„Mehr Flexibilität zeigen“

Konzepte

Tina Jokisch und ihr Team bei Schwitzke & Partner entwickeln Store-Konzepte für die sogenannte neue Normalität. „Die räumliche Choreografie muss neu gedacht werden.“ ©Schwitzke & Partner
Autorin: Katja Vaders

Die Corona-Pandemie ist in eine entspanntere Phase eingetreten, verlangt uns aber immer noch viel ab. Wie geht der Einzelhandel mit den Herausforderungen um, die die Krise mit sich bringt? FASHION TODAY sprach mit Tina Jokisch, Geschäftsführerin bei Schwitzke & Partner, über die „neue Normalität“.

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FASHION TODAY: Auch wenn es stetig neue Lockerungen der Corona-Maßnahmen gibt, wird uns Covid-19 noch lange begleiten. Welchen Einfluss hat die Krise Ihrer Meinung nach mittel- und auch langfristig auf den Einzelhandel?
Tina Jokisch: „Aktuell ist definitiv die gesamte Branche von der Krise betroffen. Aber Händler, die schon vorher einen Online-Shop betrieben und über die unterschiedlichsten Kanäle mit ihren Kunden kommuniziert haben, gehören gerade zu den Gewinnern. Außerhalb der Modebranche sind dies zum Beispiel Sport- und Outdoorhändler, Baumärkte oder Gartencenter – eben jene, die das passende Sortiment für die Zeit zu Hause bieten.

Die Krise wird eine Art Marktbereinigung mit sich bringen, die das Mittelmaß aussortiert. Kurz: Der stationäre Handel wird sich neu aufstellen. Für Unternehmen, die sich auch schon vor der Krise gerade noch halten konnten, könnte dies leider das Aus bedeuten. Marken und Händler ohne Profil, die in jedem Dorf einen Laden haben, werden einige Stores schließen müssen. Die Innenstädte werden sich dadurch mit hoher Wahrscheinlichkeit verändern: Es wird vermehrt zu Leerständen kommen, die aus meiner Sicht zukünftig weder mit inhabergeführten Läden noch mit großen Marken gefüllt werden. ZARA hat beispielsweise angekündigt, Flächen zu reduzieren – obwohl dies ein gut aufgestelltes Unternehmen ist. Marken und Händler werden in Zukunft darauf setzen, über konzentrierte Präsenz pro Stadt mehr Begehrlichkeit zu schaffen.“

Zu Ihrem Tagesgeschäft gehört unter anderem die Gestaltung von Store Designs. Wie muss der stationäre Einzelhandel auf die Hygienevorschriften reagieren?
„Zunächst einmal gibt es die konkreten Sofortmaßnahmen wie Spuckschutz oder Desinfektionsmittel, die die Läden während des Lockdowns selbst umgesetzt haben. Diesen neuen Gegebenheiten und dem verstärkten Bedürfnis nach Sicherheit muss sich entsprechend auch das Store Design anpassen. Die räumliche Choreografie muss neu gedacht werden. So braucht es im Laden einen klaren Umlauf, sozusagen eine Einbahnstraße nach dem IKEA-Prinzip, über die man die Kunden führt und die das Gefühl schafft: Mir kann keiner entgegenkommen. Für den Händler MANUFACTUM. konnten wir dies über das entsprechende Arrangement der Möbel für die neuen Warenhäuser in Bonn und Münster realisieren. Die Besucher fühlen sich sicher und gleichzeitig inspiriert von den abfolgenden Themenwelten – und so sind die neuen Läden trotz Covid-19 sehr erfolgreich.

Darüber hinaus gilt es, lange Wartezeiten beispielsweise an der Kasse zu vermeiden und Lösungen für die Umkleiden zu finden, deren Anzahl sich durch die Hygienevorschriften halbiert hat. Die Kaufbereitschaft sinkt, wenn Kunden zu lange warten müssen – und gerade jetzt sollte sich niemand länger als nötig in geschlossenen Räumen aufhalten müssen. Unser Lösungsansatz: die Abläufe im Laden beschleunigen. Online- und Offline-Prozesse zusammendenken, um Abholungen oder Umtausche vorbereiten zu können. Pop-up-Kabinen einrichten, um Wartezeiten zu vermeiden. Dazu kommt eine gute, professionelle Beratung, damit die Kunden schnell zum Ziel kommen.

