„Der persönliche Kontakt muss stimmen“

Wirtschaftsstandort Südkorea

„Südkoreaner sind impulsive Käufer, gehen bei Trends mit und sind bereit, für Qualität zu zahlen. Gleichzeitig sind sie aber sehr anspruchsvoll und erwarten etwa einen schnellen Kundendienst." Katharina Viklenko, Direktorin und Korrespondentin Südkorea bei Germany Trade & Invest (GTAI). ©GTAI/Rheinfoto

Autorin: Eva Westhoff

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Südkorea ist 2022 zur sechstgrößten Exportnation weltweit aufgestiegen. Im vergangenen Jahr musste der Außenhandel zwar Einbußen hinnehmen, für 2024 erwartet Südkoreas Zentralbank jedoch, dass die Exporte des Landes nominal im hohen einstelligen Prozentbereich zulegen. Die Importe sollen ebenfalls zunehmen, wenn auch langsamer. Die Zeichen stehen also auf Wachstum und laut der Außenwirtschaftsagentur der Bundesrepublik Deutschland GERMANY TRADE & INVEST (GTAI) werden davon auch deutsche Unternehmen profitieren.

Katharina Viklenko, Direktorin und Korrespondentin Südkorea bei GTAI, über Stärken und Herausforderungen der südkoreanischen Wirtschaft, die Handels- und Wertepartnerschaft mit Deutschland und Strategien zur Diversifizierung. Was zeichnet südkoreanische Konsumenten aus, was Geschäftspartner und Arbeitnehmer? Wo kauft die Bevölkerung ein und wie begegnet das Land der demografischen Entwicklung? Welchen wirtschaftlichen Stellenwert hat die Textil- und Bekleidungsindustrie? Und worin ist Südkorea Vorbild?

FT: Frau Viklenko, wie ist die aktuelle Wirtschaftslage in Südkorea?
Katharina Viklenko: „Die schwächere Weltkonjunktur dämpft auch das Wachstum der exportorientierten Volkswirtschaft Südkorea. Im Jahr 2024 sollen Exporte und Investitionen die Wirtschaft anschieben. Nach einem Wachstum des Bruttoinlandsproduktes 2023 von 1,4 Prozent wird 2024 eine höhere Zunahme der Wirtschaftsleistung von 2,1 Prozent erwartet.“ (Verweis auf„Südkoreas Wirtschaftswachstum verliert an Schwung)

Wo sehen Sie die Stärken der südkoreanischen Wirtschaft, wo Herausforderungen?
„Südkorea verfügt über eine international starke Position im verarbeitenden Gewerbe. Südkoreanische Firmen gehören in vielen Hightech-Sektoren zur Weltspitze, beispielsweise bei Halbleitern und Elektronik. Die hervorragende IT-Infrastruktur und die Aufgeschlossenheit der einheimischen Bevölkerung gegenüber neuen Technologien machen das Land zu einem guten Standort als Testlabor für neue Produkte und Dienstleistungen sowie Zukunftstechnologien.

Eine der größten Herausforderungen ist die demografische Entwicklung mit sehr niedriger und weiter sinkender Geburtenrate. Darüber hinaus sorgen hohe Lohnkosten von Industriearbeitern dafür, dass die Auslagerung der produzierenden Industrie in Drittländer und kostengünstigere Standorte weiter voranschreitet. So werden etwa die meisten Smartphones südkoreanischer Firmen in Vietnam produziert. Zudem bleiben geopolitische Spannungen zwischen den USA und China stets ein großes Thema. Südkoreas Wirtschaft ist stark mit China verwoben, mehr als ein Fünftel des Handels erfolgt mit der Volksrepublik. Die USA sind hingegen ein wichtiger Sicherheits- und Wertepartner, auch beim Umgang mit Nordkorea.“

Welche Rolle spielt Südkorea als Handelspartner Deutschlands?
„Für deutsche Exporteure war Südkorea 2023 das fünfte Jahr in Folge ein größerer Absatzmarkt als das wirtschaftlich größere Japan. Der bilaterale Handel lag 2023 bei fast 34 Milliarden Euro und verzeichnete einen leichten Rückgang von 3,1 Prozent gegenüber 2022. Deutsche Exporte beliefen sich 2023 auf 20,4 Milliarden Euro. Außerhalb der EU ist Südkorea für Deutschland der drittgrößte Exportmarkt nach China und den USA sowie der zweitgrößte Absatzmarkt innerhalb Asiens.“

