Gut und günstig

Fast Fashion aus Polen

„Corona ist bei vielen Dingen ein Brandbeschleuniger, aber einen Laden zu schließen, der aufgrund der Pandemie zwölf Monate keinen Umsatz gemacht hat, entbehrt jeder Grundlage. Denn wenn morgen Corona vorbei ist, wird es weitergehen“, sagt Martin Kanngiesser, Geschäftsführer LPP Deutschland. Alle Bilder ©RESERVED

Autorin: Katja Vaders
Obwohl das Konzept Fast Fashion für viele nicht mehr zeitgemäß ist: Die Umsätze der meisten Ketten bleiben relativ stabil. FT sprach mit Martin Kanngiesser, Geschäftsführer bei LPP Deutschland, über die polnische Marke RESERVED und ihr Erfolgsrezept.

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„Von anderen Discountern wie PRIMARK grenzen wir uns klar ab. Unser Fokus liegt auf der Mode, nicht auf dem Preis.“ Martin Kanngiesser, Geschäftsführer LPP Deutschland

Fast Fashion ist zwar bei immer mehr Konsumenten verpönt, die meisten wollen allerdings nach wie vor Mode, die gut, aber auch günstig ist. Das zeigen die seit Anfang der 2000er-Jahre stetig wachsenden Umsätze in diesem Segment. Marktführer bleibt INDITEX (unter anderem ZARA), das im letzten Jahr einen Umsatz von knapp 20 Milliarden Euro zu verbuchen hatte, dicht gefolgt von H&M, die im gleichen Geschäftsjahr bei immerhin noch knapp 18,4 Milliarden lagen.

Ein Mitbewerber der Big Player, die sich mit einer sehr offensiven Expansionspolitik auf dem deutschen Markt positioniert haben, ist RESERVED, eine polnische Fast-Fashion-Marke unter dem Dach der LPP, eines börsennotierten Bekleidungskonzerns mit Sitz in Danzig.

Die Geschichte des Unternehmens sei, wie LPP-Geschäftsführer Deutschland Martin Kanngiesser erzählt, „so banal wie faszinierend. Die hinter RESERVED stehende Firma gibt es bereits seit rund 35 Jahren. Zwei junge polnische Männer kauften seinerzeit im Ausland Textilien ein und verkauften sie auf Märkten in Polen weiter. Da dies gut funktionierte, taten sie das regelmäßig und etwas später wurde eine Firma gegründet. Zunächst war das ein Großhandel, der Supermärkte mit Textilien belieferte, irgendwann folgte das erste Geschäft mit 20 Quadratmetern, das ‚Reserved‘ hieß.“

Die Marke RESERVED ist im Wesentlichen immer noch in Osteuropa ansässig: „Unser Headquarter ist weiterhin in Danzig und wir haben Designbüros in Warschau und Krakau, wo die Ideen und Trends geschaffen werden. Wir sind polnisch und da sind wir auch stolz drauf“, so Kanngiesser. Die Marke hat klare internationale Ambitionen – und ist längst vom Händler zum Produzenten geworden. In den 1990ern expandierte das Unternehmen nach Ungarn, Tschechien und Russland.

„Eine ganz natürliche Entwicklung“, findet Martin Kanngiesser. „Über eine Bedarfsanalyse stellt man irgendwann fest, dass man noch etwas anderes brauchen kann als die Textilien, die einem die Lieferanten anbieten. Man sucht und wenn man diese speziellen Teile nicht findet, muss man sie eben selbst herstellen lassen“, so Kanngiesser weiter.

Der Bau einer Kollektion sei allerdings sehr komplex. Dafür schickt RESERVED eigene Leute als Trendscouts los und analysiert Verkäufe der letzten Saison. Dazu kommt das, was die großen Designer und Trendscouts an Farben, Schnitten und Materialien für die nächste Saison vorgeben. „Wir wissen dann ziemlich genau, welche Trends kommen. Dementsprechend können wir unsere Topseller weiterentwickeln, bis eine erfolgreiche Kollektion entsteht. Einer der Gründe, selbst produzieren zu lassen: um ganz genau auf die Bedürfnisse der Kunden eingehen zu können. Und natürlich, weil es günstiger ist, als zu kaufen“, erläutert Martin Kanngiesser.

In Deutschland betreibt die Kette 19 Märkte.

RESERVED weiß offenbar ziemlich genau, was seine Kunden wollen: Mittlerweile ist die Marke in 39 Ländern vertreten. Und kommt mit ständig neuen Trends auf den Markt. „Es sind wahrscheinlich 52 Kollektionen im Jahr, unser Lieferzyklus ist also extrem Fast Fashion. Die Produkte werden im Idealfall nur einmal geliefert, es gibt zwar eine Nachsortierung, aber die ist minimal. Die Ware soll komplett abverkauft werden, dann können wir auch sehr schnell auf alle Trends reagieren“, so Martin Kanngiesser. Dabei ist doch eigentlich Nachhaltigkeit das ganz große Thema derzeit – ist die überhaupt mit Fast Fashion vereinbar?

„Man muss hier ganz klar zwischen Fast Fashion und Discounter differenzieren. Fast Fashion heißt grundsätzlich nur, schneller zu sein, also wechselnde Kollektionen anzubieten, damit der Kunde regelmäßig neue Produkte finden kann. Das fordert natürlich andere Design-, Entscheidungs- und auch Lieferprozesse. Die Produktion dahinter, die Preisgestaltung und die Arbeitsbedingungen sind dadurch nicht anders. Daher schließen sich Nachhaltigkeit und Fast Fashion meiner Meinung nach nicht aus“, erklärt Martin Kanngiesser.

