Feeling Accepted

Koreanisches Design

„Korea wird oft als ein Land beschrieben, in dem sich Tradition und Moderne überschneiden. Man sieht Menschen, die im modernisierten Hanbok, das ist traditionelle Kleidung, zur Arbeit fahren, während sie einen Film auf ihrem Handy ansehen, der mit der schnellsten Internetgeschwindigkeit der Welt heruntergeladen wurde", sagt der Designer Jeakyong Sim. ©Ruben Cortelletti and Andrea Genini

Autorin: Katja Vaders
Nicht nur die avantgardistischen Designs, auch das Konzept hinter dem Label ACCEPTANCE LETTER des koreanischen Modemachers Jeakyong Sim ist ultramodern: Alle Teile sind genderneutral und nachhaltig. Zudem möchte der Designer die Einzigartigkeit sowie die ganz individuelle Schönheit ihrer Trägerinnen und Träger unterstreichen und wirbt damit für eine Akzeptanz der Vielfalt und der Inklusion. FASHION TODAY sprach mit Jeakyong Sim über seine Mode und wie es der Gesellschaft in seinem Heimatland Korea gelingt, sich zwischen Tradition und Moderne zu bewegen.

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Jeakyong Sim ©Lan Philipp

FASHION TODAY: Jeakyong, Sie haben noch ein recht junges Label mit Namen ACCEPTANCE LETTER. Was ist das Konzept hinter Ihren Designs?
„Nach unserer ersten Kollektion im Januar 2023 waren wir auf der ganzen Welt aktiv, von Europa über Asien bis Nordamerika. Mit jeder unserer beiden Kollektionen auf der BERLIN FASHION WEEK und der SEOUL FASHION WEEK sowie der Teilnahme an großen Messen sind wir gewachsen und haben unsere Welt aus verspielten Silhouetten und Farbakzenten vorgestellt. Egal, ob man seine Garderobe von Grund auf neu zusammenstellen oder den aktuellen Kleiderschrank mit etwas ausgefalleneren Optionen aktualisieren möchte: Wir haben das richtige Teil in unserer Kollektion.“

Was bedeutet der Name Ihres Labels, ACCEPTANCE LETTER?
„,ACCEPTANCE LETTERS‘ sind die Bestätigung einer Genehmigung und werden genutzt, um eine Arbeit anzuerkennen beziehungsweise ihr zuzustimmen. So ein Interpunktionszeichen in unserem Leben signalisiert, dass wir offiziell einer Gruppe beigetreten sind. Ich wollte dieses Gefühl der Sehnsucht, der Wärme und der Verbundenheit durch meine Arbeit weitergeben.“

Sie haben Headquarter in Seoul und Berlin. Warum haben Sie die deutsche Hauptstadt als einen Standort für Ihr Label gewählt?
„Dafür gibt es zwei Gründe. Auf persönlicher Ebene wollte ich in Berlin leben und die Freiheit genießen, die diese Stadt zu bieten hat. Andererseits bin ich hier ganz in der Nähe von Paris und anderen europäischen Städten, in denen ich immer wieder zu tun habe. Berlin bietet mir also den Zugang zu vielen Möglichkeiten, auf persönlicher wie auch auf beruflicher Ebene.“

©Seoul Fashion Week

Die koreanische Gesellschaft hingegen gilt als sehr konservativ. Auf welche Bereiche bezieht sich dieser Konservatismus – und wie unterscheidet sich das gesellschaftliche Leben in Korea von dem in Deutschland, insbesondere in einer so freien Stadt wie Berlin?
„Wenn ich an die Lebensbereiche in Korea denke, die ich als eher konservativ empfinde, fallen mir gleich mehrere Dinge ein: Die Herangehensweise an das Thema Diversität ist noch lange nicht ausgereift. Ich habe immer noch nicht erlebt, dass verschiedene Körpertypen, queere Menschen aller Spektren, Menschen mit Behinderungen oder Migrantinnen und Migranten in den Medien oder in der Gesellschaft insgesamt angemessen (oder überhaupt) vertreten sind. Das Gleiche gilt für die Wahrnehmung von Themen der psychischen Gesundheit und ihrer Bedeutung in der breiten Öffentlichkeit. Nehmen wir an, die koreanische Kultur ist ein schöner Teppich: Immer, wenn etwas nicht der Norm entspricht, schieben wir es unter den Teppich, und inzwischen ist es darunter ziemlich verklumpt.
In Berlin hingegen finde ich es einfacher, eine Gruppe von Menschen zu finden, in der die eigene Individualität respektiert und gefeiert wird. Ich habe das Glück, Teil einer solchen Gruppe zu sein; und das hat mich dazu veranlasst, so lange dort zu bleiben. Aber natürlich ist auch in Berlin nicht alles perfekt. Dieses Gefühl der Freiheit hat seinen Preis und auch ihre Bedeutung ändert sich mit der Zeit.“

