„Im Sommer werden wir einiges anders machen“

Premium Group

Anita Tillmann ©PREMIUM

Autor: Markus Oess
Die Veranstaltungen der Berliner Premium Group im zurückliegenden Januar haben noch Potenzial und Luft nach oben. Das weiß natürlich auch Messe-Chefin
Anita Tillmann. Wir haben mit ihr über Kritik, Konzept und Kooperationen gesprochen – und über mögliche Konsequenzen mit dem Ziel, die kommende Sommer-Ausgabe besser zu machen.

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FT: Anita, nach der Messe ist vor der Messe. Welche Learnings habt Ihr aus den zurückliegenden Ausgaben und den Reaktionen aus dem Markt gezogen?
Anita Tillmann:Derzeit holen wir uns proaktiv Feedback von verschiedenen Stakeholdern zu verschiedenen Themen ein und arbeiten bereits mit Hochdruck an neuen Konzepten für den Sommer, es ist ein ‚ongoing process‘. Die Stimmen zu unseren Messeformaten SEEK, PREMIUM und CONSCIOUS CLUB sowie zu der neuen Zusammenarbeit mit den Nachhaltigkeitsexperten von studio MM04 waren überwiegend positiv und konstruktiv, das motiviert natürlich ungemein. Auch war das Ordervolumen auf der PREMIUM und der SEEK insgesamt höher als vor der Pandemie, das kommt uns sehr entgegen. Eine Vertriebsagentur hat 100 Neukunden gewonnen, was erstaunlich ist angesichts des allgemeinen Trends, sich auf Messen ausschließlich zu informieren und sich dort inspirieren zu lassen. Wir hatten rund 130 neue Brands, das kam sehr gut an, denn die Retailer wollen Neues sehen. Dazu war die Qualität des Publikums hoch, ebenso die Dichte an C-Level Executives und Entscheidern. Es wurde deutlich, dass die meisten einen organisierten Branchentreff in Deutschland wollen und brauchen. Wobei es aus meiner Sicht um mehr gehen muss als nur ein Treffen. Was wir brauchen, ist eine Art Guidance für die Zukunft, sonst wird alles nur zerredet, insbesondere in Deutschland. Die Zusammenarbeit mit dem Fashion Council Germany, dem Berliner Senat für Wirtschaft, Energie und Betriebe und allen anderen Playern war ein gelungener Neustart. Learning: Berlin ist wichtig und gesetzt. Keine andere Metropole steht so für Trends, Jugend-, Pop- und Subkulturen wie Berlin.

Kritik gab es zum Brand-Portfolio der PREMIUM sowie zu der Location. Bis September 2022 hatten wir bereits 80 Prozent der Flächen vergeben, die Brand-Portfolios waren gut aufeinander abgestimmt und dann schien es, als hätte uns jemand im Oktober und November buchstäblich das Licht ausgemacht. Energiekrise, Inflation, Ängste, Unsicherheit und andauernder Krieg haben es uns sehr schwer gemacht, die Brands davon zu überzeugen, auszustellen. Viele haben sich umentschieden und zurückgezogen, das war für uns sehr schmerzlich, weil es keine Argumente dagegen gibt. Wir können den Markt nur bedingt outperformen, trotzdem nehmen wir das Feedback sehr ernst. Schließlich sind wir eine Plattform, deren Erfolg auf einer gelungenen Zusammenarbeit zwischen uns, den Brands und Retailern basiert. Wir prüfen derzeit sehr genau, welche Segmente überhaupt zu uns in Berlin passen. Wer ist zukunftsfähig und wer nicht? Alt oder jung? Fläche oder Nische? Krise oder Opportunity? Mit wem würde man Business machen wollen, wenn es nur um Ideen geht? Trends oder Brands? Wo stehen wir? Was brauchen Retailer, was möchten sie sehen und wen? Die Themen, die wir bespielen, sind hochaktuell und das Angebot, das von uns Berlinern kommt, unvergleichbar. Um die neuen Konzepte für die nächste Saison vorstellen zu können, müssen wir zunächst die Grundlage dafür schaffen. Im Sommer werden wir einiges anders machen, so viel steht fest.“

