Es muss nicht immer Sari sein

Mode und Bollywood

Mit der Bridal Couture Show 2023/24, präsentiert von 85 Models in Mumbais Jio World Convention Centre, feierte Manish Malhotra World das 18-jährige Bestehen der Marke. Showstopper waren die Bollywood-Stars Alia Bhatt und Ranveer Singh. © Manish Malhotra World

Autorin: Eva Westhoff 
Bollywood und die Mode pflegen enge Bande und die sind mindestens ebenso facettenreich wie das indische Kino. Ein Blick nach Südasien und über Genregrenzen hinweg.     

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© Aparna Ram/Roli Books

„Es steht außer Frage, dass Filme die Art und Weise beeinflussen, wie sich viele indische Frauen kleiden“, schreibt Sujata Assomull, Modejournalistin und seinerzeit erste Chefredakteurin von Harper’s Bazaar India. 2020 ist das Buch „100 Iconic Bollywood Costumes“ erschienen, an dem sie als Autorin maßgeblich mitgewirkt hat. Im Zentrum der Veröffentlichung stehen die kunstvollen Illustrationen von Aparna Ram. Die Kostüme, die sie auf Papier gebannt hat, entstammen allesamt Bollywood-Produktionen, von den 1950ern bis zur Gegenwart. „Indem es einige der ikonischsten Momente der Mode im Film herausgreift, zeichnet dieses Buch die Kulturgeschichte sowohl des Kinos als auch des Kostümdesigns in Indien nach und wird für Modestudenten, Kunsthistoriker und jeden, der sich für Bollywood begeistert, von Interesse sein“, so Assomull.  

Szene aus „Rangeela“ von 1995, Kostümdesign für Urmila Matondkar: Manish Malhotra. © Ram Gopal Varma/youtube

Trendsetter Bollywood. Auf der jungen Publishing-Plattform „The Established“ schildert Autorin Saloni Dhruv ihr eigenes Erleben: „Als ich Urmila Matondkar zum ersten Mal mit geknotetem blauen Hemd und brauner Hose in dem Song ‚Yaaron Sun Lo Zara‘ aus ‚Rangeela‘ (1995) sah, dachte ich: Niemand auf der Leinwand sieht cooler aus als sie. Von Aamir Khans gelber Kombi bis zu Matondkars easy-breezy Minikleidern ist jeder Look aus dem Film zeitlos.“ Schon mit dieser Aussage wird offenbar, dass das Thema Bollywood-Fashion wesentlich weiter führt als bis zum Klischee der Sari tragenden Schönheit, die ihrer Hochzeit entgegentanzt. Und noch etwas deutet sich an: Bollywood und seine Looks werden in Indien nicht nur vom weiblichen Geschlecht adaptiert. Auch die Männer blicken Richtung Mumbai.  

Unvergessliche Looks 

Das Vorwort für „100 Iconic Bollywood Costumes“ hat Manish Malhotra verfasst. Er ist Kostümbildner und hat für seine Arbeit für „Rangeela“ den Filmfare Award für das beste Kostümdesign erhalten, einen Preis, der mit diesem Film erst eingeführt wurde. Malhotra ist außerdem einer der bekanntesten Designer des Landes. Das indische Wirtschaftsmagazin BW Businessworld listete ihn jüngst unter die „Top 10 Male Fashion Designers Who Redefined Fashion Trends“. Er habe Bollywood-Größen „einige der unvergesslichsten Mode-Looks“ verpasst, heißt es unter anderem zur Begründung. Malhotra, der seine High-Fashion-Marke 2004 gegründet hat, ist bekannt für die experimentelle Verschmelzung moderner und traditioneller Elemente. In der Internet Movie Database (IMDb) ist er als Kostümdesigner von über 100 Filmen aufgeführt. „Was den wirklichen Erfolg des Kostüms ausmachte, war seine Verfügbarkeit allerorten“, erinnert sich der 57-Jährige in der Times of India an die Resonanz, die seine Arbeit für „Rangeela“ hervorrief. Insbesondere Urmila Matondkars Kostüme seien so beliebt gewesen, dass plötzlich überall Kopien erhältlich gewesen seien.  

