Autor: Markus OessAxel Frey, CEO der Seifert Logistics GmbH, ein Logistikunternehmen mit rund 350 Millionen Euro geplantem Umsatz für 2025, hat vor elf Monaten begonnen, gemeinsam mit der KI-Firma BLOCKBRAIN einen digitalen Wissens-Zwilling zu entwickeln. Läuft, erklärt Frey im Gespräch mit FASHION TODAY. Warum Frey selbst den Anfang gemacht hat, wie der digitale Zwilling funktioniert und was bei seinem Ausscheiden aus dem Unternehmen mit dem Zwilling passiert.

Darüber hinaus geht es um die nächste Stufe: Wissenstransfer und Nachvollziehbarkeit für alle wichtigen Positionen im Unternehmen.“ Seifert Logistics GmbH
Vor einem Jahr stellte Axel Frey auf einer internen Konferenz die Frage, wie Führungskräfte Wissen besser dokumentieren und im Unternehmen verfügbar machen können. Kein eben leichtes Unterfangen für ein europaweit agierendes Unternehmen mit mehr als 3.500 Mitarbeitenden an mehr als 45 Standorten. Die Antwort: ein digitaler Zwilling, der Entscheidungen, Informationsflüsse und Arbeitsweisen abbildet. Im Interview beschreibt Frey die Entstehung, Umsetzung und Herausforderungen des Projekts – sowie die nächsten Schritte. Das Projekt soll Effizienzgewinne von bis zu 15 Prozent ermöglichen und Wissen im Unternehmen dauerhaft verfügbar machen.
FASHION TODAY: Wie kam die Idee zustande, einen digitalen (Wissens-)Zwilling erstellen zu lassen?
Axel Frey: „Ich probiere gerne Neues aus – Innovation gehört für mich zum Alltag. Als die Idee aufkam, Wissen in Form eines digitalen Zwillings abzubilden, war für mich sofort klar: Ich fange einfach selbst an. Gerade weil das Thema bei vielen zunächst auch mit Unsicherheiten verbunden ist – schließlich öffnet man damit in gewisser Weise sein eigenes Wissen –, wollte ich mit gutem Beispiel vorangehen.
Mir war wichtig zu zeigen: Ich stehe voll hinter dieser Entwicklung und ich weiß aus eigener Erfahrung, wie sie funktioniert und welche Grenzen man braucht. Natürlich wird dabei nichts unüberlegt geteilt – alles wird sorgfältig getestet, bevor jemand Zugriff erhält. So schaffen wir Vertrauen in eine Technologie, die unser Wissen sichert und zugleich die Zusammenarbeit auf ein neues Niveau hebt.“
Was ist das eigentliche Ziel des Projektes?
„Das Ziel ist, Wissen und Informationen rund um die Uhr verfügbar zu machen – unabhängig von Ort und Zeit.
Darüber hinaus geht es um die nächste Stufe: Wissenstransfer und Nachvollziehbarkeit für alle wichtigen Positionen im Unternehmen. So entsteht eine Art ,unternehmensweite Wissensinfrastruktur‘.“
Was bringt es, Wissen zu teilen?
„Wissen zu teilen, bedeutet Effizienzgewinn – sowohl individuell als auch organisatorisch.
Für mich persönlich heißt das: weniger Suchzeiten, weniger doppelte Kommunikation, mehr Fokus. Der digitale Zwilling vergisst nichts, weder E-Mails noch Entscheidungen oder Zwischenergebnisse.“
Wie wird die Wissens-Hierarchie erstellt, um das Wissen entlang der tatsächlichen Hierarchie zu regeln?
„Das ist tatsächlich einer der anspruchsvollsten Punkte. Alles Wissen muss klassifiziert und nach Berechtigungen geordnet werden.
Die Wissens-Hierarchie orientiert sich an der tatsächlichen Unternehmensstruktur – also wer welches Wissen besitzen, einsehen oder weitergeben darf.
So bleibt sichergestellt, dass der Chatbot nur das teilt, was für den jeweiligen Empfänger relevant und freigegeben ist.“
Wie wurde der digitale Zwilling erstellt?
„Die Grundlage bildeten sämtliche E-Mails, die ich selbst geschrieben habe, sowie Präsentationen und Dokumente, die ich im Laufe der Zeit erarbeitet habe. Ergänzt wurde das Ganze durch strukturierte Interviews, in denen mein Wissen, meine Entscheidungswege und meine Kommunikationsweise systematisch erfasst wurden. Aus all diesen Quellen entstand ein umfassender Wissenskorpus, der mein berufliches Denken und Handeln abbildet.
Doch die Arbeit hört damit nicht auf – im Gegenteil: Ein digitaler Zwilling ist nie ,fertig‘, sondern lernt kontinuierlich weiter. Der Chatbot weiß nur das, was man ihm mitteilt. Deshalb nehme ich mir regelmäßig Zeit, um meine Learnings und Erfahrungen aus dem Arbeitsalltag zu reflektieren und gezielt neues Wissen einzupflegen. So wächst und verbessert sich der Zwilling Tag für Tag – genau wie ich selbst.“
Welche waren die größten Probleme dabei?