Diese FASHION-TODAY-Ausgabe befasst sich schwerpunktmäßig mit Korea. Von außen hat man den Eindruck, als wäre es ein Land zwischen Tradition und Moderne. Ist das wirklich so? Und wie würden Sie diesen Kulturclash beschreiben?
„In der Tat wird Korea oft als ein Land beschrieben, in dem sich Tradition und Moderne überschneiden. Man sieht Menschen, die im modernisierten Hanbok, das ist traditionelle Kleidung, zur Arbeit fahren, während sie einen Film auf ihrem Handy ansehen, der mit der schnellsten Internetgeschwindigkeit der Welt heruntergeladen wurde. Foodtrends ändern sich rasend schnell und die breite Öffentlichkeit ist begeistert von fusionierten Varianten traditioneller Gerichte. Das alles geht so schnell, dass man das Gefühl hat, die gesamte Welt läge einem zu Füßen.
Es gibt aber auch einen Konflikt zwischen der Tradition und sozialen Dynamiken, ganz besonders zwischen den verschiedenen Generationen. Bei meiner ersten Laufstegshow auf der Seouler Fashion Week wurde ich zum Beispiel damit konfrontiert, wie die Alters- und Machthierarchien in der Modebranche in Korea funktionieren. ,Wer ist hier der Vorgesetzte?‘, ist eine wichtige Frage. Unabhängig davon, ob ich das überflüssig finde oder nicht, ist es ein unausgesprochener Verhaltenskodex, mit dem ich mich auseinandersetzen muss.“

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©Seoul Fashion Week

Ein wichtiger Bestandteil der koreanischen Gesellschaft ist bis heute der Konfuzianismus, der immer noch viele Menschen in Korea beeinflusst. Folgen auch Sie den Lehren des Konfuzius und finden sie sich vielleicht sogar in Ihrer Mode wieder?
„Ja, das stimmt. Ich persönlich habe allerdings Schwierigkeiten, die Lehren eines Aristokraten aus dem Jahr 551 vor Christus als relevant anzusehen. Was die Mode betrifft, so glaube ich, dass es in der heutigen koreanischen Kultur einen klaren Unterton konfuzianischer Werte gibt, der sich auch in der Kleidung der Menschen widerspiegelt. Das Wertesystem ist auf institutionellem und gruppeninternem Kollektivismus aufgebaut. Man möchte zwar gut aussehen, aber es ist nicht unbedingt im eigenen Interesse, zu sehr aufzufallen. Meiner Meinung nach hat uns das geholfen, einen Weg zu finden, Schönheit in zwei Sprachen, der Subtilität und einer angenehmen Subversion, zu kreieren, und das ist sehr reizvoll für die Welt in den 2020er-Jahren. Was meine Designs angeht, so glaube ich, dass auch mich das alles bis zu einem gewissen Grad beeinflusst. Es ist wohl nur natürlich, dass sich die eigene Lebenserfahrung in meinen Entwürfen widerspiegelt. Ich bin in Seoul geboren, habe meine Ausbildung in Antwerpen absolviert und lebe in Berlin.“

Sie sagen: „Wir sind ein geschlechtsfreies, dezentrales Modelabel mit Sitz in Berlin und Seoul. Hinter dem Namen der Marke steckt eine Botschaft.“ Was ist das für eine Botschaft? Und was bedeuten „geschlechtsfrei“ und „dezentralisiert“ für Sie?
„Geschlechtsfrei bedeutet: Weder ich noch meine Kleidung geben vor, wer oder wie sie getragen werden soll. Und mit ,dezentralisiert‘ meine ich, dass unsere Präsentations- oder Verkaufsaktivitäten, die Designregie oder die Entscheidungsfindung zwischen meinen Mitarbeitenden und mir stattfinden, unabhängig davon, wo sich das Atelier oder das Büro befindet.“

Berlin und Seoul – wird es bald einen weiteren Standort von ACCEPTANCE LETTER geben? Und in welcher Stadt könnte der sein?
„Auf absehbare Zeit werden wir erst einmal weiter an Berlin und Seoul festhalten. Wir werden also aktuell keinen neuen Standort eröffnen, aber wir arbeiten daran, unsere Präsenz auf dem japanischen und südostasiatischen Markt zu erweitern. Unsere oberste Priorität ist es, unsere Mode einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Und wer weiß – vielleicht wird es in den nächsten Jahren auch weitere Standorte in anderen Städten geben.“

Wir wünschen Ihnen dabei viel Erfolg und danken für das sehr inspirierende Gespräch.