Auszüge aus „100 Iconic Bollywood Costumes“; Sujata Assomull (Autorin) und Aparna Ram (Illustratorin). Illustration links: Urmila Matondkar und Sridevi in „Judaai“ (1997). Kostümdesign: Sunita Kapoor, Manish Malhotra, Prachin’s, Madhav’s Men’s Modes, Arjun Khanna, Gabbana. © Aparna Ram. Illustration rechts: Deepika Padukone in „Padmaavat“ (2018). Kostümdesign: Rimple and Harpreet Narula, Chandrakant Sonawane, Ajay Kmr (Background), Maxima Basu (Supporting Cast). © Aparna Ram. https://rolibooks.com/product/100-iconic-bollywood-costumes/

Nicht anders verhielt es sich mit dem kobaltblauen Sari, den Malhotra für Bollywood-Star Deepika Padukone kreiert hat. Sie trug ihn in „Yeh Jawaani Hai Deewani“ („Lass dein Glück nicht ziehen“, 2013). Zehn Jahre nach Erscheinen des Films wird der Sari in der Presse als ikonisch gefeiert – noch immer. Und auch der Look des männlichen Hauptdarstellers Ranbir Kapoor ist bis heute im Gedächtnis geblieben. „Yeh Jawaani Hai Deewani“ habe zu einem Comeback der Flanellhemden geführt, welche Kapoor auf der Leinwand meist mit einer Lederjacke oder einer kurzen Pufferjacke kombinierte. Sein Stil sei die ideale Mischung aus Trend und Komfort gewesen und habe den Millennial-Männern perfekt entsprochen, urteilt das Online-Magazin MensXP in einem Beitrag mit dem Titel „5 Bollywood Movies That Gave Men Major Fashion Inspiration & Changed The Way They Dressed“.  

„Yeh Jawaani Hai Deewani“ ist ein Paradebeispiel dafür, wie Bollywood zwei Dinge zusammenführt, die für den westlichen Betrachter zunächst weit auseinanderliegen mögen: einerseits Casual Wear, andererseits die sogenannte Ethnic Wear. Während sich die Darsteller in der ersten Filmhälfte in legeren, ihre Filmpersönlichkeiten unterstreichenden Outfits präsentieren, stehen in der zweiten Hälfte die Hochzeitsfeierlichkeiten im Fokus – und damit traditionelle indische Kleidung wie eben der Sari.  

In diesem Nebeneinander der Stile beziehungsweise Segmente spiegeln sich die Strukturen der indischen Modeindustrie wider. Ein Blick in die Online-Shops indischer Designer genügt, um festzustellen, dass viele beides produzieren, sowohl Ethnic Wear als auch Casual Wear beziehungsweise Designermode nach westlichem Vorbild, kurz: sogenannte Western Wear. In ihrer Dissertation zum Thema „Mode und Körper im neoliberalen Indien“ stellt Laila Abu-Er-Rub heraus, dass die meisten Designer ihre Kreationen gemäß diesen Begrifflichkeiten ordnen. „Trotz der institutionellen Strukturen, welche die Modeindustrie des Subkontinents heutzutage mit der in anderen Ländern teilt, ist indische Mode in vieler Hinsicht anders“, schreibt Abu-Er-Rub. Zwar würden vor allem junge Designer vermehrt auf die Produktion von Casual Wear setzen. Der Löwenanteil des Umsatzes der indischen High-Fashion-Industrie werde jedoch mit opulenter Ethnic Wear verdient, die als traditionelles Kulturerbe vermarktet, und zwar von Designern entworfen, aber meist von Kunsthandwerkern hergestellt werde.  

Ethnic Wear versus Western Wear 

Manish Malhotra, Bridal Couture Show 2023/24. © Manish Malhotra World

Wie das geflügelte Wort von der „Big Fat Indian Wedding“ nahelegt, spielt dabei die Bridal Wear eine herausragende Rolle. Viele Designhäuser halten sie bereit, und das nicht nur als kleine Kapseln. Anregungen finden sie auch in Bollywood, bei Vorbildern wie Deepika Padukone und ihrem Sari, aber beispielsweise auch beim männlichen Cast von „Kal Ho Naa Ho“ („Lebe und denke nicht an morgen“, 2003) und den von diesem getragenen prachtvollen Sherwanis, einmal mehr aus der Feder von Manish Malhotra. „Die in Bollywood präsentierte Kleidung hat mittlerweile einen eklektischen Stil, der von Designern und Stylisten ganz bewusst als solcher entworfen wird“, stellt Laila Abu-Er-Rub fest. Die Mischung aus indischer und westlicher Designerkleidung entspreche dem, was auch in den Lifestyle-Zeitschriften an modischer Vielfalt indischer Designer präsentiert werde, gemischt mit global anerkannten Modemarken, die Status und Prestige kommunizierten.   

