Eine afrofuturistische Band

Musik

Der Afrofuturismus steht für Utopien in Musik, Kunst, Literatur oder Comics. Die Düsseldorfer Band Gato Preto sieht sich in der Tradition dieser Bewegung. Das zeigt sich nicht zuletzt in ihren futuristischen und künstlerischen Kostümen ©Styling: Rolf Buck / Photo: Alexander Wurm

Autorin: Katja Vaders
Die Düsseldorfer Band Gato Preto begeistert nicht nur mit ihrem einzigartigen Sound, sondern auch mit ihren extravaganten Bühnenoutfits und Dance Styles. Sängerin Carmen Brown aka Gata Misteriosa sowie DJ und Produzent Lee Bass greifen in ihrer künstlerischen Arbeit immer wieder auf ihre afrikanischen Wurzeln zurück und sehen sich in der Tradition des Afrofuturismus, einer Bewegung, die der „Black Excellency“ eine Stimme verleiht.

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©Styling: Rolf Buck / Photo: Alexander Wurm

FT: Gata und Lee, wie die meisten Musiker habt ihr harte anderthalb Jahre hinter euch. Wie läuft es aktuell bei euch?
Lee Bass: „Unser neues Album ist fast fertig, aber ohne eine Tour ist es schwierig … Wir sind keine Online-Stream-Band, sondern leben von unseren Liveauftritten.“

Gata: „Vor der Pandemie sind wir weltweit getourt, daher hat uns Corona extrem hart getroffen. Aber die meisten Festivals, die wir kennen, haben in den letzten beiden Sommern nicht stattgefunden. Wir haben die Zeit aber genutzt, um uns neu aufzustellen. Und jetzt hoffe ich, dass es bald wieder möglich ist, auftreten zu können.“

Das Thema der aktuellen FT ist „Afrika“. Wie sieht euer afrikanischer Background aus?
Gata: „Ich bin in Portugal geboren, meine Eltern stammen aus Mosambik und ich lebe schon viele Jahre in Deutschland.“

Lee: „Ich bin in Deutschland geboren, mein Vater stammt aus Ghana, meine Mutter aus Solingen. Ich habe erst durch die Musik und vor allem über die Band Gato Preto immer mehr zu meinen afrikanischen Wurzeln gefunden. Dazu gehört, dass ich auch immer öfter Ghana besuche.“

Was bedeutet Fashion für die Menschen in Afrika, zum Beispiel in Ghana oder Mosambik?
Gata: „Mode ist natürlich auch in Afrika ein Statement und Ausdrucksform für die Persönlichkeit – vor allem über die Farben und Formen. Für unsere Bühnenoutfits haben wir daher mit Künstlern zusammengearbeitet, die sich mit afrikanischer Fashion beschäftigen. Lee und ich haben uns sehr intensiv darüber ausgetauscht, wie unsere Bühnenoutfits gestaltet sein sollen. Wir haben versucht, eine Brücke zu schlagen zwischen Science-Fiction und Futurismus, wollten also ein bisschen ,over the edge‘ sein, aber gleichzeitig mit traditionellen afrikanischen Stoffen arbeiten.

Lees Wurzeln sind in Westafrika, meine liegen in Südostafrika. Allein diese beiden Länder sind so unterschiedlich, was Stoffe und Materialien, Drucke und Muster angeht. Es gibt also eigentlich gar keine ,afrikanische Mode‘, sondern viele Regionen mit verschiedenen Kulturen und Stämmen, die sich über ihre Stoffe und Muster repräsentieren. Und das wollten wir bei unseren Kostümen auch machen: unsere Kultur, den afrikanischen Teil in uns, über die Mode ausdrücken.“

Ihr habt wirklich ganz besondere und wunderschöne Bühnenoutfits. Arbeitet ihr dazu mit speziellen Designern zusammen?

©Styling: Rolf Buck / Photo: Alexander Wurm

Lee: „Ganz am Anfang haben wir mit Jana Januschewski von Jotjot Fashion zusammengearbeitet. Sie hat westliche Street Fashion mit afrikanischen Schnitten kombiniert, was sehr gut zu uns gepasst hat. Für unsere ersten Pressefotos haben wir dann ihre Mode mit afrikanischer Gesichtsbemalung gemixt und das sah wirklich super aus! Wir haben uns erst später konkretere Gedanken zu unserem Style gemacht, haben recherchiert und sind irgendwann auf das Thema Afrofuturismus gekommen. Wir wussten gar nicht, was das ist, sind aber über andere Musiker, die uns inspiriert haben, wie zum Beispiel George Clinton, darauf gestoßen.

