La moda italiana

Stilfragen

Lapo Cianchi trat unlängst als Director of Communications der Pitti Uomo zurück. „In Italien hat man großen Respekt für das ,Made in Germany‘ und euer Design, auch wenn Mode nicht das Erste ist, was einem in den Sinn kommt, wenn man an Deutschland denkt.“ ©Pitti Immagine

Autorin: Katja Vaders
Italien ist ein absolutes Modeland; und es gibt wohl keine italienischere Fashion-Messe als die Pitti Uomo, die seit 1972 in Florenz stattfindet. Auch wenn inzwischen viele der hier ausstellenden Marken nicht mehr heimisch sind, sondern aus dem Ausland kommen, sind italienische Hersteller nach wie vor eine wichtige Säule innerhalb der internationalen Textilindustrie und stehen für Qualität, Tradition und Eleganz. Lapo Cianchi war viele Jahre einer der Macher der Pitti Uomo – jetzt geht er in den Ruhestand, zumindest teilweise. FASHION TODAY sprach mit ihm über die Besonderheiten der italienischen Mode und Herrenanzüge und wie er trotz seines Rücktritts als Director of Communications der Pitti erhalten bleiben wird.

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FASHION TODAY: Lapo, ich würde Ihnen als Italiener zunächst gerne eine Frage zum wohl klassischsten Kleidungsstück des Mannes stellen: Was ist so besonders am italienischen Anzug – und was unterscheidet ihn vom klassischen englischen Anzug?
Lapo Cianchi: „Ich bin kein Experte auf diesem Gebiet, aber es scheint mir, als wären beide verschiedene Versionen eines Anzugs, der den klassischen Standards entspricht. Der Unterschied ist vielleicht, dass das italienische Schneiderhandwerk mehr Raum für persönliche Interpretationen lässt, Komfort und weichere Stoffe bevorzugt, während das britische Tailoring dazu tendiert, strukturierter und daher etwas starrer zu sein. Die italienische Jacke beispielsweise ist ungepolstert, kürzer, für eine schlankere, dynamischere Körperhaltung konzipiert und lässt sich auch besser mit Farben und Mustern kombinieren.“

Was macht generell die Faszination italienischer Mode aus?
„Abgesehen von den Fähigkeiten unserer Modedesigner, Unternehmer und unserer weltberühmten Handwerkskunst, hat diese Faszination meiner Meinung nach viel damit zu tun, dass man italienische Mode mit unserer Lebensweise identifiziert. Dazu gehört unser Sinn für die schönen Dinge und dass wir das Leben an sich mit einem gewissen Geist der Harmonie assoziieren. Es gibt in Italien die Tendenz, sich eher den positiven Aspekten des Daseins zu widmen, aber gleichzeitig seine dramatischen – oder sogar tragischen – Elemente zu akzeptieren, ohne dabei den Fokus auf die komischen Seiten und den Glauben an die Möglichkeit der Erlösung zu verlieren. Meine Darstellung hat natürlich keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit und ist gleichermaßen von Klischees geprägt. Vielleicht ist sie sogar das Produkt der tief verwurzelten Liebe von uns Italienern zur Melodramatik.“

Welchen Stellenwert haben Mode und das Tragen von Anzügen in der italienischen Bevölkerung?
„Es gibt natürlich ganz viele verschiedene Italiener – genauso, wie es nicht DEN Deutschen oder DEN Franzosen gibt, die Menschen sind überall unterschiedlich. Wenn wir allerdings die Art von Mode genauer betrachten, die den Zeitgeist widerspiegelt – oder ihn sogar antizipiert – und sich somit schnell weiterentwickelt, glaube ich, dass die meisten Italiener an so einer Mode nicht besonders interessiert sind. Sie ist vielmehr eine kulturelle und ästhetische Herausforderung für Traditionen und etablierte Normen; außerdem ist Mode immer auch ein persönliches Projekt. Das sind keine Eigenschaften, die typischerweise Italienern zugeschrieben werden. Uns ist aber wichtig, uns gut zu kleiden, unterschiedliche Stile zu entwickeln … und doch, wenn es uns denn gelingt, mit Mode eine gewisse Harmonie zwischen Körper, Persönlichkeit und Kleidung herzustellen, wird das Ergebnis hier in Italien oft bewundert und hat zudem Wiedererkennungswert.“

„Abgesehen von den Fähigkeiten unserer Modedesigner, Unternehmer und unserer weltberühmten Handwerkskunst, hat die Faszination italienischer Mode meiner Meinung nach viel damit zu tun, dass man italienische Mode mit unserer Lebensweise identifiziert.“