In der Rangfolge der deutschen Exportmärkte belegte China 2023 nur noch Platz vier, war jedoch wieder das wichtigste Lieferland Deutschlands, trotz stark zurückgegangener Importe. Südkorea verzeichnete 2023 erstmals seit über 30 Jahren ein Handelsdefizit gegenüber China, es lag bei 18 Milliarden US-Dollar. Inwieweit deutet dies auf ein Fortschreiten des sogenannten De-Coupling hin? Kann eine Diversifizierung der Außenwirtschaft als gemeinsames, aussichtsreiches Ziel von Deutschland und Südkorea betrachtet werden?

„Durch die geografische Nähe zu China sowie enge wirtschaftliche Verflechtungen ist Südkorea im sensiblen Umgang mit China besonders versiert. Mit der seit Mai 2022 amtierenden Regierung von Präsident Yoon wendet sich Südkorea politisch noch stärker den USA zu, wirtschaftlich gibt es diesen Fokus schon länger. Zugleich nimmt die Bedeutung Chinas langsam ab. Südkorea minimiert die Abhängigkeiten von China zunehmend sehr proaktiv. Bei Rohstoffen, etwa für Batterien, setzt das Land auf mehr Projekte in alternativen Ländern.“ (Verweis auf „Südkorea setzt weniger auf China und stärker auf die USA“ und „Südkorea senkt Abhängigkeit von China bei Batterierohstoffen) 

Für Deutschland ist Südkorea ein wichtiger Wertepartner in Asien. Beide Länder sind innovativ und haben einen starken Fokus auf dem verarbeitenden Gewerbe. Im Bereich der Diversifizierung können südkoreanische Unternehmen interessante Partner im Auslandsbau sein. Chancen ergeben sich für deutsche Firmen beispielsweise als Zulieferer. Außerdem sind südkoreanische Anbieter Weltspitze in einzelnen Segmenten wie Elektronik, Batterien, Halbleiter und Schiffbau. Weil Südkorea zudem immer häufiger mit chinesischen Firmen in Wettbewerb tritt, setzt es in vielen Sektoren auf Wachstumssegmente wie Biotechnologie oder Wasserstoff. Daher können in Technologiebereichen südkoreanische Investitionen und Ansiedlungen in Deutschland zur Reduzierung von einseitigen Abhängigkeiten beitragen.“

Was sind die Besonderheiten des südkoreanischen Arbeitsmarkts, was die Rahmenbedingungen für internationale Unternehmen? Mit welchen Herausforderungen geht ein Geschäftsaufbau mit koreanischen Firmen einher?
„Südkorea verfügt über gut ausgebildete Arbeitskräfte. Vor allem ältere Arbeitnehmer sind lange Arbeitszeiten gewohnt. Im Vergleich zu Deutschland wechseln Südkoreaner häufiger das Unternehmen. Vor allem in den ersten drei Jahren der Tätigkeit entscheiden sich Angestellte für einen Wechsel. Firmenvertreter berichten aber generell von einer hohen Loyalität der Arbeitnehmer zu ihrem Arbeitgeber, wobei Kollegen häufig als eine Art ‚zweite Familie‘ angesehen werden. Besonders stark sind in Südkorea Gewerkschaften, zumeist Betriebsgewerkschaften. Streiks im Rahmen zäher Lohnverhandlungen sind immer noch häufig.“ (Verweis auf „Löhne und Lohnnebenkosten in Südkorea steigen)

Zur Geschäftspraxis: Auch wenn Südkorea auf den ersten Blick sehr westlich erscheint, ist es stark konfuzianisch geprägt. Daher spielen Respekt, Hierarchien und Höflichkeit eine große Rolle; kulturelle Unterschiede sollten beachtet werden. Vor allem der persönliche Kontakt zum Geschäftspartner muss stimmen und sollte dementsprechend aufgebaut und gepflegt werden. Die Erstvorstellung sollte möglichst durch einen gemeinsamen Kontakt erfolgen. Südkoreaner sind schnelles Agieren gewohnt und erwarten zeitnahe Rückmeldungen: Es kommt durchaus vor, dass, wenn eine E-Mail nicht am selben Tag beantwortet wird, zusätzlich telefonisch Nachfragen folgen.“ (Verweis auf „Geschwindigkeit wird in Südkorea großgeschrieben“)

