„Garçonnes und wilde Partys“

„Der Mann hat das natürliche Bedürfnis, gut auszusehen, egal wo er seine Outfits dafür einkauft.“ Alle Bilder ©HARTWICH

Autor: Markus Oess

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Sie zählt zu den festen Größen in der deutschen Designerszene. Doris Hartwich ist seit drei Jahrzehnten mit ihrem eigenen Label, das ihren Namen trägt, am Markt. Sie kennt die Höhen und Tiefen eines Designerlebens und sie ist immer noch mit vollem Herzblut bei der Sache. Wir haben mit der Münchnerin über Zeit und Zeitloses gesprochen. Mit der Patina des Altgedienten jedenfalls kann sie nichts anfangen.

Mein Wert ist meine Handschrift.“ Doris Hartwich

FT: Frau Hartwich, wenn Sie wählen könnten – in welchem Jahrhundert würden Sie gerne mal einen Tag leben und arbeiten?
Doris Hartwich: „In den Goldenen Zwanzigern, den Roaring Twenties. Es würde mich reizen, tagsüber die Garçonnes mit Männermode auszustatten und nachts die wilden Partys zu erleben. Und Coco Chanel im Atelier über die Schulter zu schauen.“

Was bedeutet Zeit für Sie als Designerin?
„Zeit ist eines der wertvollsten und leider auch der seltensten Güter. Wenn man sie hat, sollte man sie schätzen und dementsprechend nutzen. Ich widme sie Familie und Freunden und auch meiner Kreativität.“

Sie sind jetzt mehr als 30 Jahre im Geschäft, haben Hochzeiten erlebt und auch den Abschmelzungsprozess im Handel selbst erleben müssen. Viele Labels altern mit ihren Kunden. Die Patina ersetzt den Glanz früherer Tage. Was sagen Sie zur Formel alt gleich altmodisch?
„Alt gleich altmodisch bedeutet, stehen geblieben zu sein. Das darf sich keiner in der Mode leisten. Auch wenn man schon 30 Jahre arbeitet. Man muss sich immer wieder neu erfinden, dennoch seine Werte wahren. Mein Wert ist meine Handschrift. Mit der Handschrift interpretiere ich Trends und gehe immer wieder neue Wege.“

Das gilt auch für den Vertrieb. Wenn der stationäre Handel schmilzt, wächst der Online-Handel. Wo eine Tür sich schließt, geht eine andere auf. Der Mann hat das natürliche Bedürfnis, gut auszusehen, egal wo er seine Outfits dafür einkauft.“

Hat sich der Markenkern von DORIS HARTWICH mit der Zeit verändert?
„Nicht wirklich. Markenkern ist bei DORIS HARTWICH oder HARTWICH, wie sich die Marke heute nennt, die Tatsache, dass eine Frau hinter der Marke steht, die Männer aus dem weiblichen Blickwinkel anzieht. Und das mit Leidenschaft und eigener Handschrift, die unverwechselbar ist. Die besonderen Details und Kombinationen sind bei mir Pflichtprogramm.“

Haben Sie einen bestimmten Menschen im Kopf, wenn Sie Mode entwerfen?
„Zu Beginn der kreativen Phase denke ich erst einmal völlig losgelöst. Bevor ich das Modell final entscheide, denke ich an so manchen Stammkunden, zu dem ich persönlichen Kontakt pflege, und stelle mir vor, wie er darin aussehen würde.“

Wie hat sich über die Jahre die Arbeit als Designerin verändert, wie viel ist heute im Vergleich der 1980er-Jahre, in denen Sie Ihre Karriere begannen, Hand- und Kopfarbeit, wie viel geht über den Rechner?
„Am Anfang steht das Ideensammeln, da hat die digitale Welt schon viel zu bieten. Instagram, Pinterest und zahlreiche Schauen, die im Netz zu finden sind, sind sehr inspirierend. Aber dann kommt doch erst einmal der Bleistift dran, mit dem man das Kopfkino, das beim Recherchieren entsteht, auf Papier bannt. Erst danach kommt der technische Teil und dafür wieder der Computer zum Einsatz. Da ich jeden Prototyp sehe und korrigiere, bevor er Eingang in die Kollektion findet, sind wieder Kopf und Hand dran. Dennoch: Was digital heute möglich ist, verlangt nach großen Köpfen.“

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Glauben Sie, man könnte zumindest eine Weile mit dem Computer fehlendes Talent ausgleichen und überleben?
„Das kommt auf den Anspruch an. Viele Kollektionen am Markt leben ja von Kopien aus dem Netz. Hat man aber den Anspruch, eigenständig und anders und besonders zu sein, muss man sein Talent immer wieder aufs Neue einsetzen. Ein kreativer Kopf ist eben kein Computer.“