Italienische Mode ist immer wieder Thema in Filmen und Serien wie bei „House of Gucci“. Klassische Designer wie ARMANI, VERSACE, GUCCI und PRADA werden von Fußballstars und damit auch von jungen Männern aus den Vorstädten verehrt und getragen – wenn manchmal auch als Fake. Was glauben Sie, warum ausgerechnet die italienischen Designer so gut bei dieser Zielgruppe ankommen?
„Ist das so? Wenn ja, denke ich, dass der wichtigste Vertreter hier ARMANI ist – Gründe dafür sind sowohl sein weltweiter Erfolg als auch sein Vermächtnis. Denken Sie doch nur an Richard Geres Kleidung in dem Film ,American Gigolo‘ – die Hemden, das Ritual, wie er sie mit Accessoires kombinierte – oder, 20 Jahre später, ,Amercian Psycho‘ mit Christian Bales kalter, makelloser Eleganz, hinter der sich ein skrupelloser, amoralischer Serienkiller verbarg. Diese Kleidung hat etwas ganz Besonderes an sich: die Art und Weise, wie sie den männlichen Körper, je nach Kontext, verführerisch oder bedrohlich wirken lässt, die offensichtliche Selbstdarstellung, die gleichzeitig die Möglichkeit der Verhüllung zulässt, die weiche Form, die dennoch eine kraftvolle Wirkung erzielt, die gleichzeitig Erotik, Macht und zeitlosen Erfolg transportiert. Andere italienische Marken wie DOLCE & GABBANA – PRADA würde ich in diesem Zusammenhang ausnehmen – sind diesem Beispiel gefolgt, natürlich in ihrer ganz eigenen Designsprache. Es fällt jedoch auf, dass das Tragen dieser Kleidung oder die Verbindung mit diesen Marken offenbar keinen kulturellen Filter erfordert. Man muss sich in ihnen nicht in einem bestimmten Zeitraum oder konzeptionellen Rahmen bewegen, wie es bei den großen japanischen, französischen oder belgischen Designern möglicherweise erforderlich ist. Was man von der Kleidung sieht und über sie weiß, ist völlig ausreichend.“

Es gibt deutsche Marken wie bugatti und C. BRÜHL, die auf dem italienischen Markt erfolgreich sind. Wie schaffen diese Marken das?
„Schwer zu sagen. In Italien hat man großen Respekt für das ,Made in Germany‘ und euer Design, auch wenn Mode nicht das Erste ist, was einem in den Sinn kommt, wenn man an Deutschland denkt. Diese Marken scheinen zwar kommerziell sehr erfolgreich zu sein, aber ich glaube nicht, dass sich dies auf dem italienischen Markt bereits in Bezug auf ihr Image und die Markenkommunikation ausgewirkt hat – vielleicht ist es dafür noch zu früh. Dennoch glaube ich, dass diese deutschen Marken ein gutes Gleichgewicht zwischen Qualität, Preis und Vielseitigkeit geschaffen haben.“

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Zum Abschluss noch eine persönliche Frage: Offiziell hören Sie auf, bei der Pitti Uomo als Director of Communications and Special Events zu arbeiten, werden aber noch weiter für die Messe tätig sein. Wie kam es zu dem Entschluss, sich aus Ihrer Position zu verabschieden – und wie und warum bleiben Sie der Pitti trotzdem noch erhalten?
„Ich habe mich für den Ruhestand entschieden, weil die Zeit dafür gekommen ist. Außerdem hatte ich, metaphorisch gesprochen, das Bedürfnis, einen Schlussstrich zu ziehen. Allerdings werde ich noch eine Weile die Leitung der Pitti Discovery Foundation innehaben, des kulturellen Zweigs der Pitti Imagine, der sich mit der Beziehung zwischen Mode und anderen zeitgenössischen Ausdrucksformen beschäftigt. Danach sehen wir weiter …“

Wir sind gespannt, was noch kommt, wünschen Ihnen alles Gute und danken sehr für das Gespräch!

Lapo Cianchi ist gebürtiger Florentiner und bereits seit vielen Jahren für die Kommunikation und Special Events bei Pitti Immagine, einer der weltweit bedeutendsten Messegesellschaften, tätig.

Zudem lehrt er an der Universität Siena.

Bevor er im Jahr 1989 zu Pitti Immagine kam, studierte er Philosophie und arbeitete als Journalist. Außerdem war er aktiv in der italienischen Schwimmmannschaft. Lapo Cianchi ist verheiratet und hat zwei Söhne.