Aber begünstigt das Konzept Fast Fashion nicht auch, dass Kunden viel mehr kaufen, als sie eigentlich brauchen, und die Teile nur kurz oder vielleicht gar nicht tragen? „Das würde ich grundsätzlich nicht unterschreiben. Fast Fashion bedeutet ja lediglich, dass sie ein Modell kaufen, dass es nicht allzu häufig im Laden gibt. Der Bedarf steigt nur indirekt dadurch, dass die Auswahl größer ist – die Anzahl der Produkte bleibt die gleiche.“ Dass bei wachsender Auswahl beim Kunden der Druck steige, sich öfter etwas Neues zu kaufen, sei klar. „Natürlich schaffen wir Abwechslung und damit auch Anreize, mehr zu kaufen: Das ist Fast Fashion. Aber machen nicht wir das Angebot, kauft der Kunde woanders“, so Martin Kanngiesser.

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Als direkte Mitbewerber von RESERVED sieht er vor allem ZARA, aber auch H&M sowie MANGO. „Von anderen Discountern wie PRIMARK grenzen wir uns klar ab. Unser Fokus liegt auf der Mode, nicht auf dem Preis.“

Der Qualitätsanspruch der Polen ist dementsprechend groß, man müsse aber auch immer die breite Kundschaft im Blick behalten. „Wir messen uns nicht mit Discountern, sind nicht Preisführer und müssen es auch nicht sein. Für uns stehen andere Faktoren im Vordergrund: Mode, Qualität der Materialien und der Verarbeitung. Außerdem wählen wir unsere Lieferanten sehr genau aus und kontrollieren natürlich die Ware, aber auch die Fabriken vor Ort. Selbstverständlich haben wir die internationalen Standards, was Arbeitsbedingungen und den Einsatz von Chemikalien angeht. Das kommunizieren wir allerdings nicht allzu offensiv, obwohl wir deutlich mehr tun, als dem heutigen Standard entspricht.“ Dazu gehörten neben Mitgliedschaften in entsprechenden internationalen Vereinigungen die Beachtung von Bio- oder Fair-Trade-Siegeln sowie Umweltbedingungen in der Region, Anbaubedingungen von Rohstoffen oder die Prüfung von Färbereien und Transportwegen. „Wir möchten möglichst hohe Standards setzen – was nicht heißt, dass wir heilig sind. Dennoch, unser Qualitätshandbuch ist dick – da haben unsere Lieferanten ordentlich zu tun, egal ob wir in Europa oder Asien kaufen oder produzieren lassen“, so Martin Kanngiesser.

So nachhaltig, so gut – wenn da nicht der Online-Handel wäre, für Fast-Fashion-Ketten ein immer wichtigerer Vertriebsweg, auch wenn er alles andere als umweltverträglich ist.

INDITEX kündigte bereits im letzten Jahr an, 1.200 unrentable Läden zu schließen. Gleichzeitig möchte man den Online-Markt ausbauen. Offizieller Grund für diese Maßnahmen sind Umsatzeinbußen wegen der Corona-Krise.

Mittlerweile ist die Marke in 39 Ländern vertreten.

Wie ist RESERVED bisher durch die Pandemie gekommen – und sind auch hier die Schließungen von Filialen geplant? „Der stationäre Umsatz ist natürlich gerade mal wieder komplett gegen null. Regulär geöffnete Geschäfte in Regionen mit niedriger Inzidenz hatten allerdings tendenziell Umsätze auf dem Niveau von 2019. Das Prinzip ‚Click and Meet‘ führt dazu, dass sich die Umsätze im Bereich von 30 bis 50 Prozent bewegen, in Kombination mit einer Testung sinken sie auf ein Viertel, höchstens ein Drittel“, erzählt Martin Kanngiesser. Der Online-Umsatz sei dafür aber definitiv mehr geworden. „Wir sind sowieso online stark. Wir machen weit über 2 Milliarden Euro Umsatz und haben entsprechende Systeme in der Logistik, die dahinterstehen. Das war aber schon vor der Krise so.“ Die Nutzungsintensität des Online-Handels habe jedoch stark zugenommen, auch viele Skeptiker hätten notgedrungen online bestellt und gesehen, wie gut das funktioniert.

Aber was bedeutet das für den stationären Handel bei RESERVED? „Wir haben in Deutschland aktuell 19 Läden, alle in einer Toplage. Und Corona hat uns bisher noch keine Gründe geliefert, dies zu ändern. Natürlich geht es gerade vielen Händlern und Marken schlecht, viele Unternehmen werden kurzfristig vom Markt verschwinden, wieder andere werden sehr angeschlagen weitermachen.“ Auch RESERVED werde genau beobachten müssen, welche Standorte nicht mehr rentabel sind, aber das sei Tagesgeschäft. „Corona ist bei vielen Dingen ein Brandbeschleuniger, aber einen Laden zu schließen, der aufgrund der Pandemie zwölf Monate keinen Umsatz gemacht hat, entbehrt jeder Grundlage. Denn wenn morgen Corona vorbei ist, wird es weitergehen.“

Dennoch müsse der stationäre Handel dafür sorgen, dass er nicht stirbt – zum Beispiel, indem er den Leuten etwas biete, das sie online nicht bekämen – auch wenn nicht alle Unternehmen überleben werden. „Es wird fundamentale Änderungen geben. Das zeichnet sich schon lange ab, die Krise hat das nur beschleunigt.“