Für unser erstes Video haben wir mit dem Düsseldorfer Stylisten Rolf Buck zusammengearbeitet. Er ist sehr kreativ und hat vor allem das afrikanische Thema total gut verstanden. Wir haben seinerzeit selbst sehr viel gelernt, weil wir ja auch nicht wussten, was wirklich afrikanisch ist, da wir beide in Europa aufgewachsen sind. Unsere afrikanische Seite mussten wir dementsprechend erst einmal selbst ergründen.

Inzwischen kommt unsere afrikanische Seite immer mehr zum Vorschein, da wir uns viel bewusster mit der afrikanischen Kultur und damit auch mit unserer eigenen Identität auseinandersetzen. Und das sieht man dann auch immer mehr in unserer Präsenz und unseren Outfits.“

Auch eure Art zu tanzen ist sehr stark afrikanisch, nämlich von der angolanischen Tanzart Kuduro inspiriert. Wie habt ihr euch als Band zusammengefunden?
Gata: „Lee hatte mich vor ungefähr zehn Jahren kontaktiert, mir einen Track geschickt und mich gefragt, ob ich dazu nicht irgendwas machen möchte. Es hat sich ergeben, dass ich darauf im Kuduro Style gerappt habe, ein angolanischer Tanz- und Musikstil, der in den 1990er-Jahren ein großes Ding in Portugal war. Das hat Lee so gut gefallen, dass wir beschlossen haben, weiter zusammenzuarbeiten; so ist dann unser Projekt Gato Preto entstanden.“

Und wie kam es dazu, dass ihr angefangen habt, euch mit afrikanischer Kultur auseinanderzusetzen?
Gata: „Wir sind eines Tages vom GOETHE INSTITUT zu dem Festival ,African Futures‘ nach Südafrika eingeladen worden. Da waren sehr viele Leute, die alle mit afrikanischer Kultur zu tun hatten, mit Kunst, Architektur, Literatur, Wissenschaft, VR, Computerspielen, Comics … All diese Menschen kamen aus der ganzen Welt und konnten uns eine Menge über unsere Kultur erzählen. Und wir haben das erste Mal so richtig begriffen, was ,African Future‘ bedeutet. Dass das Ganze eine intellektuelle Bewegung ist, die nicht nur mit Kunst und Musik zu tun hat, sondern sich mit allen Ebenen befasst – wie gesagt auch mit Wissenschaft. Es geht zudem viel um die Ur-Historie von Afrika, die versteckte Geschichte, die Intellektuellen, über die man nichts in der Schule erfährt, weil sie viele auch einfach nicht kennen. Und es gibt Leute aus den verschiedensten Fachbereichen, die sich mit dieser Geschichte und diesen Menschen beschäftigen. Über die ist uns plötzlich klargeworden, dass auch wir eine afrofuturistische Band sind.“

Ihr habt jetzt immer wieder den Begriff Afrofuturismus erwähnt. Was steckt konkret dahinter?
Lee: „Ich bin durch meinen Vater, der früher einen eigenen Club hatte, mit der Musik von Künstlern wie George Clinton oder Herbie Hancock aufgewachsen. Beide haben viel in Richtung Afrofuturismus gemacht, zum Beispiel mit Synthesizern gearbeitet – übrigens schon lange, bevor es Kraftwerk gab, Herbie Hancock hat ja Kraftwerk beeinflusst und nicht umgekehrt. Auch Dub, die elektronische Variante des Reggaes, hat mit Afrofuturismus zu tun.

Bei Afrofuturismus geht es um die Sicht auf eine Welt, die davon geprägt ist, dass die Weißen die Schwarzen dominieren und kontrollieren. Es ist eine Auseinandersetzung mit der schwarzen Identität, ohne aber in Schwarz oder Weiß zu kategorisieren. Abgesehen von einer politischen Haltung ist vor allem die Ästhetik des Afrofuturismus sehr interessant.“

Was bedeutet das Ganze für dich persönlich?
Lee: „Ich habe mich in Deutschland immer als Alien wahrgenommen: Ich bin kein Weißer, aber auch kein Afrikaner – was bin ich denn dann? Als ich mit der Band tiefer in das Thema Afrofuturismus eingetaucht bin, habe ich mir gewünscht, dass ich das alles schon als Teenager gekannt hätte, denn im Afrofuturismus wird eine Welt erschaffen, in der ich mich wohlfühlen, mich austoben kann und in der es Superhelden gibt, die so sind wie ich – weder schwarz noch weiß; es sind Aliens.

