Tradition Meets Future

PITTI TRENDS

Autor: Winfried Rollmann

In Florenz werden die zahlreichen Facetten der internationalen Menswear in einer unglaublichen Vielfalt zelebriert. Mehr als 1.200 Brands waren auf der PITTI UOMO #95 vertreten, davon kommen 542 aus dem Ausland. Trotz der Zahl der Mosaiksteine der Kreationen lassen sich einige Thesen über den „New Look“ des Winters 2019/20 formulieren. In einer „Deep Immersion“ ist die Fashion-Today-Redaktion der Sache auf den Grund gegangen. Die Motivation ist klar, Florenz ist mit seinem Anbieterspektrum deutlich näher an einer für den Handel relevanten Prognose als die Mailänder Catwalks.

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Die 95. Edition der Pitti zeigte auch diesmal gebündelte Kreativ-Power. Dem Team um Raffaello Napoleone reichte es nicht, die arrivierten Brands möglichst gut in Szene zu setzen, sie bemühten sich mit gleicher Energie um die internationale Avantgarde. Mit den Catwalks von Y/PROJECT oder Beyond Closet wagte man sich auf einen sehr progressiven Weg vor. Die Veranstalter haben begriffen: Nur wenn wir uns in die Zukunft projizieren, können wir die Gegenwart meistern. Für viele Designer der Menswear ist Pitti Uomo das Sprungbrett. So sehen denn auch viele Avantgarde- Designer ihren Auftritt in Florenz zu Recht als Ritterschlag der Menswear-Szene an.

Die immer zahlreicher vertretenen deutschen Aussteller trafen bei der Pitti auf ein explizit internationales Besucherspektrum, das beste Investment für ihre Export-initiativen. Als wichtiger Neuzugang hat JOOP! gezeigt, dass sein Komplettangebot auf Augenhöhe mit den italienischen Mitbewerbern ist.

Das Motto „IN THE BOX“ unterstrich die Diversität der Männerbilder. Agostino Poletto, General Manager Pitti, sagt: „The Pitti Box setzt auf den Überraschungsfaktor.“In übersättigten Märkten liegt hier sicher ein wichtiger Schlüssel der Kundenansprache.

„Tradition Meets Future“ ist die stilistische Klammer der Saison. Nach Saisons einer Athleisure-Dominanz ist deutlich spürbar, wie sich smartere Looks auf sartorialer Basis wieder in Szene setzen. Es genügt aber keinesfalls, alte Dresscodes nur wieder abzustauben. Future Performance macht aus ihnen eine Garderobe, die mit unserem modernen Leben Schritt hält. ZZegna hat hier mit seiner E-City-Kollektion deutlich gemacht, wie perfekt sich Hightech mit akkuratem Tailoring verbinden lässt.

Eine weitere zentrale Botschaft ist der Outdoor-Einfluss. Es geht nicht so sehr um den nächsten Hiking Trail, sondern um die Idee von Outdoor in der Stadt. Sie kommt unserer Natursehnsucht entgegen. Es reicht nicht mehr, dunkle Funktionswear zu entwickeln. Damit lassen sich Männer nicht mehr abspeisen. Sie wollen den Full Flavour von Materialmix, Farben und starken Visuals, die Spaß machen. Hier hat die Pitti reichlich Inspiration geliefert. Nach der vergeigten Outdoor-Saison mussten die Macher auch wirklich liefern, um die Einkäufer wieder zu motivieren.

Unübersehbar ist der visuelle Impact der markanten Checks und ausdrucksvoller Drucke. Statt schüchterner Faux-Unis zeigen plakative Checks Charakter. Prints behaupten sich in Eigenständigkeit und werden damit zu Alleinstellungsmerkmalen. Statt Minimalismus erzählt die Männermode in reichen Bildern vom prallen Leben.

SOFT SELL

Cozy Comfort können Männer sich nächsten Winter nicht mehr entziehen. Die Key Message liegt dabei im Material. Cord hat mit Verwöhntouch einen großen Auftritt. Star ist der weiße Cord in mittlerer bis breiter Rippe, wie ihn BRUNELLO CUCINELLI in Hosen und JOOP! im Anzug umgesetzt hat. Konsumiger dürften die rauchigeren mittleren Töne in alteas Overshirts sein. Knit zeigt spannende helle Reliefbilder (Gran Sasso) in den Edelhaar-Melangen mit Cashmere, Alpaka und neuerdings auch Yak (JEORDIE‘S). Wie in einer luxuriösen Loungewear gesellen sich entspannte softer konstruierte Hosen wie bei ALPHA dazu. Das überlange Stehkragenhemd (TIGER OF SWEDEN) und ein weißer Filzhut von SUPER DUPER runden stilsicher ab.

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ON FIRE!

Wer die Farben eines Indian Summers einmal erlebt hat vergisst sie nicht mehr. Feuriges Rotorange, sattes Goldgelb und alle Schattierungen warmer Braunnuancen geben Stoffen eine expressive Präsenz. Bei Materialien ist TEDDY Shootingstar. Ob als Hoodie (snow peak), als Jacke (ELEMENT / GRIFFIN) oder Coat (Beyond Closet), er macht modisch eine gute Figur. Im Windschatten von TEDDY erfährt auch Lammfell als luxuriöser Verwandter eine positive Neubewertung. Patina Aviators bei DRM, soft gecrashtes Lammfell bei RUFFO oder die Cabans bei ALDO MARIA CAMILLO sind starke Argumente. Markante Checks haben Fonds in warmen Braunnuancen, die Coats bei SAND oder die Nylonparkas bei OOF werden zum Statement im Sortiment. Dazu passen grafischer Folk Knit von MALO oder Drumohr oder die expressiven Krawatten von altea. Drucke in Hemden (ORIAN) oder Accessoires (Drake‘s) haben auf Farbfonds ein großes Differenzierungspotenzial.

