Oldie but Goldie

In der Umkleide

Vermutlich geht es bei der Kette-trifft-Rolli-Kombination um die Vielschichtigkeit aus 1980er-Jahre-, Hip-Hop- und Existenzialismus-Referenzen, die damit einhergehen. Plus einer Prise Arbeiterklasse-Spirit. alle Bilder ©Dirk Mönkemöller

Autor: Dirk Mönkemöller
Unser Autor schlüpft jeden Monat in eine neue Haut und probiert modische Trends im Selbstversuch. Diesmal: eine Goldkette als Accessoire und Statement

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Ich wollte schon immer mal …

Ich fühle mich cool, etwas jünger sogar und leicht verwegen.

… etwas exaltierter daherkommen, als ich es eigentlich bin. Ein Blick in den Spiegel offenbart einen durchschnittlichen Typen mit ziemlich grauen Haaren, der weder tätowiert ist noch irgendwelchen Schmuck trägt – nicht mal eine Armbanduhr. Jetzt aber schöpfe ich aus dem Vollen und lege mir eine markante Kette um den Hals. Zugegeben: Die Kette ist silber- statt goldfarben, wertvoll ist sie auch nicht. Der schwarze Rollkragenpulli, den ich dazu trage, funktioniert als eine Art Leinwand, auf der die Kette wie ein Kunstwerk zur Schau gestellt ist.

Diesem Outfit begegnet man derzeit wieder häufiger. Zum Beispiel bei jungen Musikern wie der Wiener Sängerin Verifiziert. Vermutlich geht es ihnen bei der Kette-trifft-Rolli-Kombination um die Vielschichtigkeit aus 1980er-Jahre-, Hip-Hop- und Existenzialismus-Referenzen, die damit einhergehen. Plus einer Prise Arbeiterklasse-Spirit – gemäß dem Motto: Ein wenig Proll ist toll.

50 Cent trifft Steuerberater

Zunächst bin ich verblüfft darüber, was dieses minimale Outfit mit mir macht: Ich fühle mich cool, etwas jünger sogar und leicht verwegen. Der Pullover schmiegt sich eng an meinen Oberkörper, die Kette sorgt für einen Hauch von Bling-Bling. Vor meinem inneren Auge flackert eine Reihe von Bildern auf: das Plattencover von Simon & Garfunkel, das von Kruder & Dorfmeister nachgestellt wurde, Steve Jobs während seiner legendären Apple-Auftritte, Mike Skinner und seine Inszenierungen als einfacher Lad der britischen Unterschicht. Sogar Public-Enemy-Rapper Flavor Flav mit seiner überdimensionierten Uhr um den Hals huscht vorbei. Als ich bei 50 Cent und seinem opulenten Goldbehang lande, erreicht mich auf dem Handy eine Nachricht meines Steuerberaters. Und sofort bin ich zurück in der Realität.

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Drüber und drunter

Ist das Kettetragen eigentlich für jeden Typen geeignet?

Am nächsten Tag (die Steuererklärung ist nun abgegeben) denke ich darüber nach, was Männer dazu bewegt, sich eine Kette um den Hals zu legen. Und auf welche Weise sie es tun – ob sichtbar oder versteckt. Gründe gibt es viele: Sie kann ein Statussymbol sein, das von Stolz, Reichtum oder Street Credibility zeugt (dann über dem Pullover). Sie kann Gottesgläubigkeit symbolisieren (dann mit Kreuz und unter dem Pullover), Familienverbundenheit (mit eingebautem Foto von Mama, auch unterm Pullover) oder für die Liebe zu einer Frau stehen (bei Frischverliebten über der Textilie, bei länger Verheirateten drunter).

Ist das Kettetragen eigentlich für jeden Typen geeignet? Ich denke: jein. Einem Kerl wie dem jungen Jean-Paul Belmondo steht der Schmuck zum Beispiel besser als mir. Wer nun nicht gerade mit einer breiten, sonnengebräunten Männerbrust gesegnet ist – der zieht sich halt einfach einen Rollkragenpullover über. Und schwups, funktionierts auch mit der Goldkette.