Lost ENERGIE

Die Suche nach einem Erfolgslabel

„Under construction“: Die ENERGIE-Homepage befindet sich derzeit im „Schwebemodus“ ©ENERGIE
Autorin: Cordelia Albert

ENERGIE? Stimmt, da gab es das Label mit dem schwarz unterlegten „E“. Die erfolgreiche, zur Sixty Group gehörende Marke ist aus dem Bewusstsein so gut wie verschwunden. Als hätte sie all ihre „Energie“ verloren.

WERBUNG

Es gibt die Aussage: Wenn man nicht im Internet präsent ist, dann gibt es einen nicht. Für die Marke ENERGIE hieße das frei übersetzt, irgendwie gibt es sie schon, aber scheinbar muss sie sich erst einmal selbst (wieder)finden. Eben „temporarily under construction“, wie es auf der Homepage steht.

Dabei war das Label mit dem schwarz unterlegten „E“ in der Mitte mal eine echte Erfolgsgeschichte, die ganz eng mit seinem Gründer Vittorio Hassan verbunden ist. Vittorio, der sich selbst „Wicky“ nannte, wurde als Sohn libyscher Eltern in Tripolis geboren und wuchs später in Mailand auf. Ursprünglich wollte er Maler werden, doch er fand keinen Zugang zum Kunstmarkt. Stattdessen landete er in der Modebranche, arbeitete als Auspacker in Modegeschäften und sammelte als Verkäufer Branchenerfahrung. In Rom eröffnete Vittorio seinen ersten Laden, dem er den Namen „Energie“ gab. Zunächst verkaufte er die Styles, die ihm gefielen, doch bald fing er an, selbst zu entwerfen. Seine Hosen, in deren Nähte er beispielsweise alte mexikanische Stoffe einarbeitete, wurden in Rom zum Renner, Schlangen standen vor seinem Geschäft. Vom Erfolg beflügelt, gründete er 1983 seine Marke ENERGIE und 1989 zusammen mit Renato Rossy die Sixty Group. Während Rossy für den betriebswirtschaftlichen Bereich zuständig war, kreierte Hassan als Chefdesigner die ENERGIE-Outfits, die eine große Fangemeinde fanden. 1991 war dann die Geburtsstunde der Fashionmarke MISS SIXTY, die mit ihren jungen, trendigen Jeans-Looks schnell den Erfolg von ENERGIE, das eher auf den männlichen Kunden ausgerichtet war, überflügelte. Zusätzlich übernahm die Sixty Group den Vertrieb der Marken MURPHY & NYE, Refrigi Wear, KILLAH sowie Richlu & Baracuta.

WERBUNG
In manchem Kleiderschrank finden sich noch Modelle aus der Erfolgszeit des Labels. ©privat (Jürgen Höck)

Aufstieg und Fall

Vor allem durch MISS SIXTY erlebte die Firmenguppe international einen rasanten Aufstieg. Weltweit wurden eigene Stores eröffnet, Prominente posierten in der Marke. Im Jahr 2003 hatte die Firma weltweit bereits 2.400 Mitarbeiter und einen Umsatz von 650 Millionen Euro. In diesem Umfeld wuchs auch ENERGIE. Doch dann bremste die Textilkrise den Erfolg aus, die Umsätze gingen in den kommenden Jahren zurück. Einen schweren Einschnitt bedeutete der frühe Tod von „Wicky“, der 2011 an Krebs starb: Die Umsatzzahlen gingen drastisch zurück, andere Marken verdrängten die Labels der Gruppe und bereits 2012 musste das Unternehmen Insolvenz anmelden und den Vertrieb aller Marken einstellen. Die Sixty Group wurde an den chinesischen Investor Crescent Hyde Park verkauft, der 2014 entschied, sich vom westeuropäischen Markt zurückzuziehen und ausschließlich auf dem amerikanischen und osteuropäischen zu agieren. 2016 entschloss sich die Sixty Group, die Marke in Italien, Großbritannien und Frankreich neu einzuführen. Mit der Herbst/Winter-Kollektion 2017/18 startete eine Vertriebsagentur einen neuen Versuch für das DACH-Gebiet, allerdings allein mit MISS SIXTY und nur für kurze Zeit. ENERGIE steht aktuell nicht im Fokus des Interesses. Das Label ist in einigen Läden und Online-Shops mit wenigen Styles vertreten und es gibt in Deutschland zwei Sixty-ENERGIE-Stores, in Oberhausen und in Köln. Im Bewusstsein der heutigen Jugend ist die Marke nicht vorhanden, wohl aber noch in den Schränken der Fans von damals.