Wir haben uns in Berlin zur Fashion Week getroffen, irgendetwas Aufregendes entdeckt?
„Die Fashion Week Berlin nutze ich zum Netzwerken. Ideen suche ich bereits viel früher, sei es auf der Pitti Uomo oder auf den Straßen der Metropolen. Aber allein unser Meeting war aufregend genug.“

Johann Lafer in HARTWICH

Der Koch Johann Lafer hat sich in Ihrer Kollektion als Markenbotschafter ablichten lassen. Ist Mode auch ein Stück körperlicher Genuss?
„Durchaus kann Mode ein körperlicher Genuss sein. Wenn hochwertige Stoffe der Haut schmeicheln, ist es ein unmittelbares Genusserlebnis. Viele Männer tragen HARTWICH, weil sie sich optisch vom Mainstream abgrenzen wollen. Auch das kann genüsslich wirken. Johann und ich sind von unseren Botschaften nicht weit entfernt. Wir wollen Menschen Gutes tun, jeder auf seine Weise.“

Was zeigen Sie in Ihrer neuesten Kollektion und wo kann man ordern?
„Zum Beispiel: Hemd und Weste kommen aus fast gleichen Hemdenstoffen und bilden eine Kombi, bei der das Hemd offen über der Weste getragen wird. So wird selbst das offen getragene Hemd salonfähig.
Die Idee wird noch gesteigert, indem man dem Reißverschlusshemd bequeme Taschen für die Hände gibt. Die so entstandene Hemdjacke wird auf diese Weise zur leichtesten Sommerjacke. Ein Hingucker ist ein heller Baukasten-Anzug aus einer gestreiften Baumwoll-Leinen-Mischung. Sakko und Weste mit besonderem Stehkragen, die Hose mit Bundfalte. Gehrock und Jacke aus grobem Naturleinen erinnern an die Welt der Mille Miglia. Neu dazugekommen ist eine Serie zum Thema Event-Fashion. Mit Gehrock oder Brokat-Blazer, passender Weste und Hose und einer edlen Version des weißen Reißverschlusshemdes dazu, so kann der Event beginnen. Ordern kann man über unseren Außendienst, die Agenturen Mazur und Stöhr, oder man vereinbart einen Termin mit mir persönlich im Showroom in München.“

Schon mal ans Aufhören gedacht?
„Diese Frage stellt man mir immer wieder und ich antworte jedes Mal voller Überzeugung, dass ich so lange arbeiten werde, wie meine Kunden meine Ideen mögen und das Universum mich lässt. Aufhören ist keine Option. Im Gegenteil: Ich erfinde mich von Kollektion zu Kollektion neu. Das hält jung.“

  • Kollektion FS 2020

Mode in mehr als drei Jahrzehnten

 Seit 1985 macht Doris Hartwich unter ihrem Namen Mode exklusiv für Männer. Ihr Credo: „HARTWICH ist für Männer das öffentliche Bekenntnis zur eigenen Persönlichkeit“. Nach dem Designstudium und einer Assistenzzeit in Italien gründete sie 1986 die Männermodemarke DORIS HARTWICH. Lizenzpartner der ersten Stunde war die heutige bugatti Holding Brinkmann GmbH.

Neben ihrer eigenen Marke entwarf sie in den 1990er-Jahren die Corporate Fashion für die Deutsche Bahn AG. Sie entwickelte unter anderem auch Kollektionen für die Marken ORWELL und MEXX. 1998 erhielt Hartwich zusammen mit dem Lizenzpartner Esquire den Deutschen Lederwarenpreis für ihre Kollektion von Lederaccessoires. Seit 1998 veröffentlicht die Designerin Kollektionsbücher mit international bekannten Persönlichkeiten, die zu ihrer Männermode passen. Darunter zählen Namen wie Boxweltmeister Sven Ottke, der Hollywoodschauspieler David Gant oder H.P. Baxxter, Frontman der Band Scooter, sowie der russischen Maler Nikas Safronov und der Torhüter Sergei Ovchinnikov vom Traditionsverein Lokomotive Moskau. In den Jahren 2009/2010 wurde aus der Marke DORIS HARTWICH das Label HARTWICH. Im vergangenen Jahr zeichnete der VDMD (Verband Deutscher Mode- und Textil-Designer) Hartwich als Designerin des Jahres 2018 aus. Die Designerin lebt und arbeitet in München.