Mentalitätswandel

Fokus Ostasien

Autorin: Eva Westhoff
Ostasien rückt zunehmend in den Blickpunkt des politischen Interesses in Deutschland – nicht erst seit der sogenannten Zeitenwende und der damit verbundenen Neuausrichtung der deutschen Verteidigungs-, Sicherheits- und Energiepolitik. Für Deutschland und die EU ist neben Japan insbesondere Südkorea ein enger Wirtschafts- und Wertepartner. Doch die Beziehungen sind ausbaufähig, das gilt erst recht angesichts der weiterhin bestehenden großen wirtschaftlichen Abhängigkeiten von China. „Konkrete Themen zur verstärkten Kooperation gäbe es zur Genüge“, sagt Hendrik Johannemann, der für Korea zuständige Referent bei der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin. Ein Gespräch über gemeinsame Ziele, das wirtschaftliche Potenzial von Kultur, De-Risking statt De-Coupling und darüber, wie es nach dem Wahlerfolg der oppositionellen Demokratischen Partei Südkoreas weitergehen könnte.

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FASHION TODAY: Unter dem Eindruck einer zunehmenden Bedrohung durch Nordkorea und auch durch China haben die USA, Japan und Südkorea bei einem Gipfeltreffen in Camp David im August 2023 engere Kooperationen angekündigt. Schon im Frühjahr 2023 war „Freedom Shield“, die jährliche gemeinsame Militärübung der USA und Südkoreas zur Abschreckung Nordkoreas, ausgeweitet worden. In Camp David wurden auch jährliche Treffen der Staats- und Regierungschefs verabredet, außerdem eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit und ein Frühwarnsystem für Lieferengpässe. Inwiefern kann mit den Worten Joe Bidens von einer „neuen Ära der Partnerschaft“ gesprochen werden und was bedeutet dies für die politische und wirtschaftliche Weltordnung?

Gerade im Bereich Energiesicherheit weisen Deutschland und Südkorea als ressourcenarme Länder derzeit noch recht große Abhängigkeiten auf. Die beiden Länder sollten ihre Innovationskraft für eine nachhaltige und gleichzeitig sozial gerechte Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft einsetzen.“ Hendrik Johannemann, Referent Japan, Korea, Mongolei der Friedrich-Ebert-Stiftung, Berlin. ©privat

Hendrik Johannemann: „Die Einigung auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Südkorea und Japan im Rahmen des trilateralen Abkommens mit den USA kann man durchaus als historisch bezeichnen. Die Beziehungen der beiden ostasiatischen Länder sind historisch belastet, weswegen eine Annäherung innergesellschaftlich vor allem in Südkorea umstritten bleibt. Was diese historischen Lasten für Auswirkungen auch auf die Wirtschaft haben können, zeigte sich zuletzt im Jahr 2019, als das Oberste Gericht Südkoreas japanische Unternehmen zu Entschädigungszahlungen an Opfer von Zwangsarbeit verurteilte. In zeitlicher Nähe zu diesem Gerichtsentscheid nahm die japanische Regierung Südkorea von einer Liste von Ländern, denen Handelspräferenzen für bestimmte hochtechnologische Produkte gewährt werden. Die japanische Regierung begründete dies mit angeblichen Verstößen Südkoreas bei Exportkontrollen, was die südkoreanische Regierung von sich wies. Vielmehr wurde das japanische Vorgehen als Vergeltungsmaßnahme für das Gerichtsurteil interpretiert, was wiederum über Monate hinweg einen Boykott japanischer Produkte durch die südkoreanische Bevölkerung nach sich zog.

Obwohl also weiterhin schwelende Konflikte zwischen Südkorea und Japan bestehen, kann die Annäherung der beiden Länder auf wirtschaftlicher und geopolitischer Ebene als Erfolg gewertet werden. Gerade als Verfechter einer regelbasierten internationalen Ordnung sind Südkorea und Japan enge Wertepartner Deutschlands und der EU. Zudem haben sie als innovationstreibende Wirtschaftsmächte auf der Weltbühne weiterhin ein großes Gewicht. Es steht jedoch zu befürchten, dass diese Annäherung nur von kurzer Dauer sein könnte. In Südkorea setzt sich die derzeit regierende konservative Partei, die People Power Party, traditionell für engere Beziehungen zu Japan ein, wohingegen die oppositionelle Demokratische Partei dem Nachbarland gegenüber eher kritisch eingestellt ist. Bei einem Regierungswechsel könnte das ‚Tauwetter‘ zwischen Südkorea und Japan daher schnell wieder zu Ende sein. Um ein solches Szenario zu verhindern, wäre es wichtig, nicht nur auf wirtschaftlicher und politischer Ebene engere Kontakte zu knüpfen, sondern auch gesellschaftliche und zwischenmenschliche Beziehungen nachhaltig zu stärken. Die deutsch-französische Aussöhnung nach 1945 könnte hier als Vorbild dienen.“

Eben erst, am 10.  April, haben in Südkorea die 22.  Parlamentswahlen stattgefunden. Die mit Abstand meisten Sitze erlangte die oppositionelle Demokratische Partei. Was könnte sich damit innenpolitisch ändern und könnte das Wahlergebnis auch Einfluss auf die Außen- und Wirtschaftspolitik Südkoreas haben?

