Die Sache mit den Uhren

Biobaumwolle

„Die ganze Region ist sehr fruchtbar und könnte zur Nahrungsquelle der Welt werden, gerade auch ökologisch erzeugt.“ Roland Stelzer, Geschäftsführer Cotonea (li.) im Gespräch mit Peter Maganda, Biolandbau-Verantwortlicher (Mitte) und einem Übersetzer (re) bei dem Anbau-Projekt. Alle Bilder ©Klaus Mellenthin für Cotonea

Autor: Markus Oess
In Uganda wird Baumwolle angebaut, auch Biobaumwolle. Seit 2009 bezieht der deutsche Textilhersteller cotonea den Rohstoff in zertifizierter Bioqualität auch aus Uganda. cotonea-Chef Roland Stelzer engagiert sich schon seit Langem für Umweltschutz und faire Arbeitsbedingungen. Für ihn ist klar: Der Schlüssel für Wohlstand in der Subsahara ist Bildung. Soll das Engagement gelingen, brauchen Firmen neben dem Geld die Bereitschaft, die kulturellen Unterschiede anzuerkennen, und Zeit. Das Projekt ist eine Erfolgsgeschichte, denn die Bauern in den Farmerkooperativen verdienen mehr als der Durchschnitt und der ökologische Anbau schont Ressourcen und Umwelt. Stelzer über Bauern, Biolandbau und Baumwolle.

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FT: Herr Stelzer, wie kam es zu dem Projekt in Uganda?
Roland Stelzer:Wir hatten bis 2001 in Bempflingen eine eigene Spinnerei und kauften selbst Baumwolle ein. Daraus entwickelten sich freundschaftliche Beziehungen zu einigen Baumwollhändlern, die bis heute andauern. 2009 bekam ich dann einen Anruf aus Uganda, ob wir bereit wären, bei einem Projekt für den Anbau von Biobaumwolle mitzumachen, und wir haben zugestimmt.“

Wer sind die Partner vor Ort?
„Bruce Robertson ist ein erfahrener südafrikanischer Unternehmer, der schon seit den 1990er-Jahren in Uganda für verschiedene landwirtschaftliche Unternehmen gearbeitet hat. Er hat 2009 die GULU ACRICULTURAL DEVELOPMENT COMPANY (GADC) in Norduganda gegründet. Die Region leidet noch immer unter den Folgen des Bürgerkrieges. Bruce übernahm mit der GADC die stillgelegte COO-ROM Ginnery in Gulu und baute den Betrieb bis auf die heutige Größe aus.“

Die Bauern leben aber nicht allein von der Baumwolle, oder?
„Eine Besonderheit des Projekts ist, dass neben der Biobaumwolle auch Feldwechselfrüchte kommerziell angebaut werden; hauptsächlich Sesam, daneben auch Chili oder Sonnenblumenkerne. Die Fruchtfolge sorgt für Bodengesundheit und Verbesserung der Bodenqualität und mehrere Standbeine bedeuten für die Bauern zudem wirtschaftliche Sicherheit. Neben den kommerziellen Feldfrüchten werden verschiedene Nutzpflanzen für den Eigengebrauch angebaut.“

Ist cotonea der einzige Abnehmer der Baumwolle?

Jennifer Aromorach ist Field Officer im Biobaumwoll-Projekt. Sie trainiert und kontrolliert 25 Farmer.

„Die Qualität der Schulungen für die Farmer ist umfänglicher und  besser zu bewerten als zum Beispiel bei ,Cotton made in Africa‘, die Schulungen sind bei den Farmern also sehr gefragt. Die GADC arbeitet mit dem Prinzip ,Train the Tainer‘ und beschäftigt rund 100 Menschen, die zu den Farmerkooperativen hinausfahren und die Leadfarmer schulen, die dann wiederum ihr Wissen an alle anderen Farmer vor Ort weitergeben. Inzwischen wurden gut 60.000 Farmer geschult. Entsprechend hoch ist die jährliche Biobaumwollproduktion. In der Vergangenheit haben sich nicht genügend Abnehmer zu einem wirtschaftlichen Preis gefunden, da die Weltmarktpreise durch günstig in Indien produzierte Baumwolle sehr nah an den Preisen für konventionelle Baumwolle lagen. Darum sind von den 60.000 Farmern derzeit nur rund 12.500 zertifiziert. Der Rest kommt als normale Baumwolle auf den Markt, auch wenn es sich um Biobaumwolle handelt. Mit der aktuellen Marktverknappung und der Nachfrage nach echter Biobaumwolle unter anderem aus Afrika ändert sich das aber gerade. Es ist also noch Luft nach oben auch für weitere Abnehmer. “

