Nachhaltig denken und handeln

Editorial

Markus Oess

Nachhaltig denken führt nicht zwangsläufig zum nachhaltigen Handeln. Oder anders ausgedrückt: Gut gedacht ist nicht unbedingt auch gut gemacht. Die Berliner Messen und das Interesse daran bewegen sich – allerdings in die falsche Richtung. Zumindest, was den Kern der Messen angeht, Handel und Industrie zusammenzubringen, Ware im geeigneten Wettbewerbsumfeld zu sichten und die Plattformen zur Kommunikation zu nutzen, scheint Sand im Getriebe zu sein. Als Motor der Branche haben sich Messen überlebt, möchte man meinen. Jedoch zeigt die Vitalität der Pitti Uomo in Florenz, dass durchaus auch klassische Konzepte Erfolg haben. Wohl aber müssen zwei Dinge erfüllt sein: Das Konzept sollte konsequent umgesetzt werden und alle Player sollten an einen Strang ziehen. Beides ist in Florenz gegeben. Die Pitti nimmt auch neue Darstellungsweisen auf, fokussiert sich aber auf die Mode. Veranstalter, Aussteller, Stadt und der italienische Staat arbeiten zusammen an dem Ziel, Einkäufer anzulocken. Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt und lässt so manchen hierzulande neidvoll über die Alpen schielen.

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Berlin ist die einzige deutsche Stadt mit internationalem Format und bietet alle Zutaten für eine erfolgreiche Modemesse. Und dennoch: Berlin schwächelt und das hat viele Gründe. So wird der Ruf lauter, die einzelnen Messestandorte enger zusammenzubringen, räumlich und vielleicht auch konzeptionell. Möglicherweise muss die Messe tatsächlich mit neuen Formaten kommen, andere Stand- und Präsentationsmuster aufbauen und wieder mehr Profilschärfe ausleben. Es fehlen ein wenig die Begeisterung, die Emotion, die den Reiz des Neuen umwehen und für Aufbruchstimmung sorgen. Möglicherweise schwingt auch im Messegeschehen zu viel Routine mit, die zwangsläufig eine gewisse Sicherheit bringt. Das ist ja per se kein schlechtes Attribut. Aber im Zusammenhang mit Mode ist Sicherheit halt auch mit Langeweile gleichzusetzen. Wenn Händler sich zurücklehnen und mit dem Verweis genau darauf nicht in die Hauptstadt kommen, ist das nachvollziehbar, vor allem aber ist es bequem und auch gefährlich. Trends und der Puls der Zeit lassen sich nur persönlich erspüren, mit allen Sinnen wahrnehmen. Und auch wenn die Digitalisierung vieles erleichtert, das schafft sie nicht. Wenn Händler sich nicht auf Messen informieren, austauschen und aufnehmen, was angesagt ist, verlieren sie schnell den Anschluss und landen auf dem Abstellgleis. Die Branche muss sich bemühen. Der Handel und auch so manche Hersteller. Sogar die, die sich zwar zu Messe und Standort bekennen, darüber aber vergessen, sich selbst als Anziehungspunkt zu verstehen. Ein Händler kommt immer noch im Grunde wegen der Ware, nicht wegen der Veranstaltung, die die Ware präsentiert.

Immerhin zeigen Formate wie die Konferenzen #FASHIONTECH oder die NEONYT, die plötzlich deutlich mehr Aufmerksamkeit abbekommt, dass der Wandel durchaus positive Nachrichten produziert. Der Erfolg der grünen Messe kommt nicht von ungefähr. Die Messe hat einen Reifeprozess durchlaufen und sich unter der Regie der Messe Frankfurt weiter professionalisiert. Wäre das nicht geschehen, könnte die NEONYT auch nicht vom aufkommenden Nachhaltigkeitstrend profitieren, sie wäre längst verschwunden. Dabei ist es doch wunderbar, dass die Nachhaltigkeit zusehends im konventionellen Handel angenommen wird. Sicher ist es gerade en vogue, über Nachhaltigkeit zu sprechen. Wenn Verbundgruppen wie die KATAG Nachhaltigkeit und Digitalisierung zu strategischen Entscheidungsfeldern definieren, ist das richtig und gut. Nun müssen auch Taten folgen. Die Welt im Handel verändert sich, wenn sie digitalisiert wird und enger zusammenrückt. Modisch geht es in Richtung Casualisierung. Der Hemdenhersteller OLYMP zum Beispiel passt sich dem Trend an, will aber den Markenkern mit dem Hollywoodstar Gerard Butler stärken. Auch Marken wie BALDESSARINI müssen sich weiterentwickeln. Aber Formal Wear lebt, auch wenn sich das Segment verändert und die Anteiligkeiten sich verschieben. Das zeigt unsere aktuelle Umfrage in Kooperation mit YouGov. Das ist die gute Nachricht für Anbieter in dem Segment. Sie werden sich eben verändern müssen – und das nachhaltig. So wie im Grunde die Mode sich permanent verändert. Nur muss man auch diesen Wandel nicht nur nachhaltig denken, sondern auch nachhaltig umsetzen. In diesem Sinne wünsche ich uns allen eine erfolgreiche Saison!

Ihr

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Markus Oess