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„Nur in wenigen Kulturen spielen Filme eine so große Rolle wie in Indien: Ihr Einfluss auf die Formation nationaler Identität nach der indischen Unabhängigkeitsbewegung ist kaum zu überschätzen“, so ein Fazit von Abu-Er-Rub. Doch warum ist die indische Mode so stark von Bollywood-Filmen beeinflusst? Dieser Frage geht auch Saloni Dhruv nach. Vielleicht liege dies auch daran, dass Laufstegpräsentationen bisweilen als elitär und schwer zugänglich betrachtet würden, so ihre Überlegung. Fakt ist: Die erste Lakmé Fashion Week fand 2000 in Delhi statt, die Bollywood-Filmindustrie ist wesentlich älter – älter auch als der Beruf des Modedesigners. Der sei, wie Abu-Er-Rub herausstellt, in Indien vor der Wirtschaftsliberalisierung in den frühen 1990ern nahezu unbekannt gewesen.  

„Ich glaube nicht, dass viele Leute die Mode auf dem Laufsteg verfolgen. Das Kino hingegen ist für alle da. Die Figuren, die die Menschen auf der Leinwand sehen, sind ihre Ikonen und von ihnen lassen sie sich inspirieren“, zitiert Dhruv den Kostümdesigner Arjun Bhasin. Bhasin, der sich auch als Fashion Editor der GQ India einen Namen gemacht hat, bewegt sich sowohl in Bollywood als auch in Hollywood beziehungsweise den USA. „Monsoon Wedding“ und „Life of Pi“ sind nur zwei Wegmarken in seiner internationalen Kostümbildnerlaufbahn. In Bollywood gilt bereits sein erster Film „Dil Chahta Hai“ („Freunde wie wir“, 2001) als wegweisend. Von einer stilprägenden Casual Wear ist die Rede, von der Loslösung von Bekleidungsklischees. Und auch Bhasin wurde von der BW Businessworld unter die „Top 10 Male Fashion Designers Who Redefined Fashion Trends“ gewählt – als Kostümdesigner ohne eigene Modemarke, wohlgemerkt.  

Stilikonen und „Showstopper“ 

Doch die Bollywood-Schauspielerinnen und -Schauspieler sind nicht nur Stilikonen, sie agieren auch als Werbeträger für die indische Modeindustrie. Eines der beliebtesten Leinwandpaare, Ranveer Singh und Alia Bhatt, war bei Manish Malhotras Bridal Couture Show 2023/24 „Showstopper“, und mit Bhatt hat der Designer zuletzt auch im Rahmen von „Mi wardrobe is Su wardrobe“ kooperiert. Diese Initiative geht auf die Schauspielerin selbst zurück: Prominente stellen hier ihre handverlesenen Lieblingsstücke aus ihrem Kleiderschrank zum Verkauf für einen guten Zweck zur Verfügung. Alia Bhatt geht als Vorbild fleißig voran: Unter der Überschrift „Sarees for Ranis“ wurden jüngst die Chiffon-Saris verkauft, die Malhotra ihr für den Film Rocky Aur Rani Kii Prem Kahaani“ (2023) auf den Leib geschneidert hatte.  

Doch nicht nur die indische Modeindustrie vertraut ihre Marken dem Image der Bollywood-Größen an, auch Global Player tun dies. Alia Bhatt kooperiert unter anderem mit GUCCI und LEVI’S, Ranveer Singh mit adidas ORIGINALS und ebenfalls mit GUCCI, Deepika Padukone mit LOUIS VUITTON, Priyanka Chopra Jonas mit BULGARI … Und selbst wenn keine Kooperationen im engeren Sinne bestehen, bleibt Bollywood für die indische Modeindustrie eine wichtige Referenz.  

Auf der Website des Designers Rahul Mishra, der seine Kreationen auch in Paris zeigt, finden sich unter der Rubrik „Celebrities & Influencers“ Bilder von Bollywood-Größen, die Mishras handbestickte Hosenanzüge, Kurta-Sets oder Kleider tragen, darunter Karisma Kapoor und Samantha Ruth Prabhu. Auch „Slumdog Millionaire“-Darstellerin Freida Pinto ist zu entdecken. „We, The People“ hat WOOLMARK-Preisträger Rahul Mishra seine Couture Fall 2023 überschrieben. Die Kollektion sei nicht zuletzt Ausdruck der Bemühungen der Marke, die lokalen Handweber und Handsticker zu stärken, heißt es auf der Website. Mehr als 1.000 Kunsthandwerker könnten sich nun ihren Lebensunterhalt nachhaltig sichern. „Ich möchte Kleidung schaffen, die auf der bedeutenden Handwerkskunst des Landes basiert und die die Menschen einbezieht, die an diesen Kollektionen arbeiten. Auf diese Weise möchte ich den Menschen vermitteln, dass die indische Ästhetik eine globale Ästhetik ist“, äußerte Mishra gegenüber Forbes India. Sprachs, nachdem er die Hollywood-Schauspielerin Zendaya mit einer sehr freien Sari-Interpretation ausgestattet hatte.