Sie sagen, das Projekt sichere Zehntausende Existenzen. Wie funktioniert das?
„Wenn Sie sich die Zahlen vor Augen halten, die ich eben genannt habe, kommen Sie schnell dahin. Die Familien in dem Lande sind traditionell kinderreich; zehn Kinder sind keine Seltenheit.“

Wo liegt das Existenzminimum in Uganda?
„Der Bürgerkrieg hat mittlere Generationen reduziert. Die Jungen, die heute die Felder bearbeiten, konnten von ihren Eltern nicht lernen, wie traditionelle Landwirtschaft funktioniert. Das Wissen darüber ist verloren gegangen, mit der Folge, dass sie keinen hohen Ertrag aus den Feldern herausholen können. Wenn junge Farmer beginnen, schaffen sie keinen Hektar in der Bearbeitung und erzeugen aus der verkleinerten Fläche vielleicht 180 Kilogramm Baumwollfasern,  oft sind es nur 120 bis 150 Kilogramm. Das reicht nicht.

Deswegen sind Schulungen so wichtig. Nach der Schulung schafft ein Farmer 1,5 Hektar oder noch mehr UND kann seinen Ertrag vervielfachen. Schon nach drei, vier Jahren verbessert sich der Ertrag auf durchschnittlich 680 Kilogramm pro Hektar, die Besten schaffen sogar 1.600 Kilogramm pro Hektar. Aber schon mit dem durchschnittlichen Ertrag von 900 Kilogramm bei 1,5 Hektar Land erzielt der Farmer ein überdurchschnittliches Einkommen: Bei einem Preis von 1,50 Euro pro Kilogramm hat er also ein Jahreseinkommen von 1.020 Euro oder 85 Euro beziehungsweise 100 US-Dollar pro Monat. Und das ohne zusätzliche Mehrkosten, denn der Anbau läuft über Handarbeit und das Saatgut erhält er von uns. Zum Vergleich: Der Durchschnittslohn eines Textilarbeiters in der ugandischen Hauptstadt Kampala oder in Äthiopien liegt zwischen 30 und 40 US-Dollar.“

Warum ist biologischer Anbau so wichtig? Konventionelle Landwirtschaft muss doch nicht gleichbedeutend mit schädlichem Chemie-Einsatz sein …

Entkörnung der Baumwolle im Anbauprojekt Uganda.

„Konventionelle Landwirtschaft nutzt immer externe Hilfsmittel. Häufig kommt hybrides Saatgut zum Einsatz, meist sogar gentechnisch verändertes. Kunstdünger ist in aller Regel mit Phosphat angereichert. Dessen Herstellung ist energieaufwendig und die Phosphorreserven sind endlich. Gleichzeitig kommen Pflanzenschutzmittel zum Einsatz, die diesen Namen eigentlich nicht verdienen, es sind vielmehr Gifte, die dafür sorgen, dass die Mikroorganismen im Boden zerstört werden. So kommt eine Spirale in Gang. Es muss immer mehr Dünger eingesetzt werden, um den gleichen Ertrag zu erhalten, da der Boden bei dem ganzen Spiel ausgezehrt wird – und nebenbei auch seine Fähigkeit verliert, CO2 zu binden. Umgekehrt sorgen gerade der biologische Anbau und Fruchtwechsel dafür, dass sich die Bodenqualität verbessert und der Boden wieder mit mehr Mikroorganismen durchsetzt wird. Der Ertrag verbessert sich damit über die Zeit sogar. Die Vielfalt der Pflanzenwelt auf den Feldern steigt. Denn solange die Baumwolle die höchste Pflanze auf dem Feld ist, ist das auch kein Problem, schließlich wird mit der Hand gepflückt, nicht mit Maschinen, die alle Pflanzen abernten und miteinander vermischen. Man erntet über mehrere Wochen nur reife Kapseln und die Pflanzen, die sonst auf dem Feld sind, stören nicht. Was also ist die bessere Wahl?“

