Entsetzen und Fassungslosigkeit

Putins Angriff

©pixabay

Autor: Markus Oess
Der russische Präsident Wladimir Putin verändert mit seinem Angriff auf die Urkaine die europäische Grundordnung und schlägt damit ein unfassbar entsetzliches Kapitel Nachkriegsgeschichte auf. Angesichts des Krieges wird die Liste der Unternehmen, die ihr Russlandgeschäft stoppen, immer länger. Wir haben die Ahlers AG, Création Gross, DIGEL und OLYMP zu Absatz und Beschaffung in der Ukraine beziehungsweise Russland, zu den Nöten und Hoffnungen der Menschen in diesen Ländern und zur näheren Zukunft befragt. Eine Momentaufnahme.

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Eins ist klar, der russische Präsident Wladimir Putin hat mit seinem Angriff auf die Ukraine ein neues Kapitel in der Geschichte Europas aufgeschlagen und es ist kein gutes. Die Zeiten, in denen Europa die Friedensrente einfach abschöpfen konnte, sind vorerst durch. Was kommt, wissen wir nicht. Immer mehr Unternehmen fahren Geschäfte mit Russland runter. Es wird dunkel in den russischen Malls. Nike, adidas, H&M, die INDITEX-Tochter ZARA, UNIQLO, HUGO BOSS, Luxusfirmen wie LVMH, HERMÈS, BURBERRY und CHANEL treten auf die Bremse und stoppen ihr Russlandgeschäft. Die Liste lässt sich weiter fortsetzen und sie wird länger. Selbst der Fooddiscounter ALDI strich russischen Wodka aus seinem Sortiment.

Im Krieg wollen wir eine Momentaufnahme liefern, wie sich die deutsche Modeindustrie zu Russlands Angriff stellt. Laut Industrieverband GermanFashion ist der Umsatzanteil Russlands überschaubar. Der Ukraine-Krieg sei eine menschliche Katastrophe. Wirtschaftlich habe der Krieg eher geringere Auswirkungen. Die Geschäftsbeziehungen zu Russland und zur Ukraine seien bezogen auf alle Ex- und Importe auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau, auch wenn es im Einzelfall durchaus Abhängigkeiten gebe.

„Die Geschäftsbeziehungen mit Russland kommen zum Erliegen“, Gerd Oliver Seidensticker ©GermanFashion 

Die Exporte nach Russland lagen im Jahr 2021 bei rund 380 Millionen Euro. Auf der Rangliste der wichtigsten Exportländer liegt Russland damit an 13. Stelle. Das ist weniger als noch vor der Krise im Jahr 2019, aber stabil zum Vorjahr. Nach Russland wurden damit 1,7 Prozent aller Exporte ausgeführt. „Nachdem in den letzten Tagen noch Unsicherheit vorherrschte, wie stark die Beeinträchtigungen wohl sein würden, herrscht nun ganz deutlich Klarheit darüber, dass es kein SWIFT mehr geben wird, auch eine Kreditversicherung wird nicht mehr möglich sein. Die Geschäftsbeziehungen mit Russland kommen zum Erliegen“, sagt Verbandspräsident Gerd Oliver Seidensticker.

„Unser tiefes Mitgefühl und unsere Gedanken sind bei den Millionen von Menschen, die von dem Krieg betroffen sind. ” Daniel Grieder, Vorstandsvorsitzender von HUGO BOSS ©HUGO BOSS AG

Auch der Metzinger Konzern HUGO BOSS AG hat sein Russlandgeschäft vorerst eingestellt. „Wir sind zutiefst besorgt über die schreckliche Situation in der Ukraine. Unser tiefes Mitgefühl und unsere Gedanken sind bei den Millionen von Menschen, die von dem Krieg betroffen sind und unter dieser humanitären Krise leiden“, sagt Daniel Grieder, Vorstandsvorsitzender von HUGO BOSS, auf der heutigen Bilanz-Pressekonferenz. „Um den Menschen in Not zu helfen, unterstützen wir das Deutsche Rote Kreuz und andere Institutionen. Als Unternehmen stehen wir solidarisch an der Seite all derer, die sich für Frieden einsetzen. Wir werden die Situation weiterhin sehr genau beobachten und unsere Maßnahmen und finanzielle Unterstützung entsprechend anpassen“, sagt Grieder. Russland und die Ukraine machen circa 3 Prozent des Gruppenumsatzes aus. In Russland gibt es 28 eigene Läden. In der Ukraine läuft das Geschäft mit einem Franchise-Partner. Das Unternehmen wird alle davon betroffenen Mitarbeiter finanziell und operativ unterstützen und in engem Austausch mit seinen Geschäftspartnern bleiben. Der Konzern sourct weniger als 1 Prozent in der Ukraine und kann den Ausfall problemlos ausgleichen.

„Wir sind alle tief betroffen vom Tod und der Zerstörung.“ Mathias Eckert, CEO FYNCH-HATTON

„Es ist unerträglich, dass im 21. Jahrhundert Menschen mit solcher Gewalt und Grausamkeit auf andere Menschen losgehen. Angesichts der Tragödie, die gerade in der Ukraine abläuft, rückt alles andere in den Hintergrund. Wir sind alle tief betroffen vom Tod und der Zerstörung“, sagt Mathias Eckert, CEO von FYNCH-HATTON, gegenüber FT. FYNCH-HATTON sei wirtschaftlich kaum vom Ukraine-Krieg betroffen, weder in der Beschaffung noch als Absatzmarkt. „Auch die Geschäfte in Russland liegen in einem sehr niedrigen einstelligen Prozentbereich unserer Exporte. Allerdings gibt es durchaus Firmen, die von den Geschehnissen in Osteuropa stärker betroffen sind.“

Auf FT-Anfrage äußern sich die Geschäftsführungen entsetzt. Hier die Stellungnahmen der Ahlers AG, Création Gross, DIGEL und OLYMP im Wortlaut zu Absatz und Beschaffung in der Ukraine beziehungsweise Russland, zu den Nöten und Hoffnungen der Menschen in diesen Ländern und zur näheren Zukunft.

