„Ich kaufe das, was unten liegt“

Die Toten Hosen

Zwar nicht groß, aber trotzdem stark: „Als Schlagzeuger braucht man viel Kraft!“ Vom Ritchie. Alle Bilder ©GABO

Autorin: Katja Vaders
Size doesn’t matter – das behaupten zumindest diejenigen, die sich im Normbereich bewegen, was ihre Körpergröße angeht. Aber wie ist es für einen Mann, der nicht dem Idealbild des circa 185 Zentimeter großen Mitteleuropäers entspricht? FASHION TODAY sprach mit dem Toten-Hosen-Schlagzeuger Vom Ritchie darüber, wie es sich anfühlt, als ziemlich kleiner Mann durchs Leben zu gehen, und dass wahre Größe von innen kommt!

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FT: Vom, ganz zu Anfang würde mich natürlich interessieren: Wie groß bist du?
Vom Ritchie: „Um ehrlich zu sein, weiß ich das gar nicht so genau, ich messe mich nicht regelmäßig. Ich denke aber, dass ich so ungefähr 1,55 Meter groß bin. Im Endeffekt ist mir das aber auch total egal, mich hat nie gestört, dass ich so klein bin. Jeder Mensch ist gleich, egal ob er groß, dick oder dünn, weiß, schwarz oder grau ist. Natürlich machen Leute schon einmal blöde Sprüche, wenn sie mich sehen. Das hat mich besonders damals in der Schule ziemlich irritiert. Ich habe aber wegen meiner Größe niemals Ärger gehabt, weil ich mir schon immer dachte, der beste Weg, damit umzugehen, ist, die Leute zum Lachen zu bringen. Und das habe ich dann auch gemacht.“

Männer sollen ja eigentlich groß und stark sein …
„Oh, ich bin stark! Als Schlagzeuger braucht man extrem viel Kraft!“

Das glaube ich dir sofort. Mir geht es da aber eher um das klassische Männlichkeitsbild, das in unserer Gesellschaft immer noch vorherrscht.
„Dazu fällt mir eine lustige Geschichte ein, die passiert ist, als ich gerade nach Deutschland gezogen war … Ich bin vor über 20 Jahren wegen der Liebe hierhergekommen. Meine Frau Mary, mit der ich inzwischen nicht mehr zusammen bin, die aber meine beste Freundin ist, hatte mir damals ein Geburtstagsgeschenk überreicht. Du musst wissen, dass ich eigentlich immer schwarze Jeans trage. Ich packte also das Geschenk aus und sah erfreut, dass es eine schwarze Jeans war. Als ich die Hose allerdings etwas näher betrachtete, bemerkte ich eine Naht am Bein, die da irgendwie nicht hingehörte. Ich fragte Mary, was es damit auf sich hätte, und sie sagte: ‚Ich musste die Ninja Turtles am Bein entfernen.‘ Und ich: ‚Was, Ninja Turtles?!‘ Sie hatte die Hose in der Kinderabteilung für mich gekauft. Darüber mussten wir dann erst mal ziemlich lange lachen.“

Trägst du tatsächlich Kinderklamotten?
„Ja, und das ist einer der Gründe, warum ich nicht so gerne einkaufen gehe! Das ist glücklicherweise kein Problem für mich, da ich die meisten Klamotten sowieso über die Band bekomme, zum Beispiel für Fotoshootings. Oder Susy Hertsch, die sich bei den Toten Hosen um die Outfits kümmert, besorgt mir irgendetwas. Es ist wirklich peinlich, in der Kinderabteilung einkaufen zu gehen. Man wird schon ziemlich schräg angeguckt, wenn man als erwachsener Mann in die Umkleidekabine kommt. Ich fühle mich dann wie Gary Glitter …“ (lacht)

„In der Punkrockszene ging es nie um Äußerlichkeiten.” Vom Ritchie ©GABO

Gehst du überhaupt nicht selbst shoppen?
„Für mich ist Einkaufen genauso schlimm wie für andere ein Besuch beim Zahnarzt. Wahrscheinlich bin ich gar nicht der Richtige, um einem Modemagazin ein Interview zu geben, weil ich wirklich kein Modefreak bin. (lacht) Manchmal muss ich natürlich was kaufen, aber dann begleitet mich meine Freundin und sucht mir etwas aus. Ich habe sowieso seit meinem 15. Lebensjahr immer das Gleiche an: schwarze Jeans, Dr.-Martens-Boots, ein Bandshirt und einen Hoodie – that’s it! Auf der Bühne trage ich Hemden, die Susy für uns alle macht und die jeweils für die neue Tour gestaltet werden. Diese Hemden sind maßgeschneidert und das ist auch gut so. Denn ich habe mit meinen speziellen Maßen selbst in der Kinderabteilung Probleme, etwas zu finden. Ich bin Schlagzeuger, meine Brust ist ziemlich breit. Das ist insbesondere bei Hemden schwierig: Entweder sind die Ärmel zu lang oder an der Brust sind sie zu eng. Daher ist es super, dass Susy mir die Hemden auf den Leib schneidert.“

Du gehst offensichtlich sehr entspannt und selbstbewusst mit deiner Größe um. War das schon immer so? Wie haben die anderen Jungs und die Mädchen auf dich reagiert, als ihr Teenager wart?
„Ich bin in einer Kleinstadt aufgewachsen, Stanford-le-Hope in Essex, England, die ich immer Stanford-no-Hope genannt habe. Ein wirklich komischer Ort. Die Leute in meinem Alter hingen damals sehr den Klischees nach. Die Typen wollten alle so aussehen wie ein LEVIS-501-Model und die Mädchen wie das ,Fashion Model of the Week‘. Mit den Jungs gab es wie gesagt nie Probleme, aber ich habe damals nicht wirklich viele Freundinnen gehabt. Das hat sich dann geändert, später, als ich nach London ging, ungefähr zu dem Zeitpunkt, als ich angefangen habe, Hitsingles zu haben …“ (lacht)