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Kaffee ist ein wichtiges Exportgut, der Klimawandel wird, sagen Experten, dazu führen, dass Kaffee in Zukunft nicht mehr angebaut werden kann. Welchen Stellenwert haben Umwelt- und Klimaschutz in einem Land, dessen Bevölkerung zuvorderst über die Runden kommen muss, und was heißt das für die Zukunft?
„Es gibt einen Unterschied zwischen Bio-Food und Öko-Fashion. Die Weiterverarbeitung von Lebensmitteln ist nicht so komplex wie bei Bekleidung. Die Wertschöpfungskette ist kürzer. Damit ist es leichter, auch auf den Farmer direkt zugreifen zu können. Bei Bekleidung oder Textil wissen die Marken häufig nicht den Namen der Spinnereien, geschweige denn den des Farmers. Natürlich rutschen Umweltschutz und Umweltbewusstsein nach hinten, wenn es ums nackte Überleben geht. Aber unser Projekt zeigt, dass es anders geht. Global betrachtet sehe ich den größeren Hebel im Konsum in den Industriestaaten. Man muss die gesamte Wertschöpfung vom Feld bis zur Fashion kontrollieren. Wenn die gesamte Landwirtschaft auf der Erde biologisch wäre, könnten wir sogar den Status quo halten. Biolandwirtschaft ist einer, wenn nicht DER Schlüssel für Klimaschutz.“

Sie bauen auch in Kirgistan Baumwolle an, was läuft da anders als in Uganda?
„Kirgistan  ist weiter in der Entwicklung. Während wir in Uganda viele kleinere Kooperativen haben und mit vielen Leadfarmern sprechen, sprechen wir in Kirgistan mit einer einzigen großen Kooperative. Die Prozesse sind effizienter, es gibt Maschinen und Traktoren. Mit dem höheren Output sind auch Einkommen und Wohlstand größer. Zum Vergleich: Hier sprechen wir von durchschnittlich 1.200 Kilogramm Fasern pro Hektar, oft noch deutlich mehr.“

Was sind die größten Vorurteile, mit denen die Menschen im internationalen Geschäft konfrontiert werden?
„Man sagt, wir haben Uhren, die Afrikaner Zeit. Es sind liebenswerte Menschen, aber es gibt eben kulturelle Unterschiede. Wir wollen immer alles und möglichst schnell. Die Menschen in dem Land brauchen eben mehr Zeit, gehen die Dinge in einem anderen Tempo an. Es ist nicht so, dass die Menschen in Uganda nicht wollen oder können; hier und da fehlt ganz einfach das Verständnis für unsere Grundhaltung und warum etwas so und so schnell sein muss.“  

Uganda hat eine leidvolle jüngere Geschichte, wie stabil ist die politische Lage derzeit? Ist zum Beispiel Korruption ein Problem?
„Das kommt auf die Sichtweise an. Seit 1986 haben wir in Uganda den gleichen Präsidenten: Yoweri Museveni. Auch die letzte Wahl hat er für sich entschieden. Das ist auch eine Art von Stabilität. Natürlich ist in Uganda Korruption ein Problem. Trotzdem achten wir strengstens darauf, dass so etwas bei uns nicht vorkommt. Ich kann ja die Politik in Uganda auch nicht ändern. Ich kann aber ein Beispiel geben und zeigen, dass es auch anders geht.“