„Die Demokratische Partei Koreas konnte ihren großen Wahlerfolg von 2020 wiederholen und 175 von 300 Parlamentsmandaten erlangen. Schon in den vergangenen zwei Jahren waren Präsident Yoon Suk-yeol aufgrund der fehlenden Parlamentsmehrheit seiner People Power Party innenpolitisch oftmals die Hände gebunden. Diese Situation wird sich jetzt voraussichtlich noch verschärfen, da Yoon eigentlich auf die Zusammenarbeit mit der Opposition angewiesen wäre, die Fronten aber derart verhärtet sind, dass dies nicht sehr realistisch erscheint. Der Wahlkampf wurde von beiden politischen Lagern äußerst harsch geführt, so dodass es kompliziert sein dürfte, ideologische und persönliche Gräben zu überbrücken. Es sieht ganz danach aus, dass Yoon Suk-yeol die letzten drei Jahre seiner Amtszeit als nochmals deutlich geschwächter Präsident regieren wird und nicht mehr viele eigene Projekte durchzusetzen vermag.

Die Wahl ist sicher auch ein Fingerzeig für die nächsten Präsidentschaftswahlen. Die Chancen für den Parteiführer der Demokratischen Partei, Lee Jae-myung, der beim letzten Urnengang nur sehr knapp gegen Yoon verloren hatte, stehen wahrscheinlich nicht schlecht, noch einmal zu kandidieren und dann auch gewählt zu werden. Lee Jae-myung ist zwar mit Korruptionsvorwürfen konfrontiert, jedoch scheinen diese das Wahlvolk nicht allzu sehr beeindruckt zu haben. Da sich die Wirtschaftspolitiken zwischen den Lagern nicht allzu sehr unterscheiden, dürfte sich hier nicht viel ändern. Die Opposition könnte jedoch in der Sozial- und Arbeitsgesetzgebung neue Initiativen einbringen. Im Wahlkampf hatte sich die Demokratische Partei unter anderem für bezahlbares Wohnen, eine Erhöhung des Elterngeldes und eine Senkung der insgesamt stark gestiegenen Lebenshaltungskosten starkgemacht.

Außenpolitisch ist erwartbar, dass die Demokratische Partei wieder eine Annäherung an Nordkorea anstreben und die neue Allianz mit Japan und den USA kritisch begleiten wird. Da der Präsident in der Außenpolitik jedoch auch unabhängig vom Parlament Akzente setzen kann, wird sich zeigen müssen, welchen Weg Südkorea in diesem Bereich in den nächsten Jahren einschlagen wird. Dies ist natürlich auch zentral davon abhängig, ob Nordkorea seine derzeitige Eskalationspolitik weiter fortführt.“

„Südkorea ist die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt und der drittwichtigste Handelspartner Deutschlands in Asien.“

Auch für die EU und für Deutschland hat der indo-popazifische Raum in den vergangenen Jahren erheblich an Bedeutung gewonnen, wirtschaftlich wie politisch. Laut Auswärtigem Amt wird er zum Schlüssel für die Ausgestaltung der internationalen Ordnung im 21.  Jahrhundert. 2020 hat die Bundesregierung ihre Leitlinien zum Indo-Ppazifik veröffentlicht. Ein Ziel ist die Stärkung der regelbasierten internationalen Ordnung in der Region. Im Mai 2023 hat Olaf Scholz Südkorea offiziell besucht – als erster deutscher Bundeskanzler seit 30  Jahren. Wie hat sich die politische Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Südkorea verändert? Wo liegen die gemeinsamen Interessen und was braucht es, um sie zu verwirklichen?

