Besser als befürchtet

Russische Wirtschaft

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Autor: Markus Oess
Die Corona-Pandemie, der Verfall des Erdölpreises und der schwache Rubel – die Vorzeichen deuteten auf einen Rückschlag der russischen Wirtschaft hin. Und so befürchteten die Experten, dass das größte Land der Welt schwer angeschlagen aus dem vor uns liegenden Jahr geht. Von einem wiedererstarkten Russland zu sprechen, wäre zwar übertrieben, aber es ist durchaus mit einer Erholung zu rechnen, wenn die politische Lage nicht weiter eskaliert und die Sanktionen des Westens nicht noch weiter verschärft werden.

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 „Die deutsche Wirtschaft blickt mit Sorge auf die Geschäftsentwicklung in Russland. Die Mehrheit der Unternehmen erwartet 2021 ein schwieriges Jahr und will nicht investieren“, berichtete Gerit Schulze Mitte vergangenen Dezember. Schulze arbeitet für die Germany Trade & Invest Moskau, eine Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland für Außenwirtschaft und Standortmarketing mit Sitz in Bonn. Als hierzulande coronabedingt die Ampeln seit schon zwei Wochen auf Rot standen, hatte die Pandemie die Ergebnisse der traditionellen Geschäftsklima-Umfrage der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer (AHK) und des Ost-Ausschusses der Deutschen Wirtschaft ihre Spuren stark eingetrübt. Nur ein Drittel der befragten Firmen glaubte an eine positive Entwicklung der Konjunktur in Russland im Jahr 2021. Ähnlich niedrig ist der Anteil jener Unternehmen, die ihre eigene Geschäftslage im Land noch als gut bis sehr gut beschrieben. Steigende Exporte erwarteten nur 23 Prozent der Unternehmen. Rainer Seele, Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer, deutete die Ergebnisse als Ausfluss der schwierigen Situation, in der Russland sich befindet. Doch die Pandemie ist nicht das einzige Problem. Das Land habe immer noch mit der Energiekrise und dem Verfall der Öl- und Gaspreise zu kämpfen, sagte Seele bei der Präsentation der Umfrageergebnisse. Der Vorstandsvorsitzende des Öl- und Gaskonzerns OMV betonte, „dass Russland weitere Konjunkturimpulse benötigt“. Deshalb müsse der Nationale Aktionsplan schnell umgesetzt werden, forderte auch der Vorsitzende des Ost-Ausschusses, Oliver Hermes.

Russlands Regierungschef Wladimir Putin will die Wirtschaft mit einem „Nationalen Aktionsplan stützen.

Neue Wachstumsimpulse erhofft sich die Regierung vom 5 Billionen Rubel (55,5 Milliarden Euro) schweren „Nationalen Aktionsplan zur Wiederbelebung der Wirtschaft“. Der Plan soll Investitionen und Konsum ankurbeln und enthält mehr als 500 Maßnahmen zur Verbesserung des Geschäftsklimas, der Exportförderung und Importsubstitution. Für das Jahr 2021 stehen hierfür etwa 7 Milliarden Euro aus dem Staatshaushalt zur Verfügung. Für einen erneuten Anstieg der deutschen Exporte sind außerdem die Stabilisierung des Rubelkurses und ein Abbau von Handelsbarrieren nötig. Nach Einschätzung der deutschen Unternehmer stören während der Corona-Krise vor allem die Reisebeschränkungen, der Nachfragerückgang und die Quarantäne der Beschäftigten das Geschäft. Die Folgen: 2021 wollen nur noch drei von zehn deutschen Unternehmen in Russland investieren, berichtet Schulze. Wenn investiert wird, dann geht das Geld vor allem in den Großraum Moskau, nach Sankt Petersburg und Lipezk.

Gleichzeitig drängt der Kampf gegen das Coronavirus die US- und EU-Sanktionen als Störfaktoren im Russlandgeschäft in den Hintergrund. Als wichtigste Markthemmnisse nennen die deutschen Unternehmen nun den schwachen Rubelkurs, die Anti-Corona-Maßnahmen der Regierung und die allgemeine Konjunkturflaute. Erst dann folgen in der Bewertung die Sanktionen vor Bürokratie, Einfuhrverfahren und Protektionismus. Eine große Mehrheit der Unternehmen spricht sich weiterhin für eine Abschaffung der Russlandsanktionen aus.

