Crisis? What Crisis?

Mode in einem isolierten Land voller Regeln. (alle Bilder zum Label ©A2BYMATIN)

Autor: Andreas Grüter

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Mode ist Luxus – das gilt nicht nur fürs Tragen, sondern häufig auch fürs Machen, wie wir im Rahmen der Recherchen zu unserer zweiteiligen Serie „Crisis? What Crisis?“ zum Thema Mode in Krisenländern feststellen mussten. Nachdem wir im August mit DÁNTE und ROUSSIN zwei Labels aus Griechenland und der Ukraine zum Stand der Dinge befragt haben, standen uns für die aktuelle Ausgabe mit A2BYMATIN und clandestina Modemacher aus dem Iran und Kuba Rede und Antwort.

A2BYMATIN 

A2BYMATIN: Aida und Anahita Matin studierten Malerei in Teheran.

Seit der Islamischen Revolution von 1979 sieht sich der Iran mit internationalen Sanktionen konfrontiert, die das Land politisch und wirtschaftlich weitestgehend isoliert haben. Hinzu kommen rigide religiöse Gesetze und Regeln, die eine freie kulturelle Entfaltung nahezu verunmöglichen. Keine gute Ausgangsposition also, um sich mit einem Fashionlabel selbstständig zu machen. Aida und Anahita Matin haben den Schritt mit A2BYMATIN dennoch gewagt. Einblicke in schwierige Verhältnisse.

FT: Hallo Aida. Fashion made in Iran ist mit Sicherheit eine schwierige Angelegenheit. Wie kamt ihr auf die Idee, A2BYMATIN zu gründen?
Aida Matin: „Meine Schwester Anahita und ich haben beide Malerei an der Universität für Kunst und Architektur in Teheran studiert und bereits 2005 unter dem Namen MatinDesign unser erstes Label gegründet. 2016 folgte dann A2BYMATIN. In dieser Zeit steckte Anahita mitten in ihrem Modedesign-Studium an der IUAV in Venedig, das sie 2018 mit der ‚3434 KM‘-Kollektion, ein Verweis auf die Distanz zwischen Teheran und Venedig, mit Auszeichnung abschloss. Mit der Abschlussarbeit verbunden war die Idee, die Bewegung ‚Made in Tehran‘ zu gründen, um zu zeigen, wie erfolgreich iranische Modemacher trotz oder vielleicht auch wegen der ökonomischen, politischen und kulturellen Umstände in unserer Heimat sein können – sei es im In- oder im Ausland. Die Suche nach dieser Identität ist auch das Fundament von A2BYMATIN. Wir sind ein nomadisches Brand, arbeiten sowohl im Iran als auch in Italien und lassen uns von beiden Kulturen inspirieren. A2 ist also multikulturell im besten Sinne des Wortes. Unsere Designs spiegeln den Wandel von Persönlichkeit unter schwierigen ökonomischen, kulturellen und sozialen Situationen, Erfahrungen und Gefühlen wider.“

Im Iran herrschen vor allem für Frauen strikte Bekleidungsregeln. Trotzdem hattet ihr beispielsweise ein bauchfreies Oberteil in eurer Kollektion. Ich nehme an, es ist nicht gerade einfach, auf dem schmalen Grat zwischen gerade noch erlaubt und bereits verboten zu balancieren …
„Ja, es gibt jede Menge Regeln, die man beachten muss, und wir bewegen uns ständig entlang von Grenzen, die wir nicht übertreten dürfen. Interessanterweise ist es dann auch gar nicht das Design eines Shirts, das zu Problemen führen kann, sondern die Art, wie es auf Fotos am Model präsentiert wird. Wir sind also ziemlich viel damit beschäftigt, Wege zu finden, die uns größtmögliche Freiheiten garantieren. Das Shooting mit dem Oberteil, das du erwähntest, fand beispielsweise nicht im Iran statt und auch das Model kommt nicht aus dem Iran, weshalb die Behörden auch keine Einwände hatten. Die Bilder der aktuellen Kollektion wurden hingegen komplett im Iran geschossen und natürlich musste der Hijab Teil des Stylings sein. Spannend fand ich, dass er der Fotosession letztendlich einen ganz eigenen Twist gab.“

