
Autor: Markus OessMarcus Gillsch arbeitete seit 2012 im Familienunternehmen MTG Germany, ab 2016 als alleinverantwortlicher Geschäftsführer. MTG agierte als Textilgroßhändler und -agentur für bis zu 25 Marken in den GUS-Staaten, Baltikum und Mongolei. Dann kamen Corona und der russische Angriff auf die Ukraine. Gillsch startete neu und gründete eine Unternehmensberatung mit dem Spezialgebiet KI. Ein Gespräch über Verantwortlichkeit, Tempo und Anwendungen von KI in Vertrieb, Planung und Mode.
FASHION TODAY: Herr Gillsch, wie intelligent ist künstliche Intelligenz?
Marcus Gillsch: „KI ist nicht intelligent wie ein Mensch; sie hat kein Bewusstsein oder Werte. Sie erkennt Muster und verarbeitet riesige Datenmengen. Bildlich: Frühe ChatGPT-Versionen entsprachen etwa einem IQ von 100, GPT-5 eher 150 – ein Bild für die Entwicklungsgeschwindigkeit. Trotzdem gilt: ,Human in the Loop‘. KI liefert Analysen, der Mensch übernimmt Verantwortung. Ich sehe KI als Verstärker: schneller zu Erkenntnissen, aber Weitsicht und Ethik bleiben menschlich.“
Woran messen Sie das?
„An der Praxis. In der Modebranche müssen Trends in Echtzeit erkannt werden. Heute verbindet KI Abverkauf, Retouren und Google-Trends in Sekunden – früher brauchte man Wochen. So entstehen schnellere Reaktionen, bessere Planung und weniger Überproduktion. Effizienz heißt: weniger Suchzeiten, schnellere Entscheidungsgrundlagen, verlässlichere Prognosen. Mitarbeitende verbringen weniger Zeit in Excel und mehr bei Kunden und Kreativität.“
Am Ende der Entscheidung steht der Mensch, aber was brauchen Manager, um die richtigen Entscheidungen zu treffen?
„Klarheit über Daten, einen Rahmen und Feedback-Schleifen. Aus meiner Zeit als Geschäftsführer weiß ich: Informationen müssen in Optionen übersetzt werden. KI strukturiert Daten, simuliert Szenarien. Prioritäten und Verantwortung bleiben beim Menschen. Wer Technik, Zahlen und Intuition verbindet, entscheidet auch in Unsicherheit souverän.“
Wir müssten auch auf Ihre Modevergangenheit zu sprechen kommen …
„2012 stieg ich in das Familienunternehmen MTG Germany ein, ab 2016 alleinverantwortlich. Von Münster, Düsseldorf und Moskau aus vertraten wir rund 25 Marken in den GUS-Staaten. Meine Aufgaben: Krisenmanagement, Markenverjüngung, Digitalisierung. In Corona führten wir einen B2B-Onlineshop ein und bündelten 25 Systeme auf einer Plattform – solide Umsätze trotz Krise. Diese Mischung aus Resilienz und Digitalisierung prägt heute meine KI-Beratung.“
Dann kamen der Ukraine-Krieg und die Sanktionen …
„Mit dem Kriegsausbruch 2022 zogen sich 60 Prozent unserer Lieferanten zurück. Nach zwei Corona-Jahren nicht zu kompensieren. Schon 2014 hatten wir in der Krim-Krise 60 Prozent Umsatz verloren, konnten damals stabilisieren. 2022 war die Basis zerstört. Nach einigen Monaten erkannten wir: Es gab keine Perspektive. Die Abwicklung erfolgte fair und kontrolliert – schmerzhaft, aber richtig.“
„KI wird fester Bestandteil des Arbeitsalltags.“
Wie haben Sie versucht, die Bälle in der Luft zu halten?
„Wir führten Gespräche, nutzten digitale Kanäle, spielten Szenarien durch – wie in Corona. Doch das Marktvertrauen fehlte. Ich sprach offen mit dem Team: Es war ein strukturelles Ende. Wir entschieden uns für einen klaren Schnitt. Das kostete Kraft, brachte aber Handlungsfähigkeit zurück.“
Wie ging es dann für Sie weiter?
„Nach der Abwicklung investierte ich in Weiterbildung an WHU, Cambridge und TÜV Süd mit Fokus auf Generative AI, Automatisierung und Transformation. Parallel gründete ich MSG International – ein Team aus drei KI-Experten. Wir begleiten Unternehmen bei der Einführung großer Sprachmodelle und Microsoft 365 Copilot. Technik ist wichtig, aber Menschen mitzunehmen, zu schulen und Wandel zu gestalten ebenso.“
Wie wird man Experte innerhalb weniger Monate?
