Durch die Pandemie: vier Köpfe, vier Wege

Nachgefragt

Wir haben mit vier Entscheiderinnen und Entscheidern der Modebranche aus unterschiedlichsten Unternehmen in einer Momentaufnahme über Strategien in und durch die Pandemie gesprochen. v.l.n.r.: Moritz Biel ©Givn, Marco Lanowy ©ALBERTO, Nicole Metzger ©PETER HAHN, Lasse Holger Mitterhusen ©OLYMP

Autorin: Silke Lambers
Die Corona-Krise hat die Kollektionsarbeit verändert. Sei es in der Zusammenarbeit mit Lieferanten, in der Kollektionsplanung oder bei den Kollektionsrhythmen. Reisen sind eingeschränkt, unsere Kommunikation hat sich verändert und zudem scheint die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit durch das Homeoffice zunehmend zu verschwimmen. Wir haben mit vier Entscheiderinnen und Entscheidern der Modebranche aus unterschiedlichsten Unternehmen in einer Momentaufnahme über Strategien in und durch die Pandemie gesprochen.

WERBUNG

Erst kam die Panik, dann die Erkenntnis, dass Corona mehr als nur ein kurzer Einschnitt in den Modehandel ist (neben allen anderen Bereichen des Lebens). Und dann kam die Frage, wie man sich in, durch und nach einer weltweiten Pandemie aufstellt. Ganz klar: Wer hier schon von Anfang an im Netz gut aufgestellt war, hatte klare Vorteile. Nicole Metzger, Bereichsleiterin Einkauf bei Peter Hahn, sagt: „Wir gehören als Mitspieler im Distanzhandel klar zu den Gewinnern in der Pandemie.“ Während die Geschäfte im Lockdown geschlossen wurden, wichen die Kunden auf die vergleichsweise weniger zahlreichen Online-Händler aus, die sich über Umsatzzuwachs freuten. Der nachhaltige Anbieter Givn aus Berlin reagierte auf die veränderten Kundenbedürfnisse mit ausführlicheren Informationen im Online-Shop. „Wir setzen auf mehr Fotos, Videos und detaillierte Informationen zu Fit und Material“, sagt Geschäftsführer Moritz Biel. Und auch das Modell Click and Collect habe im Flagshipstore gut funktioniert und laufe aktuell weiter. Auf ein klares und fokussiertes Vorgehen setzt Marco Lanowy, teilhabender Geschäftsführer bei ALBERTO: „Wir haben ein gut funktionierendes, ganzjähriges NOS-Programm, das auch in der Krise bestens funktioniert hat. Wir arbeiten eng mit unseren Kunden zusammen und kommunizieren weit im Voraus, welche Styles wir saisonübergreifend anbieten.“

Neuaufstellung in der Business-Mode

Während der Pandemie hat sich der Bedarf geändert und der Endkunde hat den Komfort für sich entdeckt, darüber ist man sich einig. „Ich brauche nun mal keinen neuen Blazer, wenn ich nicht in der Bank vor Ort arbeite, und kein neues Party-Outfit, wenn die Hochzeit ausfällt“, fasst Nicole Metzger zusammen. Aber bedeutet das jetzt einen Sprung vom Blazer zum Jogginganzug? „Das sehe ich nicht, es muss eher ein Blazer sein, der komfortabel ist wie ein Sweatshirt. Das Erleben des Komforts auf dem Sofa will man beibehalten, aber es sollte angezogen aussehen. Durch die Erfahrung Homeoffice verkaufen wir andere Looks. Looks, die sich besser in das Privatleben integrieren lassen.“ Dadurch verändern sich die Anteiligkeiten in den Kollektionen und das Business-Outfit muss universeller werden. Das Stichwort hier lautet Business Casual.

Auf der einen Seite wolle man sich jetzt wieder schicker anziehen, auf der anderen Seite die neu gewonnene Bequemlichkeit nicht wieder aufgeben. Deshalb setzt man auch bei OLYMP auf Innovation im Business-Segment. „Wir haben den Anteil von OLYMP 24/Seven angesichts der drastisch veränderten Tragegewohnheiten noch einmal deutlich erhöht. Wachsende Sortimentsanteile an Freizeit- und Smart-Casual-Hemden, Pullovern, Polo-, Sweat- und T-Shirts stehen im Vordergrund“, so Lasse Holger Mitterhusen, Creative Director bei OLYMP. Auch bei Givn und ALBERTO sieht man eine gestiegene Nachfrage nach Loungewear und Styles für das Homeoffice. Marco Lanowy bestätigt: „Der Endverbraucher fragt inzwischen verstärkt nach der ,Jerseyhose‘ oder einer ,Jeans mit Stretch‘. Wir kommunizieren solche Modelle niedrigschwellig.“„Wir verkaufen weniger Blazer und Anzüge, aber dafür mehr Sweatshirts“, sagt auch Moritz Biel. Einen zusätzlichen Katalysatoreffekt habe die Pandemie auf das Thema Nachhaltigkeit, für das das Interesse noch einmal deutlich gestiegen sei. „Bei uns werden immer mehr nachhaltige Materialien nachgefragt und auch entwickelt. Gleichzeitig wachsen die Themen Recycling und zirkuläres Wirtschaften.“