„Beim Klimaschutz setzt sich die Regierung seit 2020 hohe Ziele und will bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Gleichzeitig fürchtet das Land um die Wettbewerbsfähigkeit seiner äußerst energieintensiven Industrie. Ein großer Teil des südkoreanischen Ausstoßes von Treibhausgasen entfällt auf den Energiesektor.“

Welche Rolle spielt die Textil- und Bekleidungsindustrie für die südkoreanische Konsumgüterindustrie? Gibt es in dieser Branche wirtschaftliche Verflechtungen mit Deutschland?
„Das Korea Institute for Industrial Economics & Trade sieht die Textilindustrie als eine von 13 Kernbranchen der südkoreanischen Volkswirtschaft. Südkoreas Hauptstadt Seoul hat sich zu einer Fashionmetropole und etwa die SEOUL FASHION WEEK zu einem Großevent in der Region entwickelt. Südkoreanische Haushalte gaben laut Statistics Korea 2022 monatlich 105 int. US$ pro Haushalt und 45 int. US$ pro Kopf für Kleidung und Schuhe aus. Das machte einen Anteil von rund 5,2 Prozent an den durchschnittlichen monatlichen Konsumausgaben aus.

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Global betrachtet, lag Südkorea 2022 auf Rang 14 der bedeutendsten Exporteure von Textilien und Bekleidung. Südkoreanische Exporte von Textilien und Bekleidung summierten sich 2023 auf 9,1 Milliarden int. US$, das entspricht einem Rückgang im Vergleich zum Vorjahr von 13,5 Prozent. Damit lagen die Ausfuhren noch unterhalb des Vor-Corona-Niveaus, 2019 wurden noch Waren für 11,1 Milliarden int. US$ exportiert. Die Hochphase erlebten Textil- und Bekleidungsexporte des Landes in den Jahren 2011, 2013 und 2014 (jeweils mehr als 14 Milliarden int. US$). Nach Deutschland exportierte Südkorea 2023 Textilien und Bekleidung für nur rund 100 Millionen int. US$, 2022 waren es noch knapp 136 Millionen int. US$.

 Dem gegenüber standen 2023 südkoreanische Importe von Textilien und Bekleidung für 18,2 Milliarden int. US$ (minus 5,9 Prozent gegenüber 2022), nur rund 108 Millionen int. US$ wurden davon aus Deutschland importiert (minus 8,9 Prozent gegenüber Vorjahr). Im Jahr 2022 lag Südkorea weltweit auf Rang elf der bedeutendsten Importländer für Textilien und Bekleidung.“

Wie ist die aktuelle Konsumstimmung in Südkorea, wie die Nachfrage nach Marken- und Luxusprodukten? Wofür geben südkoreanische Haushalte ihr Geld aus?
„Grundsätzlich verfügt die südkoreanische Bevölkerung über eine hohe Kaufkraft, das Land zählt zu den Hochlohnstandorten in Asien. Südkoreanische Haushalte wenden mehr für Nahrungsmittel, Kosmetika und Bekleidung auf als deutsche Haushalte. Marken- und Luxusprodukte sind äußerst beliebt. Südkoreaner sind impulsive Käufer, gehen bei Trends mit und sind bereit, für Qualität zu zahlen. Gleichzeitig sind sie aber sehr anspruchsvoll und erwarten etwa einen schnellen Kundendienst. (Verweis auf „Kauffreudige Konsumenten mit hohen Ansprüchen“)

Zugleich fällt der Anteil der Schulden an den verfügbaren Einkommen der Haushalte in Südkorea recht hoch aus. Der private Verbrauch soll 2024 gegenüber dem Vorjahr moderat um 1,6 Prozent zulegen.“

Wo kaufen südkoreanische Konsumenten ein? Wie ist es um die Chancen des stationären Einzelhandels bestellt?
„Südkorea ist weltweit einer der größten Märkte im Online-Handel, die Bedeutung des E-Commerce ist besonders groß. Wichtige E-Commerce-Plattformen sind eBay Korea (einschließlich Gmarket und Auction), 11STREET, Interpark und Coupang. Koreaner kaufen gerne online ein, über Apps auf dem Smartphone sind Bestellungen besonders bequem. Tatsächlich findet mit Abstand der Großteil der Online-Einkäufe über das Smartphone statt. In letzter Zeit erfreuen sich chinesische E-Commerce-Giganten wie AliExpress, TEMU und SHEIN im Land großer Beliebtheit und treten mit südkoreanischen Anbietern zunehmend in Wettbewerb. 