WORK-OUT

Workwear und artisanales Handwerk setzen Casual Looks mit Authentic Flavour in Szene. Natürlich sustainable, ein immer wichtigeres Argument. Möglichst regional oder in kleinen Manufakturen gewebt, werden Stoffe zum authentischen Kulturgut. Detailreich und als Quasiunikate überzeugen Customized Denims von Maurizio Massimo oder von Roy Rogers. Aufwendigster Handstrick bei PRINGLE OF SCOTLAND oder INIS MEÁIN reflektiert lokale Mustertradition. Key Pieces sind diese Saison versatile Westen in Multifunktion, wie bei sow peak, und die lässigen Overshirts bei CLOSED. Das Indigo-Stehkragenhemd von tintoriaMattei ergänzt schlüssig. Jacken in natürlicher Multifunktion, Materialmix und Waxy Finishes werden zum besten Begleiter im Herbst (Barbour. ENGINEERED GARMENTS).

GO OUT!

Pitti bespielte eine ganze Halle mit dem Motto „Go out!“. Outdoor at its best. Der Hikingtrend ist ungebrochen und bringt uns im Moment die expressivsten Modebilder. Ob die Multimix-Parkas von GRIFFIN oder WOOLRICH mit Wollcheck, Nylon und Teddy oder die derben karierten Overshirts von Deus Ex Machina, sie sind ein Augenschmaus. Für den Handel sind sie ideale Lockstoffe. HERNO zeigt in seiner LAMINAR-Kollektion, wie sich authentische Wollen mit Hightech zu unwiderstehlichen modernen Jacken entwickeln, POLLINI macht das Gleiche mit seinen Hiking Boots. Kernige Flanellhemden von XACUS oder Cordhemden mit narrativen Landschaftsprints von PRESIDENT‘S ergänzen genauso stilsicher wie die Folk-Impressionen von GABRIELE PASINI.

DYNAMIC FUTURE

Unser modernes Leben verlangt uns immer mehr Mobilität ab. Den Trend zur E-Mobility hat ZZegna in einer sehr schlüssigen Inszenierung eingefangen. Mit sartorialer Akribie entwickelte Jackets oder Coats werden mit technischen Features multifunktionell. Performance Layers haben genauso wie weitenverstellbare E-Biker-Hosen High Function. SEASE, das Techlabel von REDA, treibt die Fashionperformance noch weiter in die Zukunft. Rucksäcke mit Solarpanels und Drone Jackets in elastischem Nylon mit ergonomischen Schnittführungen setzen auf Hyperperformance. Puffer Jackets in bauschiger Daunen-, immer öfter auch Tech-down-Füllung sind ein Key Piece der Jackenorder. Ultraleicht (Mackage) oft in Farbstatements (AFTER LABEL), sind sie der unentbehrliche Begleiter für den nächsten Winter. 90s Colour Statements wie Neon-Akzente oder unterkühlte Rave Colours (Best Company) modernisieren die Farbpalette

MILANO TASTE

Formals spielen wieder eine deutlich wichtigere Rolle. Nach der Sport-Overdose wächst die Sehnsucht nach sartorialer Ästhetik. Im Stil einer Mailänder Neoklassik ist sie klar präsent. Die zweireihigen City Coats von LARDINI oder die Karo-Coats von JOOP! sind Orderfavoriten. In der Kombi dazu lässige volle Rollkragenpullover (CIRCOLO). Neuer Farbfavorit in der Story ist ein tiefes Braun (TOMBOLINI), das neben Camel eine tragende Rolle in der Saison-Farbpalette hat. In Checks animierte Zweireiher bauen bei DOPPIAA auf Camel auf. Drumohr verbindet sie stilsicher in grafischen Retropatterns. Zweireihige Suits, verkürzte Bundfaltenhosen (MYTHS) und Retroschnürboots (MINORONZONI) runden den Milano Chic perfekt ab.

COVERBOY

Das Thema Show-off erlangt in der Menswear einen neuen Status. Männer haben deutlich mehr Lust, sich zu inszenieren und damit spielerisch expressiver aufzutreten. Brands wie BALMAIN oder PHILIPP PLEIN surfen damit seit Saisons auf einer Erfolgswelle. In Florenz gab es dazu zwei Hypothesen. Die eine ist die des rebellischen Glam Cowboys aus „Sailor & Lula“ mit Tuxedos in Animal Prints (SAND), dazu passen natürlich nur exklusive Western Boots (SILVANO SASSETTI). Cooler spielt den Rebellen ALDO MARIO CAMILLAin Red und Black. Die andere Option ist die eines eher verträumten Bohemiens à la GUCCI. Hier geht es um markante Tartans (PT01) oder um Fancy Knit von roberto collina. Er ließ sich dabei von „Grand Budapest Hotel“, dem Film von Wes Anderson, inspirieren.
Und ist das nicht letztlich der Sinn von Mode, uns träumen zu lassen und uns zu inspirieren?