Anpassungen in der Kollektionsarbeit

Lockdown und Reisebeschränkungen haben die Branche gezwungen, Arbeitsweisen anzupassen. Wenn man nicht mehr zum Lieferanten fahren kann, gibt es im Einkauf und der Kollektionserstellung auch schon mal Überraschungen, wenn die Farbwahrnehmung oder die Haptik eines Materials plötzlich ganz anders ist als erwartet. Bei Peter Hahn verkauft man neben den eigenen Designs auch Fremdmarken. „Das Ergebnis vom digitalen Einkauf bei Marken ist mehr als schwierig. Der Eindruck war online oft ein ganz anderer, als wenn die Ware vor einem hängt. Man ist auch an Sachen vorbeigegangen, die im Lookbook nicht auffielen, aber die in echt super waren. Die Haptik ist bei Mode doch entscheidend. Wir bestücken mit einer Marke in etwa drei Doppelseiten, das sind 18 Teile aus einer Kollektion, die vielleicht um die 180 Teile stark ist. Diese Teile müssen perfekt zur Zielgruppe passen, in Qualität und im Fit. Bei uns muss jedes Teil ein Treffer sein“, beschreibt Nicole Metzger den Einkauf während der Pandemie und setzt inzwischen auf private Termine im Showroom oder auf Vorlagen im Haus.

Anders Givn, hier haben sich die Arbeitsweisen in Richtung mobiles Arbeiten verschoben. „Wir machen weniger Besuche vor Ort und dafür weiterhin mehr digitale Meetings“, sagt Moritz Biel. „Durch eine Zunahme an Video Calls und digitale Abstimmungen verkürzen wir die Wege und arbeiten entspannter. Angespannt ist aber nach wie vor die Rohstoffsituation beim Thema Verfügbarkeit und Preise. Und auch die Personalplanung bei den Produktionsstätten ist schwieriger, das heißt, wir haben trotz mehr Abstimmung mehr Unsicherheit. In Summe kommen wir aber dadurch, dass unsere Lieferanten alle in Europa sitzen und es somit kurze Transportwege sind, gut durch die Krise.“ Verlängert haben sich die Arbeitszyklen: „Die instabile Lage auf dem Rohstoffmarkt und auf dem Container-Transportmarkt bedeutet, dass wir früher unsere Planzahlen abgeben müssen und deshalb ein höheres Risiko haben, zu viel oder zu wenig einzukaufen.“

WERBUNG

Bei OLYMP zieht man ein überwiegend positives Feedback. „Wann immer möglich, greifen wir auch bei der Kollektionsentwicklung nach wie vor vorzugsweise auf mobiles Arbeiten und verschiedene Kommunikationstechnologien zurück. Dank der technischen Möglichkeiten lassen sich Designkreationen mittlerweile auch problemlos aus der Ferne ersinnen“, so Lasse Holger Mitterhusen.

Strategie statt Kapsel

Die kurzfristige Capsule-Kollektion war bei unseren Interviewgästen kein Thema. Wir haben nachgefragt, warum. Bei OLYMP erklärt man uns die Kollektionsstrategie so: „Primär haben wir uns mit der Reduktion von Komplexität sowie der Straffung und Neustrukturierung von Kollektionsinhalten befasst und darüber hinaus eine Feinjustierung der Saison- und Kollektionsrhythmen vorgenommen. Die Herbstkollektion wird fortan nicht nur etwas früher lieferfähig sein, um beizeiten frische Ware auf die Flächen zu bringen, sondern durch den dauerhaften Wegfall der Winterkollektion auch von einem verlängerten Verkaufszeitraum profitieren. Die einstige Winterkollektion wird von einer Pre-Spring-Kollektion mit Auslieferung ab Mitte Oktober abgelöst. Dafür entfällt der frühe Liefertermin der Frühjahrskollektion, die künftig erst ab Januar ausgeliefert wird. Die Sommerkollektion, die dann High Summer Collection heißen und ab Oktober in den Vorverkauf gehen wird, wird erst im April zur Auslieferung kommen. Wir arbeiten also auch weiterhin mit vier Kollektionen und kommen ohne irgendwelche Kapselkollektionen aus.“ Durch diese Anpassungen verspreche die Marke sich eine bedarfsgerechtere Warenversorgung und verbesserte Absatzchancen.

Weniger radikal ändern sich die Kollektionszyklen bei den anderen Befragten. Nicole Metzger hält das Thema Capsule-Kollektionen bei Peter Hahn für wenig nachhaltig: „Aufgrund unseres Geschäftsmodells ist ein schnelles Reagieren mit kurzfristigen Programmen bei den Eigenmarken gar nicht möglich, dazu benötigen wir zu viel Vorlauf und auch viele unserer Lieferanten könnten das gar nicht realisieren.“ Auch bei Givn bleibt man bei bewährten Zyklen: „Für Frühjahr/Sommer 2022 wurde für die Januar-Auslieferung weniger nachgefragt, dafür mehr für Februar und März, weil es noch Restware aus Winter 2020 und Jahresanfang 2021 gibt. Aber ansonsten bleiben wir aktuell bei unseren sechs Drops mit stimmigen Farbwelten je Drop.“

Auch bei ALBERTO justiert man nur bei bewährten Methoden nach. Marco Lanowy erklärt: „60 Prozent unserer Kunden kauften schon vor der Pandemie im B2B-Bereich ein und das behalten wir mit einem ausgebauten Serviceangebot auch so bei. Dabei schlagen wir Kollektionen vor, aber der Kunde wählt selber aus. Unsere Säulen in der Kollektion sind dabei zu 50 Prozent Jeans, die wirklich stark laufen, das Thema Golf und ein weiteres Highlight sind unsere Bike Jeans.“