Allen strikten religiösen und politischen Regeln zum Trotz ist der Iran für seine lebendige Kunst-, Musik-, Mode- und Partyszene bekannt. Ist das für dich ein Widerspruch oder lediglich logische Konsequenz und inwiefern beeinflusst es deine Arbeit als Designerin?
„Iran ist ein modernes islamisches Land mit einer reichen Geschichte und Kultur. Hinzu kommt, dass mehr als ein Viertel der Bevölkerung aus jungen Leuten besteht, die neugierig sind auf das, was in der Welt passiert. Addiere die Möglichkeiten des Internets hinzu und du hast die Antwort. Es ist heutzutage überhaupt nicht mehr möglich, sich irgendwie von dem, was in der Welt geschieht, abzuschotten. Lebe den Moment und sei glücklich, ist ein globaler Wunsch, den es natürlich auch bei uns gibt. Um auf deine Frage zurückzukommen: kein Widerspruch, aber auch keine echte Konsequenz, sondern letztendlich die Wirkung des globalen Zeitgeists. Diese scheinbaren Gegensätze, die du angesprochen hast, finden sich häufig in entwickelten muslimischen Ländern. Große Teile der iranischen Jugend interessieren sich für Kunst oder sind selbst in dem Bereich aktiv, und das ist unsere Zielgruppe.“

Nach Jahren internationaler Sanktionen steht es um die iranische Wirtschaft nicht gut. Welchen Einfluss hat das auf eure Arbeit?
„Unser Hauptproblem ist auf jeden Fall der Stoffeinkauf. Viele Stoffe sind entweder gar nicht oder nur zu sehr hohen Preisen auf dem Markt zu bekommen und natürlich beeinflusst das nicht nur unsere Arbeit als Designerinnen, sondern auch als Labelbetreiberinnen. Unsere Kosten steigen und damit auch die Preise für unsere Styles, während gleichzeitig die ökonomische Situation unseres Kunden immer schlechter wird. Auf der anderen Seite sind es aber auch gerade die Sanktionen, die lokalen Independent-Designern die Möglichkeit geben, sich einen Namen zu machen. Die Konkurrenz ist halt klein.“

Wie hat sich das Label in den letzten drei Jahren entwickelt? Seid ihr nur auf dem iranischen Markt vertreten oder verkauft ihr auch im Ausland?
„Unser aktueller Fokus liegt auf dem iranischen Markt, aber wir verkaufen auch in die USA und nach Italien. Du kannst dir ja denken, dass es aufgrund der Sanktionen ziemlich schwer ist, unsere Ware zu versenden, und da hilft es, dass Anahita in Italien lebt.“

Wenn du drei Wünsche für die Zukunft deines Labels frei hättest, was würdest du dir wünschen?
„Diese kleinen grünen Knospen, die selbst durch den härtesten Beton ihren Weg an die Oberfläche finden, faszinieren mich. Sie zeigen, dass es immer einen Weg gibt, Dinge zum Erblühen zu bringen. Ich würde mir wünschen, dass wir in der nahen Zukunft Möglichkeiten bekommen, unser Label auch außerhalb der iranischen Modeszene zu zeigen und damit auch ‚Made in Tehran’ nach vorne zu bringen. Europa ist für uns sehr spannend und Niederlassungen in Berlin und Mailand zu haben, wäre ein Traum.“

www.instagram.com/a2bymatin

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clandestina

Seit der Kubanischen Revolution in den 1950er-Jahren stehen sich das sozialistische Kuba und die USA unversöhnlich gegenüber. Mit gravierenden Folgen für den Inselstaat, der vom großen Nachbarn mit einem weitreichenden, nahezu alle Bereiche des wirtschaftlichen und kulturellen Austauschs betreffenden Embargo belegt wurde. Nach einer kurzen Phase der Entspannung und Annäherung unter US-Präsident Obama vollführte sein Nachfolger Trump in den vergangenen Jahren eine Kehrtwende zurück zu harten Sanktionen. Was das für ein unabhängiges Fashionlabel bedeutet und wie man sich in einem Planwirtschaftssystem als Selbstständige behaupten kann, erzählt Idania del Río, die 2015 gemeinsam mit Leire Fernández clandestina in Havanna gegründet hat.

