Opportunitätskosten

EDITORIAL

Markus Oess, ©FT

Was kostet es, wenn ich etwas nicht tue? Auf einen Berlin-Besuch zu Beginn der Order zu verzichten, etwa. Die Händlerpflicht, sich zu informieren, ist immer noch gegeben, will man sich nicht selbst aus dem Geschäft nehmen, schließlich bedeutet Mode steter Wandel. Da ist es schon ratsam, sich umzuschauen, Trends zu erkennen und aufzunehmen. Aber spätestens mit der Corona-Pandemie haben sich die Möglichkeiten, wie und wo man das tut, grundlegend gewandelt. Manche Angebote sind durch die „erzwungene“ Digitalisierung neu hinzugekommen, andere sind verschwunden oder haben an Gewicht verloren. Das gilt nicht auch für Messen. Berlin hat goldene Zeiten erlebt. Aber der verführerische Charme der Kreativszene ist verschwunden und sie ist doch überschaubar geworden. Wer will, ist an einem Tag durch und kann ganz sicher auch etwas von den Berliner Modemessen mitnehmen. Das kann man aber auch an anderen Orten. In Florenz für die Menswear etwa. Es kommt eben darauf an, was ich will und vor allem, was ich benötige. Wenn sich also die PREMIUM erklärtermaßen von alten Konzepten verabschiedet und neue Angebote schafft, kann es mir nutzen. Das muss es aber zwangsläufig nicht, wenn es für mein Geschäft keine große Relevanz hat oder es andere, bessere Angebote gibt, die mein Markenportfolio und meine Marktpositionierung treffender abbilden, gewinnbringender sind. Wenn ich also keine alternativen Informationsgewinne abschöpfen kann, lohnt sich eine Berlin-Reise nicht. Das zu entscheiden, obliegt jedem Händler und jeder Marke natürlich selbst. Es lohnt die Standortdiskussion also gar nicht, wenn ich die Eingangsfrage mit wenig oder nichts beantworten muss. Ist das schlimm? Ich denke, nein. Mehr Gelassenheit, weniger Dogma wären nicht schlecht. Berlin ist ein Kann, kein Muss. Das macht einen Hauptstadtbesuch zum Saisonauftakt aber sicher nicht schlechter.

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Neben Florenz gewinnt zusehends auch Paris international an Boden. Unser Autor Winfried Rollmann hat sich an beiden Orten umgesehen und seine modischen Erkenntnisse für Sie aufbereitet. Ein wie ich finde lesenswerter Überblick über die bevorstehende Saison. Wir haben uns diesmal näher mit dem Thema Marke und Markenpflege beschäftigt. Ein cleveres Marketing kann einer Marke immer helfen, aber Marke ist eben deutlich mehr als das. „Für uns bündelt die Marke alles, was man tut und lässt“, sagt Alexander Biesalski, Managing Partner der renommierten Münchener Agentur BIESALSKI & COMPANY, im FT-Interview. Das schließt auch den Verzicht mit ein und damit verbundene Opportunitätskosten. Es kann eben auch etwas kosten, etwas nichts zu tun. Verzicht kann aber auch den Gewinn für andere bedeuten, wie die neue Schuh-Kooperation zwischen dodenhof und Zumnorde nahelegt. Zur Markenpflege tragen auch die Kontaktpunkte zu den Endkundinnen und Endkunden bei. Da stehen Flagship-Stores ganz oben, schließlich haben die Unternehmen hier freie Hand, ihre eigene Markenwelt zu kreieren. Wir stellen Ihnen nach unserer Ansicht Top-Drei-Stores vor, mal als Inspirationsquelle, mal mit französischem Charme und mal mit dem Spiel reduzierter Formen.

Über Mode, Musik, Moral schreibt Katja Vaders in ihrem Überblick über Subkulturen, die im Laufe der Zeit entstanden und wieder in der Versenkung verschwunden sind. „In einer globalisierten, konsumorientierten Welt wird es immer schwerer, glaubwürdige Subkulturen zu finden“, schreibt Katja und verweist darauf, dass es Subkulturen angesichts der brachialen Informationsflut, die dank Booster wie der KI weiter an Größe und Geschwindigkeit gewinnt, schwer haben, sich nachhaltig zu verbreiten und zu behaupten. Der Preis, sich einer Subkultur zu öffnen, kann auch den gesellschaftlichen Ausschluss bedeuten, je nachdem, wie radikal das passiert. Der Preis, es nicht zu tun, ist die Langeweile der Konvention. Mode braucht Mut!

Ihr

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Markus Oess