„Der gesamte Prozess ist sehr zeitintensiv – ich habe in Summe bestimmt 150 Stunden verbracht, um mein Wissen in den Chatbot zu laden.
Darüber hinaus erfordert die Klassifizierung des Wissens klare Strukturen und Regeln, damit nur die richtigen Informationen gespeichert und korrekt eingeordnet werden. Auch die Balance zwischen Datenschutz und Effizienz war eine Herausforderung – sensible Informationen müssen geschützt bleiben, während der digitale Zwilling dennoch optimal arbeiten kann.“
„Die Fehlerquote liegt aktuell bei unter 5 Prozent. Das System ist inzwischen sehr stabil, vor allem, weil es auf kontextbasiertes Wissen zurückgreifen kann, das aus echten Arbeitsprozessen stammt.“
Wo setzen Sicherheitsinteressen (Wissen im Unternehmen selbst) und Datenschutz Grenzen, etwa um zu verhindern, dass Firmeninterna nicht abgezogen werden?
„Damit Unternehmenswissen geschützt bleibt, müssen klare Sicherheits- und Datenschutzmaßnahmen greifen. Grundlage sind dabei die ISO 27001 und die DSGVO, die für den sicheren Umgang mit Informationen sorgen.
Durch ein fortschrittliches Rechte- und Datenmanagement (zum Beispiel Role-based Access Control und Delegated Access) erhalten Mitarbeitende nur Zugriff auf die Daten, die sie wirklich benötigen.
Zudem wird sichergestellt, dass KI-Systeme (LLMs) Daten nicht zu Trainingszwecken verwenden und keine Informationen dauerhaft speichern (Zero Data Retention).
Alle Systeme laufen auf europäischer Infrastruktur mit klar offengelegten Serverstandorten und sämtliche Daten sind verschlüsselt.“
Wie hoch ist die Fehlerquote in der Nutzung, beispielsweise Halluzinationen, Fragen falsch oder nicht verstanden et cetera?
„Überraschend gering – die Fehlerquote liegt aktuell bei unter 5 Prozent. Das System ist inzwischen sehr stabil, vor allem, weil es auf kontextbasiertes Wissen zurückgreifen kann, das aus echten Arbeitsprozessen stammt.“
Wie weit ist der Stand heute, was läuft, wo hakt es noch?
„Für mich persönlich ist das System bereits ein echter Effizienztreiber – ich schätze die Zeitersparnis auf 15 bis 20 Prozent im Tagesgeschäft. Wo es noch hakt, ist die flächendeckende Einführung: Wir müssen sicherstellen, dass jede Information korrekt klassifiziert ist, bevor der Roll-out auf weitere Ebenen erfolgt.
Das Thema Berechtigung und Informationsfreigabe ist also noch in Arbeit.“
Welche Learnings gibt es bisher?
„Ein wesentliches Learning ist, dass ein digitaler Wissens-Zwilling kein IT-Projekt, sondern ein Kulturprojekt ist. Man muss lernen, Wissen bewusst zu teilen, sauber zu strukturieren und Verantwortung für Datenqualität zu übernehmen.“
Wie geht es weiter, was sind die nächsten Schritte?
„Der nächste Schritt ist der Roll-out auf weitere Schlüsselpositionen im Unternehmen.
Langfristig sollen die einzelnen digitalen Zwillinge miteinander interagieren und voneinander lernen. So entsteht eine Art kollektive Unternehmensintelligenz, die das Wissen aller bündelt und zugänglich macht.“
Was raten Sie anderen Firmen, die sich entscheiden, ebenfalls einen digitalen Wissens-Zwilling zu implementieren?
„Einfach anfangen – und keine Angst haben. Perfektion am Anfang ist unrealistisch; entscheidend ist, dass man den ersten Schritt macht.“
Was passiert eigentlich mit diesem Zwilling, wenn Sie aus dem Unternehmen ausscheiden?
„Der digitale Zwilling bleibt im Unternehmen – schließlich basiert er auf Wissen, das im Unternehmen entstanden ist. Er dient dann als Wissensspeicher und Orientierungshilfe für Nachfolger.“
Das Unternehmen

Der Manager
Axel Frey ist seit Februar 2022 CEO der Seifert Logistics Group. Zuvor war er dort bereits als COO tätig (2020 bis 2022) und verantwortete operative Prozesse und Strukturen. Seine Laufbahn im Unternehmen begann 2008 als Projektmanager. Es folgten Positionen als administrativer Leiter (2013 bis 2015) und Leiter Business Development (2015 bis 2019), bevor er 2020 in die Geschäftsführung aufstieg. Insgesamt arbeitet Frey seit über 17 Jahren für die Seifert Logistics Group.
Parallel zu seinen Führungsaufgaben ist Frey seit 2012 als Dozent an der DHBW Heidenheim tätig, zudem lehrte er von 2021 bis 2023 an der Hochschule Neu-Ulm.