Signale der Hoffnung

Im April dieses Jahres kommt GTAI-Experte Hans-Jürgen Wittmann zu dem Schluss, dass die russische Wirtschaft im globalen Vergleich doch relativ glimpflich durch die Corona-Krise kommt. Russland lag Mitte März 2021 mit rund 4,4 Millionen Corona-Infektionen weltweit auf Platz vier der betroffenen Länder. Dennoch kam die Wirtschaft besser durch die Pandemie als zuvor befürchtet. „Mit einem Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 3 Prozent fiel die Rezession geringer aus als im globalen Durchschnitt von minus 3,5 Prozent. Für 2021 erwartet das Wirtschaftsministerium ein BIP-Wachstum um 3,3 Prozent, die Zentralbank um 3,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr“, konstatiert Wittmann. Die Regierung will in diesem Jahr 2021 für die Bekämpfung der Pandemiefolgen und zur Umsetzung der nationalen Entwicklungsziele umfangreiche Gelder bereitstellen und wird weitere Schulden aufnehmen. Sie beschloss den Haushalt für 2021 mit einem Defizit von 2,4 Prozent des BIP. Unterdessen senkte die Zentralbank den Leitzins 2020 zwar schrittweise auf 4,25 Prozent, musste aber auf die anhaltend hohe Inflationsrate, die im Februar 2021 mit 5,7 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat ein Fünf-Jahres-Hoch erreichte, mit einer Erhöhung auf 4,5 Prozent reagieren.

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Signale der Hoffnung sendet auch das Energieministerium aus. Dort rechnet man dieses Jahr mit einer Erholung der Nachfrage nach Erdöl. 2020 waren die Einnahmen aus dem Export von Erdöl im Vergleich zum Vorjahr um 12,6 Prozent abgerutscht. Zudem hofft die Regierung auf eine Verlängerung des Förderlimits durch die OPEC-plus-Staaten. Neben dem Verfall des Erdölpreises macht den Russen auch die Abwertung des Rubels zu schaffen. Er verlor im Jahr 2020 gegenüber dem Euro um etwa 30 Prozent an Wert. Seit Anfang Februar immerhin wertete der Rubel um rund 5 Prozent auf. Und Analysten rechnen mit einer Kursstabilisierung, falls die Ölpreise nicht wieder nach unten absacken – und wenn keine weiteren Wirtschaftssanktionen gegenüber Russland verhängt werden. So warnen Experten wie Professor Gerhard Mangott im FT-Interview vor einer weiteren Verschärfung. Dennoch verlängerte die Europäische Union (EU) die Sanktionen gegen Russland wegen der Lage in der Ukraine zuletzt im März 2021 um sechs Monate bis zum 15. September. Russland wiederum reagiert darauf unter anderem mit einer verschärften Politik der Lokalisierung und Importsubstitution. Neben den bereits bestehenden EU-Sanktionen werden auch Russlands Gegensanktionen seit 2014 regelmäßig verlängert. Und die derzeitigen Truppenbewegungen an der Grenze zur Ukraine und wechselseitigen Drohgebärden verheißen nicht gerade eine Entspannung der Lage.

Ausfall ausländischer Investitionen

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Doch auch wenn der Nationale Aktionsplan Wachstumsimpulse setzen soll, fallen zumindest die ausländischen Direktinvestitionen als Wachstumstreiber aus. Im Jahr 2020 brachen sie im Vergleich zum Vorjahr um gut 95 Prozent auf etwa 1,2 Milliarden Euro ein. Obendrein drücken krisenbedingte Lohnkürzungen und der Anstieg der Verbraucherpreise die Kaufkraft russischer Konsumenten. Seit sieben Jahren sinken oder stagnieren die frei verfügbaren Einkommen. 2020 fielen sie um 3,5 Prozent. Gleichzeitig stieg die Zahl der Arbeitslosen auf eine Quote von 5,8 Prozent, ist aber im internationalen Vergleich immer noch recht passabel. So rechnet die Zentralbank für 2021 mit einer Zunahme der Konsumausgaben um 5 bis 6 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Staatliche Sozialleistungen sollen die Kaufkraft stärken. „Im Vorfeld der im September 2021 stattfindenden Duma-Wahlen ist mit weiteren sozialen Wohltaten zu rechnen. Auch der Nachholbedarf durch aufgeschobene Käufe wird für Wachstum sorgen“, schätzt Wittmann. „Die Corona-Pandemie hat die russische Wirtschaft weniger ausgebremst als befürchtet. Inzwischen sind viele Industriezweige wieder auf Wachstumskurs“, sagt auch sein Kollege Schulze. Für 2021 erwartet das Wirtschaftsministerium ein Wachstum von 3,3 Prozent und für 2022 von 3,4 Prozent. Die OECD rechnet hingegen für 2021 mit einem Zuwachs des BIP um 2,7 Prozent und für 2022 um 2,6 Prozent. Dann würde Russland nur halb so stark wachsen wie die Weltwirtschaft.