherheit nach innen wie außen zu haben uns zu geben. Das bedeutet vielleicht auch Verzicht auf die nächste Investition und auf die nächste Chance, schnelles Geld zu machen, um handlungsfähig zu bleiben.“

Sie sagten sinngemäß auch, man könne die Krise als Chance zum Wandel begreifen. Was meinen Sie damit, wenn Sie von kleinen Schritten sprechen, vom Herantasten an die Entwicklungen der kommenden Monate?
„Ich meine mit dem Herantasten mit kleinen Schritten die ständige Prüfung der Umwelt und der Rahmenbedingungen auf mögliche Änderungen verbunden mit der Bereitschaft und Flexibilität, schnell und entschlossen Anpassungen vorzunehmen, wenn sich zum Beispiel die Beschaffungssituation verändert oder zusätzliche Liquidität benötigt wird. Wir brauchen alles, aber keine Glaubensgrundsätze, sondern Konzentration und Handlungswillen auf strategischer wie auf operativer Ebene.“

Wo sehen Sie die größten Chancen für den Mittelstand, seine Marktposition vielleicht sogar zu verbessern oder seine Widerstandsfähigkeit zu stärken?
„Der Mittelstand hat gegenüber Konzernen und Aktiengesellschaften durchaus Wettbewerbsvorteile, er muss sie nur auch ausspielen. Ich möchte gerne die wichtigsten nennen. Der Mittelstand ist näher am Menschen dran, an den Kunden wie auch an den Mitarbeitern, an Kapitalgebern und an Lieferanten. Er kennt seine Kunden vor Ort und ist auch sehr viel besser in der Lage, im Wettbewerb um die besten Köpfe eine persönliche Bindung zu Mitarbeitern aufzubauen, sie zu fördern, weil die direkte Ansprache da ist. Mittelständler denken deutlich langfristiger als Publikumsaktionäre und Investmentgesellschaften, die an schnellen Profiten interessiert sind. Sie binden stets auch das Denken an die nächste Generation in ihre strategischen Entscheidungen ein. Das ist im Kern nachhaltiges Denken. Und durch die Regionalität, die räumliche wie gedankliche Nähe handelt der Mittelstand auch nachhaltiger als etwa Online Player, die ständig Waren von A nach B verschicken und zur Not auch ein Teil um die halbe Welt versenden, um es ‚nachhaltig‘ produzieren zu lassen. Der Mittelstand ist weit flexibler, beweglicher als ein große Konzern mit seinen komplexen, teils verkrusteten Strukturen. Und als letzter Punkt haben wir jetzt die Chance, Preispunkte zu korrigieren, da bei aller Transparenz die Preisstrukturen für die Verbraucher doch nicht so einfach zu verstehen sind wie zum Beispiel die Preise bei Butter oder einem Liter Milch. Mode ist erklärungsbedürftig und Preissteigerungen lassen sich argumentativ leichter begründen, vor allem dann, wenn die Kunden persönlich bekannt sind, was ja häufig der Fall ist.“

Zwei Punkte, die Sie in Ihrer Rede angesprochen hatten, würden wir gerne aufgreifen. Das ist zum einen das Metaverse, von dem viele sagen, es werde auch den Handel revolutionieren. Sie sehen das Metaverse operativ kurzfristig nicht auf uns zukommen, oder?
„Metaverse! Ein toller Begriff wie Resilienz oder Sustainability, der vorgeblich alles erklärt, aber von dem im Grunde niemand so recht weiß, was er wirklich bedeutet. Ich halte es mit André Gide: ‚Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben.‘ Ich habe noch keinen Berater oder Experten gefunden, der glaubhaft sagen kann, was uns das Metaverse tatsächlich bringen wird. Gut möglich, dass es für die Luxusbranche einen großen Mehrwert hat, wenn eine Luxustaschenmarke ihr neuestes echtes Krokodil-Teil mit einem besonderen Token ausstattet, der die Tasche noch mal 10.000 Euro teurer macht, weil dieser streng limitiert ist und die Damen nicht so einfach an das Objekt der Begierde kommen. Aber selbst für Premiummarken glaube ich nicht, dass das Metaverse zumindest kurzfristig eine unternehmerische Relevanz haben wird. Das heißt aber nicht, das Metaverse nicht aus den Augenwinkeln zu beobachten und zu reagieren, wenn dann die Relevanz für uns doch kommen sollte. Das ist es, was ich auch eben meinte. Es geht darum, den richtigen Zeitpunkt herauszufinden, wann man handeln muss. Nehmen Sie amazon. Im Jahr 2000 hat kein Modehändler gedacht, dass amazon zum ganz großen Player und Konkurrenten aufsteigen würde. Wer aber bis 2010 immer tatenlos zugesehen hat, dürfte beim E-Commerce zu spät dran gewesen sein.“

Der zweite Punkt sind der Self-Checkout und das kontaktlose Bezahlen im Store, von dem Sie sagen, es könnte schon recht bald alltäglich in deutschen Läden sein und nicht nur im Lebensmittelhandel. Wie sollte der Mittelstand damit umgehen abwarten, bis die ersten Lösungen im Modehandel den Praxistest bestanden haben, oder vorweggehen und Innovationskraft zeigen?
„Ich glaube, Mittelständler müssen nun nicht First Mover sein, aber Early Follower. Wir dürfen es aber nicht wieder zulassen, dass die H&Ms und ZARAs dieser Welt losmarschieren, wir nichts tun und den Mittelstand alt aussehen lassen. Da sehe ich übrigens die Plattformen und Verbundgruppen in der Pflicht, hier alle Komponenten (von der Technologie bis hin zu Fragen des Datenschutzes) zusammenzufügen und praxistaugliche Lösungen anzubieten.“