Es gibt total viele interessante Storys im Afrofuturismus. Das Skript von ,Matrix‘ zum Beispiel basiert auf dem Buch ,The Third Eye‘ der afrofuturistischen Schriftstellerin Sophia Stewart, die Hauptfigur Neo ist eigentlich ein Schwarzer. Und wenn man sich die Story genauer anschaut von den Menschen, die als Batterie missbraucht werden, und sie mit der Geschichte der Sklaverei vergleicht, macht es auf einmal ,klick‘. Die Story ist allerdings nicht ,in your face‘ – in dem Sinne: Die Weißen sind die Bösen und die Schwarzen die Opfer. Sie wird vielmehr in ein Science-Fiction-Setting verpackt, was sie erheblich vielschichtiger macht. Das fasziniert mich am Afrofuturismus: Man kann eine Story subtil erzählen, es gibt eine Message, die aber nicht so plump ist. So ist das auch bei Gato Preto: Man kann zu unserer Musik einfach nur tanzen, sich unsere Mode anschauen, aber wenn man möchte, kann man sich auch mit der Story dahinter beschäftigen.“

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Man kann also zusammenfassen, dass Afrofuturismus sich mit der Geschichte der Unterdrückung der Schwarzen auf ganz vielen Ebenen, ästhetisch, intellektuell oder künstlerisch, auseinandersetzt, dabei allerdings zum Nachdenken animieren soll.

©Styling: Lele Zhong / Photo: Alexander Wurm

Lee: „Das ist unsere Herangehensweise, es gibt aber natürlich noch ganz viele andere. Afrofuturismus kann man nicht mal so eben unter ein Thema fassen – er ist immer abhängig von demjenigen, der sich mit ihm auseinandersetzt. Unterdrückung und Sklaverei sind zudem nur ein kleiner Teil vom Ganzen. Es gibt auch Storys aus der Zukunft, in denen wir Aliens sind, die ein großes Wissen haben, es auf die Erde bringen und die Menschen daran teilhaben lassen, sie vorantreiben wollen. Hier gibt es kein Schwarz und Weiß mehr, sondern es ist total egal, welche Farbe wir haben. Das ist übrigens die Kernessenz, die ich daraus ziehe: Dass man die Menschen zusammenbringen und zum Nachdenken anregen soll – und zwar nicht nur die weiße Seite. Auch die Identität der Schwarzen ist gestört – durch den Kolonialismus und die Art und Weise, wie wir leben. Auch ich hatte meine Identität verloren, da mein Vater seine afrikanische Identität abgelegt hatte, was auch mich geprägt hat. Woher hätte ich sie lernen sollen? Diese Identität hätte mir als Heranwachsender sehr viel gegeben. Und deshalb ist Afrofuturismus nicht nur ein Fingerzeig auf die eine oder andere Seite, sondern auch auf mich selbst.“

Gata: „Der Kongress ,African Futures‘, den wir in Südafrika besucht haben, hat es sehr gut geschafft, eine schwarze Intellektualität in den Mittelpunkt zu stellen und zu unterstreichen, dass sie nichts Neues ist. Schon zum Ende des 19. Jahrhunderts gab es viele wichtige afroamerikanische und afrikanische Schriftsteller, aber auch Erfinder, Künstler oder Wissenschaftler, die nicht der großen Öffentlichkeit bekannt waren und sind. Bei ,African Futures‘ wurden sie sichtbar gemacht. Afrofuturismus ist dazu da, immer wieder zu zeigen, dass es eine afrikanische Hochkultur, Intellektualität und Exzellenz gibt, sie zu präsentieren und zu featuren. Es gibt keinen Grund mehr, sie zu verstecken! Der Begriff Afrofuturismus wurde geprägt, damit endlich mehr Leute das wahr- und ernst nehmen.

Bei mir war es anders als bei Lee. Meine Eltern kommen beide aus Mosambik und darum bin ich auch in Portugal in einer afrikanischen Kultur aufgewachsen. In Mosambik waren viele Leute daran interessiert, dass wir aus dem Kolonialismus rauskommen, unsere eigene Identität und Kultur vorantreiben und pflegen, damit sie nicht stirbt. Daher passt der Begriff Afrofuturismus auch so gut: Alle Menschen mit afrikanischen Wurzeln in der ganzen Welt sollen die schwarze Exzellenz voranbringen! Und wie schon Lee gesagt hat: Wir hoffen, dass wir das Ganze bald nicht mehr als Afrofuturismus bezeichnen müssen, weil es eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein sollte, dass es in jeder Kultur Exzellenz gibt.“

Wir haben jetzt viel darüber gesprochen, was Afrofuturismus bedeutet. Könnt ihr bitte noch erzählen, wie das Ganze überhaupt entstanden ist?