Die Umsätze des Online-Handels haben 2023 gegenüber dem Vorjahr um 9 Prozent zugelegt. Auf die Kategorie Bekleidung, Schuhe, Mode, Taschen und Kosmetik entfällt rund ein Viertel der Umsätze des Online-Handels. Dabei stiegen die Umsätze dieser Produktkategorie 2023 um 6 Prozent gegenüber 2022. Die wichtigsten Unterkategorien bilden dabei Kleidung und Kosmetika.

 Daneben bleiben Kaufhäuser und große Duty-free-Shops wie Lotte, Shilla und Shinsegae wichtige Anbieter für Bekleidung und Mode. Auch auf Kosmetika spezialisierte Einzelhändler wie innisfree, Able C&C (vor allem MISSHA), The Face Shop, Nature Republic, ETUDE, TONYMOLY und SKINFOOD sind von großer Bedeutung.

Wie geht Südkorea mit den Herausforderungen durch den Klimawandel und dem Thema Nachhaltigkeit um?
„Beim Klimaschutz setzt sich die Regierung seit 2020 hohe Ziele und will bis 2050 Klimaneutralität erreichen. Gleichzeitig fürchtet das Land um die Wettbewerbsfähigkeit seiner äußerst energieintensiven Industrie. Ein großer Teil des südkoreanischen Ausstoßes von Treibhausgasen entfällt auf den Energiesektor. Die Verringerung von Emissionen ist aber auch in anderen Industriezweigen ein Thema, wie etwa in der chemischen Industrie oder der Elektronik. Ein starker Fokus liegt auf der Entwicklung eigener Technologien. In Einzelfällen spielen Reputation oder Anforderungen der Kunden eine Rolle, die Wert auf einen geringeren Fußabdruck in puncto Treibhausgase und auf Nachhaltigkeit legen.“ (Verweis auf „Südkorea will Treibhausgasemissionen bremsen“)

Sie haben es bereits angesprochen: Die Bevölkerung in Südkorea wird immer älter, genau wie in Deutschland, und eine Folge der demografischen Entwicklung ist auch hier der Fachkräftemangel. Wie begegnen die Südkoreaner dem Problem?
„Der demografische Wandel in Südkorea führt dazu, dass dem Arbeitsmarkt künftig weniger Erwerbspersonen zur Verfügung stehen. Als Land mit recht strikten Einwanderungsauflagen fokussierte sich Südkorea seit den 1990ern zunächst vor allem auf Zeitarbeiter in Sektoren mit langen Arbeitszeiten und niedrigen Löhnen, vor allem im produzierenden Gewerbe und in der Agrarwirtschaft. Die Regierung will künftig die Quote für Visa für ungelernte ausländische Arbeitskräfte auf ein Rekordhoch erhöhen sowie die Anzahl der Herkunftsländer und Sektoren, in denen ungelernte Fachkräfte tätig werden können, ausbauen. Auch für die besonders vom Arbeitskräftemangel geplagte Schiffsindustrie werden besondere Maßnahmen ergriffen, um etwa Arbeitskräfte aus Thailand anzuwerben.

Doch zunehmend versucht das Land, auch spezielle Fachkräfte in den Blick zu nehmen. Daneben erhöht die Regierung die Quote für Fachkräfte mit guten Koreanischkenntnissen, die Anspruch auf eine dauerhafte Aufenthaltserlaubnis im Land erhalten können. In der Region konkurriert Südkorea aber mit Taiwan und Japan, die wiederum eigene Programme auflegen, um Fachkräfte anzuwerben.“

Was kann sich Deutschland von Südkorea abschauen?
„Südkoreanische Konsumenten sind gegenüber neuen Technologien äußerst aufgeschlossen und gehen viele Trends mit. Auch die schnelle Umsetzung von Ideen und den Aktionismus der Koreaner könnte man sich durchaus abschauen.“