Weitere Ideen sind mobile Kassen oder Cashless Pay … Händler müssen Flexibilität zeigen, den Kunden wie auch den Abläufen gegenüber. Es ist Fakt, dass momentan weniger Menschen in den stationären Handel kommen, und denen darf man den Einkauf natürlich nicht auch noch erschweren.“

Woher nehmen Sie Ihre Ideen? Orientieren Sie sich am Lebensmitteleinzelhandel, der ja sehr schnell mit neuen Konzepten auf die Corona-Krise reagieren musste?
„Ich möchte eigentlich keine Trennung zwischen dem Textil- und dem Food-Bereich vornehmen – wir arbeiten für beide und sie befruchten sich gegenseitig. Es geht in beiden Branchen darum, eine Marke sowie deren Glaubwürdigkeit zu transportieren und dem Kunden die Sicherheit zu geben, die er braucht. Und das steht und fällt mit gutem Personal, das die Bedürfnisse der Kunden versteht.

Der Fortuna-Fanshop in der Düsseldorfer Altstadt: „Hier konnten wir noch während der Planung ein paar Hygienemaßnahmen integrieren, die sich homogen ins Store Konzept einfügen und nicht nach einer improvisierten Lösung aussehen.“ ©Nick Wolff/Schwitzke

Wir haben beispielsweise gerade den Fortuna-Fanshop am Düsseldorfer Burgplatz realisiert, der eigentlich während des Lockdowns eröffnet werden sollte. Hier konnten wir noch während der Planung ein paar Hygienemaßnahmen integrieren, die sich homogen ins Store-Konzept einfügen und nicht nach einer improvisierten Lösung aussehen.
Es ist schon immer unser Grundsatz, vom Menschen und Nutzer her zu denken und unsere Lösungsentwürfe an deren Bedürfnissen auszurichten. Durch die Vielfältigkeit unserer Kunden hat sich unser Blick über die Jahre geschärft, sodass wir mit einer branchenübergreifenden Perspektive beraten können. So ist beispielsweise die Hospitality-Welt schon immer eine Branche, die sich sehr stark an den Bedürfnissen eines Gastes orientiert. Diesen Ansatz versuchen wir auch immer für den Retail-Bereich zu denken: dem Kunden ein gutes Gefühl zu geben, damit er sich ernst genommen fühlt. Dazu gehören gut zu reinigende Flächen und Materialien genauso wie eine entsprechende Aufenthaltsqualität.“

Sie hatten eben schon davon gesprochen, wie wichtig eine professionelle, kundenorientierte Beratung im textilen Einzelhandel ist. Wie soll diese funktionieren, wenn Kunden und Verkäuferinnen/Verkäufer eine Maske tragen?
„Das Personal muss den Kunden jetzt aktiver zuhören, ihnen mehr Aufmerksamkeit schenken, noch mehr auf sie zugehen. Eine Möglichkeit, um gleich als Verkäuferin oder Verkäufer erkennbar zu sein – und auch um besser arbeiten zu können –, sind zum Beispiel gebrandete Schutzmasken oder -visiere. Wenn man die Mimik der Verkäuferin/des Verkäufers sieht, wird sie oder er gleich glaubwürdiger.“

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Gehen wir mal weg von Store-Konzepten und schauen etwas globaler: Wie werden sich die Menschen und die Innenstädte durch die Pandemie verändern?
„Wie gesagt, es werden Leerstände entstehen – das darf jedoch nicht zur Vereinsamung der Innenstädte führen. Wir denken, dass es weniger Retail-, dafür aber mehr Büro- oder Kulturflächen geben wird. Damit beschäftigen wir uns gedanklich bereits seit einiger Zeit und sprechen dazu auch mit Kunden und Investoren. Aber das ist nicht nur ein wichtiges Thema für uns und unsere Kunden, auch die Politik ist gefragt. Erstrebenswert wären mehr Grünflächen und ein größeres Freizeitangebot in den Innenstädten, obwohl dies sicherlich nicht immer so einfach umsetzbar ist – es muss schließlich auch ein Geschäftsmodell dahinterstehen … Trotzdem: Niemand möchte Geisterstädte haben, daher müssen schnell Konzepte für die Flächennutzung her.