 Wo steht das Land bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie?
„Allen Warnungen und Befürchtungen zum Trotz scheint in Uganda COVID-19 zumindest aktuell keine großen Katastrophen auszulösen. Im Anbauprojekt vor Ort spielt das Virus keine Rolle. Aber wir befinden uns auch in einer sehr ländlichen Region und die Bevölkerung ist sehr jung. Gerade mal 2 Prozent der Menschen im Bezirk Gulu, unserer Anbauregion, sind älter als 60 Jahre.“

Noch vor wenigen Jahren galt Subsahara-Afrika als Kandidat für die globalisierte Textilproduktion, warum ist es nicht so gekommen, wie so manche Studien noch glauben machen wollten?
„Zum einen hat die globale Geschäftemacherei mit Secondhandbekleidung die heimische Produktion in Subsahara ruiniert. Denn kein afrikanischer Betrieb konnte diese Preise mitgehen. Die Strukturen sind auseinandergebrochen und das Know-how geht verloren. Dazu hat die Fast Fashion wie ein Brandbeschleuniger gewirkt. Das wieder aufzubauen, ist ein steiniger Weg. Zwar haben wir hier die billigsten Löhne weltweit, aber die schlechtere Arbeitseffizienz sorgt für teurere Herstellungskosten. Das zusammen mit dem nicht vorhandenen Know-how ist die große Hürde. Hier gilt wie überall: Bildung ist der Schlüssel. Dafür braucht es neben den entsprechenden Mitteln auch Zeit.“

Das Land hat, wie Afrika generell, eine junge Bevölkerung. Welche Zukunft sehen Sie für Uganda?
„Ich sehe in der Landwirtschaft ein großes Potenzial. Die ganze Region ist sehr fruchtbar und könnte zur Nahrungsquelle der Welt werden, gerade auch ökologisch erzeugt. Wenn es gelingt, eine faire wirtschaftliche Ordnung aufzubauen, die es erlaubt, die Erzeugnisse Afrikas in anderen Ländern weiterzuverarbeiten und angemessene Preise zu erzielen, wäre dieser Zeitpunkt gar nicht einmal so weit entfernt. Leider herrschen auch im Rohstoffhandel oligopolistische Strukturen, die fairen Rohstoffpreisen entgegenstehen. Grundbedingung ist wertschätzendes Arbeiten miteinander, dafür setzen wir uns ein.“

  • Im Bioprojekt wird außer Baumwolle auch Sesam und Chili als Zwischenfrucht angebautIm Bioprojekt wird außer Baumwolle auch Sesam und Chili als Zwischenfrucht angebaut ©Cotonea-Carol Stelzer ©Cotonea-Carol Stelzer

Ökologisch, fair

Seit 1995 verarbeitet der Textilhersteller cotonea die erste kontrolliert biologische Baumwolle aus einem Projekt in Israel. Seit 2004 hat das Unternehmen feste Vertragspartner in Zentralasien und seit 2009 in Uganda. Seither kontrolliert das Unternehmen die gesamte Herstellungskette vom Baumwollfeld über das Spinnen, Weben, Veredeln und Konfektionieren bis hin zum Ladenregal. cotonea vereinbart mit den Bauern feste Preise für die benötigte Abnahmemenge, inklusive eines Bio-Aufschlags. Ein bestimmter Mindestpreis wird dabei auch bei niedrigeren Weltmarktpreisen nicht unterschritten. Zusätzlich zahlt das Unternehmen eine Fair-Trade-Prämie an die Kooperative.

Roland Stelzer ist seit 1987 bei Elmer & Zweifel tätig und verantwortet dort seit 1990 als geschäftsführender Gesellschafter die Geschicke des Baumwollspezialisten. Mitte der 1990er-Jahre begann er, sich mit Biobaumwolle zu beschäftigen, und lancierte 2003 die Biobaumwoll-Marke cotonea. Seitdem hat er das gesamte Unternehmen konsequent auf ökologisch und fair erzeugte Baumwoll-Textilien ausgerichtet. Die Besonderheit von cotonea ist, dass alle Arbeitsschritte von der Entkörnung bis zum Ladenregal spezifiziert und überwacht werden. Roland Stelzer ist zudem seit vielen Jahren im Richtlinienausschuss für den GOTS und IVN-BEST engagiert.