„Es waren fast drei Jahre seit dem ChatGPT-Launch, rund 40 Projekte und über 250 geschulte Teilnehmer. Basis: 20 Jahre Unternehmertum plus Weiterbildung. Entscheidend war die Praxis – Workshops bei LIEBHERR, SIEMENS ENERGY, ImmoScout24, RHEINMETALL, DEUTSCHE BUNDESBANK, Prosoz und vielen KMUs. Dazu Vorträge bei data:unplugged und Expertenrunden. Expertise entsteht, wenn Erfahrung und Technologie im Alltag verschmelzen – und Kunden bestätigen den Nutzen.“
Warum konnten Sie sich schnell in KI einarbeiten?
„Weil ich früh gestaltet habe. Kleine Anwendungsfälle gewählt, direkt umgesetzt. Parallel liefen Projekte mit RHEINMETALL und der DEUTSCHEN BUNDESBANK. Kompetenz entsteht in der Praxis. Mein Prinzip: machen, reflektieren, verbessern. Tempo braucht Regeln – Datenschutz, Compliance, klare Zuständigkeiten. Ebenso wichtig: Teams mitnehmen. Erst wenn Technik und Menschen gemeinsam wachsen, wird KI erfolgreich.“
Sie haben Ihre ersten Gehversuche nicht in der Mode gestartet, warum?
„Ich wollte bewusst breiter starten. Nach MTG Germany testete ich mein Wissen in anderen Branchen: ImmoScout24 im E-Commerce, SIEMENS ENERGY in Software, LIEBHERR im Vertrieb. So zeigte ich, dass KI branchenübergreifend wirkt, und vermied den Eindruck, nur alte Kontakte zu nutzen. Erst danach kehrte ich zurück zur Mode – als Bindeglied, das Fashion-Know-how mit KI-Expertise verbindet.“
Kommen wir zu Ihrem Geschäftsmodell. Was bieten Sie genau?
„Wir machen KI im Alltag nutzbar: weniger Schreibtischarbeit, weniger Fehler, mehr Zeit für Kunden. Im Vertrieb heißt das: Anfragen vorsortieren, Angebote schneller erstellen, Kommunikation strukturieren. Wir nutzen vorhandene Daten aus Microsoft 365, CRM oder Onlineshop, ergänzen KI-Automatisierung mit Prognosen und Vorschlägen. Systeme werden nicht ersetzt, sondern klüger gemacht. Parallel schulen wir Teams im sicheren Umgang mit Copilot, LLMs und anderen KI-Tools.
Besonders in der Mode lösen wir Engpässe wie Bedarfsplanung, Retouren oder Rabattaktionen. Ergebnis: präzisere Mengen, weniger Rücksendungen, bis zu 30 Prozent Zeitersparnis.“
Warum jetzt erste Gehversuche in der Mode?
„Weil Mode meine DNA ist. Nach zwölf Jahren im internationalen Modegeschäft bringe ich meine Erfahrungen aus KI und Automatisierung gezielt zurück. Händler und Marken können Kollektionen smarter planen, Überproduktion vermeiden und Kundenerlebnisse digitaler gestalten. Mein Alleinstellungsmerkmal: die Verbindung von Fashion-Know-how und KI-Kompetenz. Wir starten klein mit Piloten, befähigen Teams und skalieren erst, wenn die Nutzung sitzt. Für mich ist das nachhaltige Transformation, nicht Trend.“
Wie sehen Sie die nächsten drei bis fünf Jahre?
„KI wird fester Bestandteil des Arbeitsalltags. Entscheidend: Tempo und Verantwortung ausbalancieren.“
Zum Hintergrund
Marcus Gillsch ist Unternehmer und Berater für künstliche Intelligenz und Automatisierung. Seit 2012 arbeitete er im Familienunternehmen MTG Germany, ab 2016 als alleinverantwortlicher Geschäftsführer. MTG agierte als Textilgroßhändler und -agentur für bis zu 25 Marken in GUS-Staaten, Baltikum und Mongolei. In der Corona-Phase setzte Gillsch einen B2B-Onlineshop auf und integrierte 25 Systeme auf einer Plattform. 2022 folgte die geordnete Abwicklung infolge weggebrochener Lieferanten. Anschließend verlagerte Gillsch seinen Schwerpunkt auf Generative AI, Automatisierung und Transformation.
MSG International mit Sitz in Münster unterstützt Unternehmen beim produktiven Einsatz von KI. Schwerpunkte sind große Sprachmodelle (zum Beispiel ChatGPT, Gemini, Claude), Microsoft 365 Copilot und Automatisierungsplattformen (n8n, make.com, zapier). Ziel ist es, bestehende Systeme zu verbessern: Daten aus Microsoft 365, CRM, Warenwirtschaft oder Onlineshops werden genutzt, um Anfragen zu priorisieren, Angebote zu beschleunigen, Kommunikation zu strukturieren und Prognosen zu unterstützen. In der Modebranche adressiert MSG Engpässe wie Bedarfsplanung, Retouren und Rabattsteuerung. Das Vorgehen folgt Analyse, Pilot und Roll-out, ergänzt durch Schulungen und Change-Begleitung. Ausgewählte Referenzen: Liebherr-Rostock, ImmoScout24, Rheinmetall Electronics, DEUTSCHE BUNDESBANK.
www.msg.international