Grundsätzlich sind diese Leerstände ja kein ausschließliches Problem der Retail-Branche. Sie werden künftig auch Büroflächen betreffen, weil sich das Homeoffice, zumindest in Teilen, etablieren wird. Viele Unternehmen werden sich fragen, ob sie weiterhin große Flächen für viel Geld in den Innenstädten anmieten möchten.

Das kann man jetzt schon in großen Metropolen beobachten, in denen vermehrt kleine Hubs in den einzelnen Districts statt im Zentrum entstehen. Arbeiten, Wohnen, Einkaufen konzentrieren sich auf den eigenen Stadtteil. Dadurch lassen sich Pendlerströme reduzieren, da diese Hubs in den Vorstädten oder in weniger zentral gelegenen Stadtteilen den Verkehr. Die Leute wollen gerade in Pandemiezeiten nicht mit den öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs sein und nehmen daher das Auto oder das Fahrrad.“

Wird die Entwicklung sogar so weit gehen, dass weniger Bürohäuser in den großen Städten gebaut werden?
„Das ist natürlich nur eine Annahme, aber ja, davon gehen wir aus. Bereits gestartete Projekte werden sicherlich zu Ende gebaut, aber ich kann mir vorstellen, dass Neuplanungen eventuell noch einmal überdacht werden. Der Trend geht ja in Richtung ,Mixed Use‘: Gebäude, in denen man verschiedene Bedürfnisse wie Retail, Wohnen, Arbeiten, Wellness und Gesundheit mischt. Auch die Hotellandschaft wird sich verändern, wenn zum Beispiel große Messen nicht mehr oder in einem ganz anderen Umfang stattfinden. Viele Mitarbeiter gehen jetzt schon lieber in ein Serviced Apartment als in ein Hotel; hier hat jeder sein eigenes Reich, kann aber trotzdem die Vorzüge eines Hotels mit Zimmerreinigung oder Frühstück aufs Zimmer nutzen. Bis hin zu Business-Hotels, die in Zukunft rein digital und kontaktlos funktionieren könnten.“

Werfen wir noch einen Blick in die Zukunft: Wie könnte die „neue Normalität“ Ihrer Meinung nach aussehen?
„Grundsätzlich ist es wichtig, dass wir alle mehr auf Qualität und Nachhaltigkeit achten. Und es muss mehr Raum für eine persönlichere Ansprache geben. Leider musste es erst zu einer Krise kommen, damit die Leute das bemerken. Das Potenzial dafür ist da, wir müssen es nur ausschöpfen! Es ist wichtig, mit dem Kunden in Kontakt zu bleiben, das gilt für jedes Unternehmen und insbesondere für den Retail: Die Händler müssen die Kundenkommunikation auf allen Kanälen aufrechterhalten! Sie müssen immer flexibel bleiben und vor allem nicht aus den Augen verlieren, wie wichtig das Online-Geschäft auch für den stationären Einzelhandel ist.

Wir werden uns zudem ein Stück weit daran gewöhnen müssen, dass Sicherheitsvorkehrungen wie Masken zum normalen Bild gehören. Wir Deutschen funktionieren in dem Punkt wahrscheinlich etwas anders als beispielsweise asiatische Nationen, in denen der Mundschutz bereits seit Jahren zum Alltag gehört. Geselligkeit, etwa in der Gastronomie, ist für uns elementar. Daher bin ich mir sicher, dass es diese Nähe so bald wie möglich wieder geben wird – das ist auch eine Mentalitätsfrage.“

Im Schmelztiegel

Tina Jokisch ist seit 2017 Geschäftsführerin bei Schwitzke & Partner. Nach einer Tischlerlehre ging die gebürtige Düsseldorferin zum Studium der Innenarchitektur an die Parsons School of Design nach New York. Erste berufliche Erfahrungen sammelte sie – ebenfalls in NYC – bei diversen Architekturbüros. Seit 2005 ist sie in der Mannschaft der Schwitzke-Architekten. Sechs Jahre lang führte sie ein eigenes Team mit dem Fokus auf Entwicklung und Umsetzung markengerechter Innenarchitekturkonzepte, bevor sie in einer Doppelspitze mit Marie Ernst die Leitung des Unternehmens übernahm.