„Der Deutsche Bundestag hat im Oktober 2023 anlässlich des 140-jährigen Jubiläums der Aufnahme diplomatischer Beziehungen mit Korea einen Antrag beschlossen, demzufolge die deutsch-koreanische Wertepartnerschaft gestärkt und zukunftsfest gestaltet werden soll. Dies ist neben vermehrten beiderseitigen Besuchen von Regierungsmitgliedern ein weiterer Baustein in der enger werdenden Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Südkorea. Die wirtschaftlichen Beziehungen beider Länder sind seit Langem sehr eng. Auf politischer Ebene wurde Südkorea jedoch oftmals auf seine tragische Geschichte mitsamt Teilung und Systemkonflikt reduziert, da sie viele Parallelen zur deutschen Geschichte aufweist.

Im Zuge des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands in der Ukraine sowie nach der Verkündung der Zeitenwende durch Bundeskanzler Olaf Scholz und auch aufgrund eines stärkeren Bewusstseins für wirtschaftliche Abhängigkeiten von der Volksrepublik China ist Ostasien stärker in den Fokus gerückt. Dieser Mentalitätswandel ergab sich auch aus der Erkenntnis, dass Deutschland und die EU weltweit starke Partner brauchen, die unsere Werte und Interessen teilen und die gemeinsam für die regelbasierte Ordnung eintreten. Südkorea ist so ein Partner und ich denke, dass sich Deutschland für eine weitere Einbindung Südkoreas in internationale Formate einsetzen sollte. Südkorea ist auf Einladung von Bundeskanzler Scholz 2023 dem im Jahr davor beim G7-Gipfel in Deutschland gegründeten Klimaclub beigetreten, was ein Schritt in diese Richtung ist. Gerade im Bereich Energiesicherheit weisen Deutschland und Südkorea als ressourcenarme Länder derzeit noch recht große Abhängigkeiten auf. Die beiden Länder sollten ihre Innovationskraft für eine nachhaltige und gleichzeitig sozial gerechte Transformation der Wirtschaft und Gesellschaft einsetzen.“

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Sollte eine Aufwertung der bilateralen Beziehungen zu einer strategischen Partnerschaft angestrebt werden, wie es beispielsweise Eric J.  Ballbach von der Stiftung Wissenschaft und Politik anregt?

„Zuletzt hat Deutschland beim Besuch von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Ulaanbaatar im Februar 2023 eine strategische Partnerschaft mit der Mongolei geschlossen. Mit anderen Ländern in der Region, namentlich Indien, China und Japan, unterhält Deutschland regelmäßige Regierungskonsultationen. Südkorea ist die zehntgrößte Volkswirtschaft der Welt und der drittwichtigste Handelspartner Deutschlands in Asien. Angesichts der großen Relevanz, die Deutschland und Südkorea in wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Fragen füreinander haben, erscheint es mir erstrebenswert, dass die Beziehungen zu Südkorea analog auf ein ähnliches Niveau gehievt werden. Konkrete Themen zur verstärkten Kooperation gäbe es zur Genüge, zum Beispiel im Bereich Hochtechnologie etwa bei Halbleitern und 5G, bei der Absicherung von Lieferketten und Handelsrouten, im bereits erwähnten gemeinsamen Kampf gegen den Klimawandel, bei der weltweiten Durchsetzung von Arbeitnehmerrechten, und nicht zuletzt im Bereich der Kulturförderung, gerade im Hinblick auf das immer größer werdende Interesse an koreanischer Kultur in Deutschland. Von daher würde ich eine strategische Partnerschaft Deutschlands und Südkoreas sehr begrüßen.“

Die Leitlinien der Bundesregierung sehen auch den Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen mit Ländern des Indo-Ppazifiks vor. Dabei geht es nicht zuletzt um eine Diversifizierung mit dem Ziel, einseitige Abhängigkeiten zu vermeiden – zum Beispiel mit Blick auf China. Bereits seit 2011 existiert ein Freihandelsabkommen zwischen der EU und Südkorea. Zuletzt lieferte sich Südkorea mit Japan ein Kopf-an-Kopf-Rennen um Platz 2 zwei im Ranking der bedeutendsten Absatzmärkte deutscher Exporteure in Asien. Welche Chancen und Herausforderungen bieten die Handelsbeziehungen mit Südkorea?

„Wie Sie sagen, verfolgt Südkorea ähnlich wie Japan und eben auch Deutschland zusehends eine Politik der Diversifizierung ihrer Handelsbeziehungen, so dodass die Länder mit ihren recht stabilen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen zu immer wichtigeren Partnern füreinander werden dürften. Investitionssicherheit und Rechtsstaatlichkeit sind große Vorteile, die Südkorea und Deutschland zu bieten haben. Gleichzeitig sind sie stark von Rohstoffimporten abhängig. Hier wäre es sicher wünschenswert, wenn sich Südkorea und Deutschland beziehungsweise die EU unter Einhaltung von Sorgfaltspflichten und Menschenrechten bei den Exportländern um gemeinsame Beschaffungswege bemühen würden.

