Es ist höchste Zeit!

Kommentar

Katja Vaders

Autorin: Katja Vaders
Großer Skandal im Land der Mode: Der chinesische Billigtextil-Händler SHEIN verkündete, im November seine ersten dauerhaften Stores in Frankreich zu eröffnen. In Paris soll es eine Shop-in-Shop-Fläche im Kaufhaus BHV geben, weitere fünf Filialen werden an Standorten der Galeries Lafayette in französischen Städten wie Reims, Dijon und Grenoble folgen. Hinter dieser Vereinbarung steht der Kaufhausbetreiber Société des Grands Magasins (SGM), der mit diesem Coup vor allem eine jüngere Zielgruppe in den stationären Handel ziehen möchte. Bisher gab es von SHEIN nur Pop-up-Stores in verschiedenen europäischen Großstädten.

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Dass die Eröffnung von niedergelassenen Stores vermutlich eine Blaupause für eine Expansion auch in andere EU-Länder sein dürfte, liegt auf der Hand. Zudem ist absehbar, dass der Billig-Fashion-Titan aus Fernost damit nicht nur anderen Fast-Fashion-Größen wie MANGO, ZARA, ASOS oder H&M, sondern den französischen wie auch anderen etablierten Marken und natürlich vor allem dem stationären, inhabergeführten Einzelhandel das wirtschaftliche Leben immer schwerer macht. Zudem werden berechtigte Vorwürfe vom Modehandelsverband Fédération Française du Prêt à Porter Féminin laut, dass SHEIN den französischen Markt mit Eröffnen der Stores noch massiver mit Wegwerfprodukten seiner Ultra-Fast-Fashion überschwemmen wird.

Ein bisschen doppelmoralisch ist diese Empörungswelle ja schon. Schließlich hatte man den Vertikalen in den letzten Jahrzehnten mit erheblich weniger Kritik dabei zugesehen, wie sie die Modeindustrie zu der Dreckschleuder werden ließen, die sie heute ist. Auch die offensichtlich schlechten Arbeitsbedingungen in den Produktionsländern der Fast-Fashion-Ketten waren zwar mit Kritik bedacht worden, aber ohne weiter reichende Folgen geblieben. Inzwischen arbeiten diese Unternehmen zwar mit Hochdruck daran, ihre Images zu verbessern, allerdings nicht, ohne sich immer wieder dem mehr oder minder berechtigten Vorwurf des Greenwashings stellen zu müssen. Die Kommunen pochten bei dieser Entwicklung währenddessen auf einen freien Markt und schauten in aller Seelenruhe dabei zu, wie der inhabergeführte Einzelhandel sukzessive aus den Innenstädten der westlichen Metropolen verschwand, weil er sich die stetig steigenden Mieten nicht mehr leisten konnte; ein Schicksal, das inzwischen längst auch die großen Fast-Fashion-Ketten ereilt hat.

Aber zurück zu SHEIN, einem Unternehmen, das schon mit so ziemlich jeder Kritik konfrontiert wurde, die man in der globalen Modebranche erheben kann, angefangen bei dem Vorwurf der Sklavenarbeit, über eine katastrophale Ökobilanz und die gesundheitlichen Risiken, die die giftigen Chemikalien in der Bekleidung für seine Trägerinnen und Träger bergen, bis hin zum auf allen Ebenen bedenklichen Vertrieb der Billigware aus Fernost – die übrigens nicht nur bei SHEIN auf Protest in der Branche stößt: Im April dieses Jahres reichte der Handelsverband HDE Beschwerde beim Bundeskartellamt gegen die ebenfalls chinesische Plattform TEMU wegen kartellrechtswidrigen Verhaltens ein. Der Vorwurf: TEMU entziehe den Geschäftspartnern, die Waren über die Plattform verkaufen, die Preissetzungshoheit und entscheide letztendlich selbst über die Höhe der finalen Verkaufspreise. Zudem verstoße TEMU gegen eine Vielzahl weiterer europäischer und nationaler Verordnungen und Gesetze.

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Kann das wirklich sein? Sollte sich nicht jeder Händler, ob groß oder klein, der in Europa Waren verkauft, auch an europäisches Recht halten, angefangen bei Umwelt- und Verbraucherschutzauflagen, bis hin zu den Steuerzahlungen? Hier ist ein längst überfälliges und vor allem entschiedenes „Europe First“ angebracht, bevor man dabei zuschaut, dass erhebliche Wettbewerbsbeschränkungen entstehen, die letztlich auch Preiserhöhungen auf anderen Vertriebswegen zur Folge haben können. Am 8. Oktober eröffnete das Bundeskartellamt das Verfahren gegen TEMU, man darf auf den Ausgang sehr gespannt sein!

Auch in Frankreich protestiert man gegen die geplanten Eröffnungen der SHEIN-Stores: Die Galeries-Lafayette-Mutter lehnte die Aufnahme des chinesischen Onlinehändlers in die eigenen Läden rigoros ab, denn obwohl Kaufhausbetreiber SGM die betroffenen Verkaufsstellen betreibt, hat die Galeries-Lafayette-Gruppe ein Mitspracherecht, was das Image und die Geschäftstätigkeiten in den jeweiligen Standorten angeht. Dementsprechend meldete sich nur Minuten nach der Bekanntmachung von SHEIN der Vorstandsvorsitzende und Nachfahre der Gründerfamilie der Galeries Lafayette, Nicolas Houzé, zu Wort und kündigte an, mit allen verfügbaren Mitteln die Umsetzung des Projekts zu verhindern. Erheblich emotionaler reagierte Yann Rivoallan, Präsident des französischen Verbandes für Damenbekleidung: Der Ruf der Franzosen als Land der Mode sei in Gefahr, wenn man sich tatsächlich dazu entscheide, sich der „fragwürdigsten Entwicklung der Modebranche anzuschließen“ und ihr damit „ins Gesicht zu spucken“, so Rivoallan. Es sei kein Wunder, wenn sich Premium-Marken mit ihrer Kreativität und ihrem Know-how von Standorten abwendeten, an denen sich nun Ultra-Fast-Fashion breitmache.

Chapeau, Messieurs! Es ist höchste Zeit, dass die Branche endlich der Profitgier von Investoren, Immobilienhaien und Ultra-Fast-Fashion-Unternehmen etwas entgegensetzt, denen das Sterben der Innenstädte offenbar genauso gleichgültig ist wie der damit verbundene Niedergang jeglicher Kultur. Denn was bitte bleibt, wenn auch noch der letzte Rest an individuellem Charme und Esprit aus den europäischen Großstädten verschwunden ist, um das Feld für globalisierten und seelenlosen Massenkonsum und ihre giftigen Produkte zu räumen?!