Wie geht es nun weiter, was werden die nächsten Schritte sein, um den Zug anzuschieben?
„Der Zug fährt, um bei diesem Bild zu bleiben. Wir befinden uns, wie gesagt, gerade in der Evaluierungsphase der Winter-nach-Corona-mitten-in-der-Krise-Edition. Die Ergebnisse und das Feedback unserer Aussteller und Retailer werden bei dem Konzept der Sommer-Ausgabe natürlich berücksichtigt. Das war auch schon immer so. Allerdings müssen wir als Unternehmen eine Entscheidung treffen, die tragfähig und zukunftsfähig ist. Der Wunsch der Branche, alles an einem Ort zu bündeln, ist nach wie vor sehr laut, trotzdem wurde die Location, die dies ermöglicht hat, am meisten kritisiert. Man kann eben nicht alles haben. Wir sind keine Zeitmaschine und können die Uhr nicht zurückdrehen, auch nicht zaubern inmitten einer Transformation. Aber wir sind starke und verlässliche Partner. Wir haben ein erfahrenes und emphatisches Fashion- und Eventteam und müssen die Branche noch mehr inspirieren. Wir wollen uns auf die Leute konzentrieren, die Lust haben, gemeinsam die Zukunft zu gestalten, statt sie nur zu zerreden, wir müssen klare Trends setzen und wieder streng kuratieren. Dazu gehören aktives Zuhören und die Zusammenarbeit mit den Communities.“

Wird es mehr Messe geben müssen, oder mehr Konzept?
„Das eine schließt das andere ja nicht unbedingt aus, oder? Wir planen eine umfassende Umstrukturierung und Neugestaltung der Formate. Das betrifft sowohl die Konzeption der Events und die Brand-Portfolios als auch die Experience vor Ort. Eine allgemeine ‚Verjüngung‘ wird sicher notwendig sein, denn wir sind so gut wie unsere Aussteller und teilweise auch abhängig davon, wie progressiv die Marken und deren Teams denken, ob sie mit uns mitgehen können und wollen. Angst und Stillstand sind keine guten Ratgeber und die Bedenkenträger unserer Branche sind oft schwierig abzuholen. Wir wollen mutig, frisch, positiv und anders sein und werden alles dafür geben – gleichzeitig liegt die Verantwortung nicht nur bei uns, auch die Marken müssen ihren Beitrag leisten. Sei es mit mutigen Kollektionen oder einer einladenden Präsentation ihres Produktes. Fest steht, es geht nur gemeinsam.“

„Wir planen eine umfassende Umstrukturierung und Neugestaltung der Formate. Das betrifft sowohl die Konzeption der Events und die Brand-Portfolios als auch die Experience vor Ort. Eine allgemeine ‚Verjüngung‘ wird sicher notwendig sein, denn wir sind so gut wie unsere Aussteller und teilweise auch abhängig davon, wie progressiv die Marken und deren Teams denken.“

Was kann Berlin als Veranstaltungsort besser machen?
„Ich finde, Berlin hat im Januar bereits sehr viel richtig gemacht. Alle Veranstaltungen fanden während der Berlin Fashion Week statt, der Berliner Senat für Wirtschaft, Energie und Betriebe unterstützt dieses Vorhaben und Berlin als Modestandort pulsiert! Neue Stores, neue Restaurants, neue Hotels, neue Designer und vor allem neue Trends – nicht umsonst ist Berlin ein Magnet für Kreative und Talente und hat eine hohe Anziehungskraft, vor allem für internationales Publikum. Gleichzeitig ist Berlin wie ein Spielplatz für Erwachsene und erweckt bei vielen Menschen die Sehnsucht nach Leichtigkeit und Freiheit. Unsere Partys sind nicht umsonst legendär. Die Party zu unserem 20. Geburtstag in unserer neuen Location, dem Telegraphenamt, war zweifellos ‚the talk of the town‘, die Schlange vor der Tür ging einmal um den Block. Gerade in herausfordernden Zeiten brauchen die Leute einen Zufluchtsort, wo sie den Alltag hinter sich lassen und einfach Spaß haben können. Im besten Fall kommen sie dabei auf neue Ideen, auch das bietet Berlin. Das Spektrum des Angebots ist groß und Berlin’s Fashion Shows sind international positiv aufgefallen und sehr gut besprochen worden. Hier passiert was. Ist das für alle gleichermaßen relevant? Wahrscheinlich nicht und doch sollte man zumindest mal hinsehen.“