Man sagt ja immer, dass kleine Menschen gerne im Mittelpunkt stehen und daher überproportional oft auf der Bühne stehen. Glaubst du, dass deine Größe Einfluss darauf hatte, dass du Rockstar geworden bist?
„Nein, würde ich nicht sagen. Wie viel Spaß es macht, auf der Bühne und im Mittelpunkt zu stehen, habe ich erst viel später bemerkt. Ich habe angefangen, Schlagzeug zu spielen, weil ich als Kind ein paar Ticks und total viel Energie hatte, die ich nicht kanalisieren konnte. Das Schlagzeug hat mir sehr dabei geholfen, mich zu fokussieren. Und als ich dann später ein erfolgreicher Musiker war, fanden mich auch die Frauen interessant. Obwohl mir das nicht wirklich wichtig war, denn ich war immer in langen Beziehungen.“

Wir haben schon darüber gesprochen, dass du aufgrund deiner Größe auf den ersten Blick nicht in das klassische Männerbild passt. Wie sehen dich die Leute stattdessen?
„Gerade aus der Distanz werde ich oft als kleiner Junge wahrgenommen. Meine Frau Mary ist ein ganzes Stück größer als ich und daher dachten schon einige Leute, ich wäre ihr Sohn! Wir hatten einen Flipper in unserem Haus und als der einmal kaputt war, riefen wir einen Mechaniker an, der ihn reparieren sollte. Ich war gerade in der Küche, als er reinkam und mich fragte: ‚Wo ist deine Mama?‘ Ich ging dann zur Treppe und rief meine Frau: ‚Mama, komm mal bitte!‘ Als sie runterkam, habe ich ihr gesagt, dass wir das Ganze jetzt durchziehen. Der Typ reparierte also den Flipper, wir haben uns danebengestellt und angefangen, uns zu küssen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie schnell der Mechaniker den Flipper repariert hatte. Er hat danach nicht mal nach Geld gefragt, sondern ist sofort aus dem Haus gerannt. Derselbe Mann kam tatsächlich ein paar Monate später noch mal zu uns, als der Flipper wieder kaputt war. Meine Frau traf ihn im Haus und fragte: ‚Oh, wer hat Sie denn reingelassen?‘ und er antwortete: ‚Der kleine Junge.‘ Damit war ich gemeint! Er denkt wahrscheinlich bis heute, dass ich was mit meiner Mutter am Laufen habe …“

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Ihr seid bestimmt froh gewesen, dass er nicht das Jugendamt angerufen hat …
„Ja, sie hätten Mary bestimmt verhaftet … (lacht) Es ist uns aber tatsächlich öfter passiert, dass man mich für ein Kind gehalten hat. Ich erinnere mich daran, wie ich mit meiner Frau und meinem Sohn an der Pferderennbahn war. Als ich Eintrittskarten für uns kaufen wollte, sagte die Frau am Schalter: ‚Sie können eine Familienkarte haben, eine Mutter und zwei Kinder … Meine Frau sagte dann: ‚Oh nein, das ist mein Ehemann!‘“

Hat dich das denn nicht verletzt, dass du für ein Kind gehalten wurdest?
„Nein, überhaupt nicht. Meine Frau hat das viel mehr gestört als mich und sie sagte: ‚Oh Gott, sehe ich etwa so alt aus?!‘ Das war natürlich überhaupt nicht so, aber aus der Entfernung konnte die Dame am Schalter mein Gesicht nicht genau erkennen. Sie hat einfach nur meine Größe gesehen und war sich sicher, dass ich ein Kind sein muss. Ich fand das alles sehr lustig und sagte: ‚Hey, komm, lass uns das günstigere Ticket nehmen. (lacht) Wenn ich jedes Mal schlecht draufgekommen wäre, wenn irgendjemand etwas Blödes über meine Größe gesagt hätte, wäre ich jetzt mit Sicherheit ein ziemlich unglücklicher Mensch. Natürlich gibt es immer wieder irgendwen, der meine Größe thematisieren muss … In der Schule war das Ganze vielleicht noch ein Problem, aber wenn du älter wirst und in eine Großstadt ziehst, sehen die Leute glücklicherweise deine Persönlichkeit und nicht mehr deine Körpergröße.“

Das hat natürlich auch mit der Szene zu tun, in der man sich bewegt.
„Absolut! In der Punkrockszene ging es nie um Äußerlichkeiten.“

Zum Abschluss würde ich gerne noch wissen, ob dir deine Größe irgendwelche Schwierigkeiten im Alltag bereitet: Hast du zum Beispiel Probleme, im Supermarkt an das höchste Regal zu kommen?
„Eine Menge Leute kommen im Supermarkt nicht ans höchste Regal. Mir ist das egal, ich kaufe dann halt das, was weiter unten liegt.“ (lacht)

Das ist wohl die einzig richtige Einstellung. Vielen Dank für das Gespräch!

KURZBIOGRAFIE

Vom, eigentlich Stephen George Ritchie, wurde in Billericay, England, geboren. Bereits in den 1980er-Jahren startete er seine Karriere als Schlagzeuger: 1986 erlangte er mit der britischen Band Doctor & The Medics und dem Song „Spirit in the Sky“ einen Welthit. Der Liebe wegen siedelte Vom in den 1990ern nach Düsseldorf um, wo er seine neue Heimat gefunden hat. Seit 1998 ist er Drummer bei Die Toten Hosen, außerdem spielt er Schlagzeug bei den Bands Cryssis und Roter Kreis.