Idania del Rio und Leire Fernández (alle Bilder zum Label ©clandestina)

FT: Hallo Idania. Der Aufbau eines unabhängigen Modelabels ist in Kuba wahrscheinlich nicht ganz so einfach. Wie kam es zu clandestina?
Idania del Río: „Vor clandestina habe ich als Grafikdesignerin und Illustratorin für verschiedene Kunden gearbeitet und zudem meine Artworks auf Poster gedruckt und verkauft. Meine jetzige Partnerin Leire, eine gebürtige Spanierin, war im Auftrag der UNESCO in Kuba unterwegs und lud mich ein, an einem Projekt mitzuarbeiten. Und diese Zusammenarbeit hat dann nie aufgehört. Zuerst im Rahmen eines Theaterstücks und jetzt bei clandestina. Wir wollten etwas in Kuba machen und ein Designlabel passte genau in unser beider Vorstellung. clandestina bedeutet so viel wie ‚heimlich‘ oder ‚versteckt‘. Ein alternatives, nachhaltiges Gegenmodell zur Fast Fashion.“

Ich nehme an, Independent Business ist auf Kuba nicht sehr verbreitet. War es schwierig, das Label aufzubauen, und gab es irgendwelche Reaktionen seitens der Behörden?
„Es war sehr schwierig. Kuba ändert sich sehr langsam und es braucht ewig, bis sich neue Politikansätze in jedem Glied der Bürokratiekette durchgesetzt haben. Für uns war es ein ziemlich beschwerlicher Trip von null zu einem Unternehmen mit 30 Mitarbeitern. Wir kommunizieren mit den Behörden so klar wie möglich und sie haben mittlerweile verstanden, wie wir arbeiten. Sie lassen uns in Ruhe. Aber natürlich müssen wir irgendwie zusammenarbeiten. Schließlich geht es um die Zukunft von Kuba.“

Durch die US-Sanktionen war Kuba lange Zeit ziemlich isoliert. Mit Obama kam eine Lockerung und mit Trump als Präsident wird es jetzt wieder schlimmer. Welche Auswirkungen hat die aktuelle Entwicklung auf eure Arbeit als Designerinnen und Künstlerinnen?
„Die Entwicklung betrifft uns nicht nur als Privatpersonen, sondern natürlich auch als Unternehmerinnen. Wir konzentrieren uns aktuell verstärkt auf lokale Kunden, was ein positiver Effekt der Trump-Krise ist. Für Künstler und Designer ist es schwer, ohne den Tourismus zu überleben. Die kubanische Wirtschaft steckt in einer tiefen Depression, weil der heimische Markt schwach ist.“

Kennen Kubaner clandestina? Verkauft ihr hauptsächlich in Kuba oder auch im Ausland? Ich nehme an, es ist aktuell ziemlich schwierig, Geschäfte mit beispielsweise den USA zu machen.
„Seit der Gründung von clandestina haben wir uns vor allem auf Social-Media-Kanäle konzentriert, um das Label bekannter zu machen. Wir wollten, dass die Leute wissen, was wir tun, und wir wollten uns dabei speziell mit dem kubanischen Publikum austauschen. Schließlich hat der Großteil unserer Arbeit mit den kubanischen Alltagsrealitäten zu tun. Anfangs verkauften wir einen Großteil unserer Ware an Ausländer, die meisten davon Touristen. Dank umfangreicher Kommunikations- und Marketingmaßnahmen hat sich das geändert. Heute sind die meisten unserer Kunden Kubaner. Wir haben ein Treueprogramm mit Rabatten speziell für Einheimische entwickelt und diese Strategie funktioniert wirklich perfekt. Seit 2017 betreiben wir auch einen Online Store. Wir haben mit ein paar Shirts angefangen und mittlerweile sind fast alle unsere Produkte über das Web erhältlich. Vor ein paar Monaten haben wir mit dem Export in die USA begonnen, aber das ist wirklich schwierig, weil Kuba und die USA keine normalen Handelsbeziehungen (NTR) haben. Nur zwei Länder auf dieser Erde haben dieses Problem: Kuba und Nordkorea. Es ist alles sehr kompliziert.“

Welche Vor- und welche Nachteile hat es, ein Label auf Kuba zu betreiben?
„Echte Nachteile sind der Mangel an Ressourcen, der miese Ausbau des Internets und der schlechte Zugang zu internationalen Märkten. Die Vorteile sind das einzigartige kulturelle Erbe Kubas, das wir mit der Welt teilen können, sowie die einfallsreichen und kreativen Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten. Das Problem des Mangels haben wir übrigens für unsere ‚Vintrashe‘-Kollektion, ein Wortspiel aus Vintage und Trash, ziemlich gut gelöst. Wir haben uns auf dem lokalen Markt umgeschaut und kaufen für die Linie alles, was die Secondhand-Stores hergeben – von entsorgtem Nylon über Garn und Papier bis hin zu Plastik und Kartons. Was wir damit machen? Was immer das Kreativteam entscheidet. Eine ganze Welt von Produkten, die zu 99 Prozent in Kuba hergestellt werden. Und das Beste daran ist, dass jedes einzelne einzigartig ist.“

www.clandestina.co