©Styling: Rolf Buck / Photo: Domenik Broich

Gata: „So genau kann man das nicht sagen, aber Afrofuturismus gibt es schon über hundert Jahre. Ich denke, dass es im Rahmen der ,Black Excellency‘ immer Historiker gab, die wichtige Menschen und deren Arbeiten zusammengetragen und sichtbar gemacht haben, damit man über sie spricht und niemand in Vergessenheit gerät. Beim Afrofuturismus geht es also auch darum, Informationen zu sammeln, zu dokumentieren und weiterzugeben.“

Lee: „Einer der Ursprünge des Afrofuturismus liegt definitiv in der Sklaverei. Die Menschen waren damals gezwungen, ihre Geschichten anders zu gestalten. Die weißen Sklavenhalter durften natürlich nicht mitbekommen, was die Sklaven über ihre Heimat erzählt haben, ihre Könige und ihre Kultur. Daher haben sie sich Fantasiegeschichten ausgedacht, die die Informationen für die Weißen codiert haben. Afrofuturismus ist also aus der Not entstanden, ähnlich wie die Kampfsportart Capoeira, die sich vor den Weißen als Tanz getarnt hat. Man musste einen Weg finden, die Hochkultur und die Exzellenz anders zu verpacken, damit sie trotz der Unterdrückung weitergegeben werden konnten.“

Gata: „Das ist ein wichtiges Stichwort: Auch viele Erfindungen wurden zur Zeit der Sklaverei aus der Not gemacht, man entwickelte zum Beispiel Verfahren und Geräte, um Zucker zu raffinieren. Es gab zahlreiche solche Erfindungen …“

Lee: „Übrigens sind auch die Originalrezeptur von Coca-Cola von einem Schwarzen erfunden worden und das erste Smartphone. Die Liste ist lang, viele dieser Erfindungen wurden seinerzeit den Weißen zugeschrieben.“

Es gibt also zahlreiche für die Kulturgeschichte sehr wichtige Errungenschaften, die man dem Afrofuturismus zuordnen kann.
Gata: „Wichtig ist vor allem, dass nicht nur künstlerische und ästhetische Aspekte unter diesen Begriff fallen, sondern eben auch wissenschaftliche und intellektuelle Themen.“

Lee: „Aber natürlich sind die künstlerischen Ausdrucksformen total wichtig, weil man über sie die schwarze Kultur feiern konnte. Dazu gehören auch viele Musikrichtungen wie Funk oder die Disco-Ära, die definitiv eine ganz wichtige Art des Ausdrucks und des Afrofuturismus war.“

Gehört auch der Hip-Hop dazu?
Lee: „Künstler wie Wu-Tang Clan oder Missy Elliot auf jeden Fall! Von ihr haben wir uns eine Menge abgeguckt, denn sie war ihrer Zeit definitiv sehr weit voraus. Oder Michael Jackson – von dem war ich als Kind total geflasht! Sein Film ,Moonwalk‘ mit den Robotern und die Message seiner Texte: Das ist Afrofuturismus auf dem höchsten Level. Er hat das Ganze allerdings so verpackt, dass man trotzdem dazu tanzen und grooven konnte; seine eigentliche Botschaft habe ich erst viel später verstanden. Ein Genie!“

Zum Ende des Interviews möchte ich euch noch einmal fragen, wie es für Gato Preto weitergeht. Lee, du hast erwähnt, dass bald euer neues Album rauskommt. Werdet ihr dann auch endlich wieder live zu sehen sein?
Gata: „Definitiv, auch wenn man sich das gerade wegen Corona gar nicht mehr vorstellen kann: eine große Menge, Livepublikum, alle tanzen und schwitzen.“

Lee: „Wir bringen die schwitzenden Mengen zurück, warte mal ab, nächstes Jahr! Dann ist nix mehr mit Corona!“ (lacht)

Ich hoffe sehr, dass das wirklich so sein wird. Bis dahin freuen wir uns vor allem auf euer neues Album, zu dem ich euch viel Erfolg wünsche. Und vielen Dank für das sehr inspirierende Gespräch!

Die afrofuturistische Band Gato Preto besteht aus der Sängerin und Rapperin Carmen Brown aka Gata Misteriosa und dem DJ und Produzenten Lee Bass. Ihren futuristischen Sound kategorisieren sie irgendwo im Genre Global Electro Beats und er steht für energiegeladene Bühnenshows, künstlerische Outfits sowie eine politische Botschaft. Mit diesem Konzept ist die Band aus Düsseldorf international erfolgreich und eroberte die Club-Szenen und Festivalbühnen gleich mehrerer Kontinente. Demnächst veröffentlichen sie ihr drittes Album.