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Wie sieht es international aus? Bleibt es dabei: jeder für sich? Oder wäre eine engere Kooperation denkbar, die etwa darin bestünde, Messen zusammenzuführen und an verschiedenen Orten stattfinden zu lassen?
„Sicher, wenn es Sinn macht für die Brands und die Einkäufer und es ein klares Konzept gibt, warum nicht? Nur Flächen auszutauschen, um eine PR-Story zu bekommen, halte ich allerdings für wenig zielführend. Bezüglich der Segmente muss man sich überlegen, wer wohin passt. Berlin ist eine Metropole und steht, wie gesagt, für Streetwear, Sportswear, Toleranz, Freiheit, Musik, Chaos, Unangepasstheit, das Nachtleben, Subkulturen, Fashion, Trends und Beauty.“

Marc Ramelow, Elmshorn, hatte ins Spiel gebracht, die Messen losgelöst von der Ware neu zu denken und damit zeitlich unabhängiger zu werden. Ist das ein guter Gedanke?
„Klar, ein Marketplace of Ideas, Education und Networking only ist grundsätzlich ein guter Ansatz. Das macht in vielerlei Hinsicht Sinn und wir reden seit Langem darüber, ob und wie das realisierbar ist. Wir haben 2015 das FashionTech-Format mit dem Who’s who der Fashion-, Lifestyle- und Digitalbranche aufgesetzt. Hier wurde das erste Blockchain-basierte Kleid gelauncht. OMR-Chef Philipp Westermeyer hat ‚the state of the internet‘ jede Saison vorgestellt, David Fischer von Highsnobiety relevante Trends präsentiert und Lyst neue Ideen gepitcht, nur um Beispiele zu nennen. Unser jüngster Ansatz ist unser Festival THE GROUND, welches wir letzten Sommer das erste Mal vorgestellt haben. THE GROUND ist ein kuratiertes Festival, das die neuesten Trends in Sachen Stil und Kultur aufgreift und Künstler, Kreative, Marken, Mode, Musik, Performances, Food, Beauty an einem Ort vereint. Hier treffen sich Marken und die verschiedenen Gen Z Communities, um sich auszutauschen und durch einzigartige Erlebnisse, ansprechende Inhalte und aufregende Produkte zusammenzuarbeiten. An Ideen, Konzepten und Umsetzungskraft mangelt es jedenfalls nicht. Aber es ist auch manchmal etwas mühsam, denn man muss manche Leute fast zwingen, sich dem Neuen gegenüber zu öffnen und die vorhandenen Angebote anzunehmen. Insbesondere fällt mir das bei einigen Herren auf (lacht).“

Könnte die Hinzunahme ganz anderer Inhalte helfen? Ansatzweise waren Concept Stores und Ladenbau, Retaillösungen ja schon mit einbezogen
„Das ist Teil unserer DNA und das werden wir für den Sommer auch wieder forcieren, wir sind dran. Im Juli werden wir Platz für neue Inhalte schaffen.“

Was muss die Modemesse der Zukunft liefern und wie könnte sie als Vision aussehen?
„Modemessen sind ein wichtiges B2B-Marketing-Tool und nur hier sind Gespräche auf Augenhöhe möglich. Das war so und bleibt auch so. Mag sein, dass sich die Player ändern, aber das Messeformat an sich ist unbestritten. Die einen suchen nach neuen Kollektionen und nach neuen Trends, die anderen nach neuen Partnern. Man kommt, um sich zu vernetzen und um aus der eigenen Bubble auszutreten. Das kann man weder online noch mobil auf dem gleichen Niveau bieten. Dazu braucht die Branche einen festen Termin und Ort, an dem neue Trends entdeckt, erlebt und besprochen werden können. Ich würde ungern eine einheitliche Definition für alle Messen abgeben wollen, denn die sind so unterschiedlich wie die Kollektionen und die Bedürfnisse der unterschiedlichen Gruppen selbst. Ich kann nur sagen, wie wir uns aufstellen werden, nämlich als eine kuratierte Trend- und Eventplattform in der Hauptstadt Berlin, und genau darauf werden wir uns konzentrieren.“