Leider hinkt Südkorea jedoch vor allem bei Arbeitnehmerrechten internationalen Standards hinterher. Zwar hatte Südkorea im Zuge des von Ihnen erwähnten Abschlusses des Freihandelsabkommens mit der EU 2011 zugesagt, weitere Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation zu übernehmen, doch erst 2021 ratifizierte das Land Konventionen zu Zwangsarbeit und zum Recht, sich gewerkschaftlich zu organisieren. Bis heute wurden diese Konventionen jedoch nicht in nationales Recht überführt, so dodass Gewerkschafter:innen und Gewerkschafter in Südkorea weiterhin Gefängnisstrafen drohen, wenn sie sich für bessere Löhne und angemessene Arbeitsbedingungen einsetzen, da sie oft von einflussreichen Unternehmen verklagt werden und sie den Schadenersatz für Produktions- oder Umsatzausfall nicht zahlen können. Deutsche Unternehmen sollten in ihren Handelsbeziehungen mit Südkorea daher auch auf die Einhaltung fairer Löhne, von Arbeitsschutz und dem Recht, Gewerkschaften zu bilden, achten – zumal es sich hierbei um Standards handelt, die es etwa gemäß dem deutschen Lieferkettengesetz einzuhalten gilt.

Große Chancen für die deutsch-südkoreanischen Handelsbeziehungen birgt auch der bereits erwähnte Kulturbereich. So fand etwa 2022 in Frankfurt das ‚Kpop.Flex‘ ‘-Musikfestival mit 70.000 Besucher:innen und Besuchern statt. Das wirtschaftliche Potenzial von Popmusik, Serien, Lebensmitteln und Beauty-Produkten aus Südkorea ist enorm und sicherlich auch für den wachsenden deutschen Markt interessant.“

2023 verzeichnete Südkorea erstmals seit über 30  Jahren ein Handelsdefizit gegenüber China: Die südkoreanischen Exporte gingen im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent zurück. Anzeichen für ein De-Coupling? Wie wichtig bleibt China für Südkorea? Welche Abhängigkeiten werden bleiben und Südkoreas Wirtschafts- und Außenpolitik beeinflussen?

„De-Coupling, also eine zumindest teilweise Entkopplung von Handelsabhängigkeiten von China, würde sich ja vor allem auch umgekehrt zeigen, wenn die Importe von dort nach Südkorea sinken würden. Tatsächlich haben sich die Importe aus der Volksrepublik China nach Südkorea von Februar 2023 bis Februar 2024 um circa 15  Prozent verringert. Falls sich dieser Trend fortsetzt, könnte man also tatsächlich sagen, dass Handelsveränderungen im Gange sind. Dies lässt sich jedoch mit einem Blick auf die bloßen Zahlen nur schwerlich sagen und wäre erst langfristig erkennbar. Dass die Exporte aus Südkorea nach China gesunken sind, ist meines Erachtens eher auf die wirtschaftliche Flaute in der Volksrepublik zurückzuführen, und womöglich auf die Strategie der chinesischen Staatsführung, vermehrt auf den Binnenmarkt und heimische Produktion zu setzen.

Eine komplette oder auch nur weitreichende Entkopplung von der Handelsmacht China wird aber auf absehbare Zeit angesichts des enormen Handelsvolumens zwischen den beiden Ländern nicht erreichbar sein für Südkorea – und sie ist auch nicht erstrebenswert, da der kurz- und mittelfristige Schaden für die südkoreanische Wirtschaft schlicht zu groß wäre. Daher würde ich eher von De-Risking sprechen, also einer Strategie, die an Handels- und Investitionsbeziehungen grundsätzlich festhält, aber die Risiken einseitiger Abhängigkeiten durch eine Ausweitung der Importländer zu minimieren versucht. Die Außenwirtschaftspolitik unter Präsident Yoon Suk-yeol hat sich zwar im Vergleich zur relativ China-freundlichen Vorgängerregierung merklich gewandelt. Die wachsende Rivalität zwischen Südkoreas Hauptverbündeten, den USA, und China, spielt hier sicher eine gewichtige Rolle. Gleichzeitig wurde jedoch vor Kurzem berichtet, dass die konservative südkoreanische Regierung für Mai 2024 ein trilaterales Gipfeltreffen mit China und Japan plant. Es wird sich also auch im Nachgang der Parlamentswahlen zeigen müssen, wie sich die südkoreanische Außenpolitik in den verbleibenden drei Jahren der Yoon-Präsidentschaft entwickeln wird.“