Silhouette im Wandel

Modetrends

Die modische Spitze setzt in der Silhouette auf Kontrastspiele. ©Pitti Uomo 96

Autorin: Tays Jennifer Köper-Kelemen

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Die Mode-Silhouette befindet sich im stetigen Wandel. Während zuletzt vielmehr schmale Konturen dominierten, kommt nun sowohl bei Männern als auch Frauen wieder mehr Bewegung ins Spiel. Ein kurzer Überblick über vergangene und aktuelle Trends.

Die Silhouette. Sie bezeichnet die Kontur des Körpers, den Umriss. Sie ist nicht gesetzt, sondern Zeitgeist unterworfen – je näher sie tatsächlich an das Sujet Mode heranrückt. Denn ebenso wie sich im Laufe der Zeit Körperideale verändern, verändern sich umso stärker modische Linien. Nicht jede Saison aufs Neue, jedoch etwa jede Dekade. Es geht um einen Wechsel von Paradigmen, die maßgeblich sind für eine bestimmte Optik. Sie prägen die Erscheinung des Oberkörpers, der Schultern und verleihen auch dem Bein Form. Das Spiel um Volumina ist signifikant. Und auch der Einsatz bestimmter Materialien nimmt in diesem Zusammenhang eine wichtige Position ein, beeinflussen sie doch durch ihre Eigenschaften, ihren Stand den Verlauf von Konturen.

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Silhouetten im Rückblick

Ein Blick in die Vergangenheit: In der Nachkriegszeit der 1940er-Jahre dominierte in der Männermode die V-Silhouette, die breite Schultern und schmale Hüften markierten. Das Hosenbein war weit geschnitten. Vor allem Sakkos wirkten mitunter „sackartig“ – aus der Knappheit von Stoffen heraus, die viele Einschränkungen mit sich brachte. So fertigte man Sakkos und Mäntel aus eingefärbten Mehlsäcken sowie Militärdecken. In den 1950er-Jahren trat dann ein Wandel ein. Die Silhouetten entspannten sich, es entwickelte sich neben schulterbetonten Anzügen Freizeitmode, die moderatere, weichere Konturen förderte. Diese Tendenz verstärkte sich noch in den 1960er-Jahren, als Pullover und Cardigans endgültig gesellschaftsfähig wurden. Eine sehr schmale Silhouette gab nunmehr den Ton an, parallel zu den vorherrschenden Körperidealen, die sich nach den drallen Fifties an Vorbildern wie Mick Jagger und Twiggy orientierten. Die schmale Silhouette setzte sich in den 1970er-Jahren fort, wurde jedoch pointiert aufgebrochen – zum Beispiel über Schlaghosen, die am Bein mit Weite spielten. In den 1980ern passierte dann die Kehrtwende. Schultern gewannen wieder deutlich an Bedeutung, eine sehr kastige Kontur und auch ausgeprägte V-Silhouette präsentierten sich. Der Trend hin zur Natürlichkeit ließ die Optik in den 1990er-Jahren wieder verschwinden. Die in den 1980er-Jahren bereits aufgekeimte Sports- und Streetwear forcierte lässige Linien. Auch ausgestellte Hosenbeine kamen durch. In den darauffolgenden Jahren stellte sich wieder eine Tendenz hin zu sehr schmalen Silhouetten ein, auch wenn mitunter Oversized als Trend aufblitzte.

Kontrastreiche Konturen der Gegenwart

Und heute? Vor allem in der modischen Spitze ist ein erneuter Wandel nicht von der Hand zu weisen. Nach zahlreichen Saisons voller schmal geschnittener Anzüge und Slim Fit Pants lassen die Designer in jüngster Zeit augenfällig mehr Weite auf den Laufstegen zu. So machen für die Männermode in der laufenden Saison Herbst/Winter 2019 bei Pullovern, Jacken und Mänteln Egg Shapes auf sich aufmerksam. Zudem stechen kastige Formate für den Oberkörper hervor, gefolgt von schmalen Optiken, die einen Kontrast zu Hosen bieten. Letztere variieren von locker sitzenden Karotten- bis hin zu betont weiten Bundfalten-Modellen, die in Kombination mit deutlicher Überlänge und weich fallenden Materialien eine sehr relaxte, bewegte Silhouette kreieren. Die Entwicklung setzt sich für den Sommer 2020 fort. FENDI zeigt nicht nur locker geschnittene, hochtaillierte Hosenmodelle aus leichter Baumwolle, sondern auch standfestere Denims, die allein durch Weite am Puls der Zeit liegenden Workwear-Charakter suggerieren. Zegna propagiert schmale, lang geschnittene Sakkos zu geraden, beinumspielenden Hosen. Und LOUIS VUITTON treibt ebendiese Silhouette mit radikal weit geschnittenen Hosen noch ein Stück weiter voran. Auch DIOR widmet sich dem Kontrastspiel. Das Modehaus kombiniert körpernahe, überlange Sakkos und Shirts mit verkürzten, leger sitzenden Hosen, die konisch zulaufen. Ein Wandel also, der sich schon bald auf sämtlichen Straßen wiederfinden lässt? Bleibt abzuwarten. Während in der Womenswear neue Konturen – gerade bei Hosen – angekommen scheinen, hält sich in der Menswear vielmehr noch Gelerntes. Dabei drängt sich mit Blick auf vergangene Dekaden geradezu eine Frage auf: Wie hoch ist in unserem sehr individualisierten Zeitalter eigentlich noch das Durchsetzungsvermögen einer bestimmten, allumfassenden Silhouette?