Der Erfolg wartet nicht

Editorial

Markus Oess ©FT

Ist es übertrieben, die zurückliegende Ausgabe der Berliner Messen als Erfolg zu bezeichnen, obwohl ganz augenscheinlich weniger Besucher kamen? Mitnichten und das hat gute Gründe:

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Das Glas ist halb voll! Da gibt es zum einen die Marken, die mit einer positiven Grundhaltung in die Hauptstadt kommen und sich mit innovativen Produkten in einem guten Umfeld zu präsentieren wissen. Die grünen Messen haben sich fest etabliert. Das spanische Label ECOALF arbeitet mit recyceltem Kunststoff und bezahlt Fischer dafür, den Müll aus dem Meer zu fischen. LANGBRETT, Berlin, kämpft mit einer eigenen Akademie dafür, dass erst gar keine Mikrofasern ausgespült werden und ins Meer gelangen. Jetzt haben die beiden Gründer, Alexander Holte und Oliver Spies, sogar ein Waschmittel patentieren lassen, das das Ausspülen der Fasern beim Waschen deutlich reduziert. Das niederländische Öko-Label KUYICHI ist wiedererstarkt und verspürt eine wachsende Nachfrage nach nachhaltiger Ware. Für Sören Maihack vom schwedischen Streetwear-Label DEDICATED ist die grüne Messe gesetzt, obwohl die Marke auch auf der SEEK präsent ist.

Nicht alle, aber alle gut. Der dänische Menswear-Spezialist BERTONI stellt auf der PREMIUM aus. Mike Alsdorf, der deutsche Vertriebschef und Mitgesellschafter, fühlt sich am Gleisdreieck pudelwohl. „Mag sein“, sagt er, „dass weniger Besucher kommen, aber es kommen die richtigen, die, die erfolgreich sind.“OLYMP-Chef Mark Bezner bespielt in Berlin zwei Messen (PREMIUM für SIGNATURE und PANORAMA für OLYMP). Er sieht sein Unternehmen in rauer See auf Kurs. Für Bezner ist Berlin gesetzt. Auf der PANORAMA ergibt sich ein ähnliches Bild. Die Gänge sind weniger gefüllt, aber die Qualität der Besucher ist noch immer gut. Zu Berlin, sagt Marco Nachtrab, Chef von BRÜHL, gebe es keine Alternative. Der Hosenanbieter hat ein Nischenprodukt und sich dort fest etabliert. Nachtrab blickt trotz aller Herausforderungen zuversichtlich auf die nächsten Monate.

Es kommt darauf an, was man daraus macht! Jan ten Brinke, Geschäftsführer LERROS, ist ein bekennender Verfechter von Berlin:„Top Infrastruktur – alle marktrelevanten Marken und Händler sind vertreten. Auch Mainstream lässt sich spannend inszenieren und mit einer klaren Aussage am PoS. Wenn die Händler nicht kommen, müssen wir uns fragen, ob wir uns genügend angestrengt haben, und nicht mit dem Finger auf andere zeigen.“ Manager wie Justo J. Gallardo von BENVENUTO fragen sich, was die Marken selbst unternehmen können, um die Anziehungskraft der Messen zu steigern. Auch auf der SELVEDGE RUN sind solche Stimmen zu hören, wenn die Gründer von BLAUMANN mahnen, die Händler noch stärker ins Boot zu holen. Diesmal lag aber auch der Messetermin ungünstig. Paris war früher dran als Berlin und der zeitliche Abstand zu groß. Viele Aussteller aus den USA und Japan, aber auch Besucher können es sich dann auch nicht leisten, in Europa wochenlang auf Tour zu gehen.

Kollektiv versagt? Man sollte nicht vergessen, dass bei allem Bestreben, eine Plattform zu bilden, dahinter auch der Geschäftszweck darin besteht, mit Messen Geld zu verdienen. Folglich ist jedem Veranstalter an einem nachhaltigen Erfolg gelegen. Sicher treffen die Messemacher Fehlentscheidungen, sind manche konzeptionellen Änderungen etwas unglücklich verlaufen oder haben sich am Markt nicht durchgesetzt. Aber deswegen den Berlinern ein kollektives Unvermögen zu bescheinigen, ist schlicht unsinnig. PANORAMA-Chef Jörg Wichmann zum Beispiel sagt selbst, seine Messe werde sich neu fokussieren. Handlungsbedarf bestehe bei einzelnen Punkten, etwa dem Mix der Hallen oder bei einzelnen Konzeptbausteinen der Messen, aber der Standort funktioniere.

Immer noch hochgradigeffizient!Dieter Gambke, Vertriebs-Chef von Création Gross, Hersbruck, bringt es auf den Punkt, wenn er sagt, dass er hier in Berlin in drei Tagen so viele qualitativ gute Gespräche führe, für die er sonst ein halbes Jahr im Auto unterwegs sei. Die Messen sind auch im digitalen Zeitalter immer noch hochgradig effizient. Und der Handel? Wenn ein Händler nicht auf Messen fährt und die Gelegenheit ungenutzt verstreichen lässt, mit den Entscheidern aus der Industrie zu sprechen, seine Marken im Wettbewerbsumfeld zu vergleichen und Neues zu entdecken, darf sich nicht wundern, wenn er eines Tages aufwacht und merkt, dass er den Markt verschlafen hat. Denn die Effizienz gilt natürlich umgekehrt für den Händler. In Berlin kann er in drei Tagen so viele Marken abarbeiten, die er sonst in einem halben Jahr nicht schaffen würde. Wir reden nicht von der Mondlandung. Wer als Händler sich dem Berlin-Besuch verweigert und sagt: „Ich kann nicht“, sollte sich im Klaren sei, dass er damit meint: „Ich will nicht.“Und das ist nicht eben die beste Entscheidung. Der Erfolg wartet nicht.

Ihr

Markus Oess