Dr. Stella Ahlers, Vorstands-Chefin Ahlers AG:

„Die Sicherheit und das Wohl unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben oberste Priorität und unsere Gedanken sind bei den Menschen vor Ort.“ Dr. Stella Ahlers, Vorstands-Chefin Ahlers AG

„Russland und die Ukraine sind für uns wichtige Märkte. Mit der weiteren Zuspitzung des Konfliktes droht eine zusätzliche massive Störung der Lieferketten und Geldflüsse. Wir rechnen mit weiter steigenden Rohstoff- und Energiekosten, unter denen wir bereits heute aufgrund der Corona-Krise leiden. Um angemessen und sinnvoll auf die sich ständig ändernden Bedingungen im Waren- und Geldverkehr reagieren zu können, haben wir einen Krisenstab gebildet und Notfallpläne erstellt.

Die aktuellen Geschehnisse in der Ukraine sind absolut erschreckend und machen uns alle fassungslos. Wir stehen in engem Austausch mit den Teams in der Ukraine und in Russland. Die Sicherheit und das Wohl unserer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben oberste Priorität und unsere Gedanken sind bei den Menschen vor Ort.

Derzeit ist es noch nicht möglich, die Konsequenzen des Krieges abzusehen. Wir begleiten die Geschehnisse sehr eng und fahren auf Sicht.“

Jochen Digel, Alleinvorstand DIGEL AG:

„Was Produktionsstrukturen betrifft, sind wir weder in Russland noch in der Ukraine aktiv. Allerdings sind beide relativ große Absatzmärkte für unser Unternehmen, zudem besitzen wir ein eigenes Tochterunternehmen in Moskau. Aber auch wir haben die Belieferung eingestellt. Wir können nur hoffen, dass es noch eine politische Lösung geben wird und der Krieg möglichst bald vorüber sein wird.

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In unserem Produktionsunternehmen in Polen haben wir im Verwaltungsgebäude das oberste Stockwerk leer geräumt und nehmen dort ukrainische Flüchtlinge auf, es sind rund 450 Kilometer nach Lwiw. Zudem haben wir unseren Kunden aus der Ukraine

„Wir wissen wir, dass die russischen Medien die Sachlage eben komplett verzerren und verdrehen.” Jochen Digel, Alleinvorstand DIGEL AG

angeboten, zu uns nach Polen oder direkt nach Nagold zu kommen. Bisher hat dies eine (erwachsene) Tochter einer Kundin auch wahrgenommen und ist mit einer Freundin jetzt bei uns in Nagold. Ansonsten wissen wir von unseren Kollegen in Moskau, dass die russischen Medien die Sachlage eben komplett verzerren und verdrehen. Zudem ändert sich das Leben vor Ort durch den steigenden Rubelkurs und die geschlossenen Geschäfte und unterbrochenen Wertschöpfungsketten. Unsere ukrainischen Kunden sind teilweise auf der Flucht und suchen nach Möglichkeiten, ihre Familien in NATO-Gebiet in Sicherheit zu bringen. Wobei auch hier die Männer ihre Städte nicht verlassen wollen, sondern kämpfen. Unvorstellbar, wenn man bedenkt, dass wir noch auf den DFD vor fünf Wochen friedlich zusammengesessen und die Orders für Herbst/Winter 2022 besprochen haben.

Ich denke, man kann Stand heute noch (zur näheren Zukunft, die Red.) nichts dazu sagen. Aber die Welt danach wird eine andere sein.“

Thomas Steinhart, Geschäftsführer Création Gross, Hersbruck

„Am meisten Angst haben die Menschen, dass alles zusammenbricht, die Arbeit wegfällt, Thomas Steinhart, Geschäftsführer Création Gross

„Wir sind davon stark betroffen – weniger im Absatz, aber deutlich mehr auf der Beschaffungsseite, da neben einem aktiven Werk ein weiteres nicht angeschlossen werden könnte und natürlich auch die Transportwege aus Asien zum Teil blockiert sind (Ausfall: Transsib, Durchfahrt Russland et cetera).

Die logische Antwort (auf die Frage nach der Hoffnung der Menschen, die Red.) darauf ist natürlich Frieden, aber wenn man mit unseren Leuten in den Werken spricht, und das habe ich mehrfach getan, dann ist wohl ein Faktor nicht zu unterschätzen: Normalität, am meisten Angst haben die Menschen, dass alles zusammenbricht, die Arbeit wegfällt und damit auch die Einkommen, wir wurden wirklich angefleht, weiter zu liefern, und haben da wirklich möglich gemacht, was geht. Unabhängig davon hat der Deutsche Alpenverein da eine tolle Aktion gestartet, bei der sich alle unsere Mitarbeiter großartig beteiligt haben, und da wurden massenweise Spenden aufgebracht (wunschgemäß: Hygieneartikel, Verbandszeug, Kindernahrung, Schlafsäcke et cetera).

Es war leider vorauszusehen, das Putin (und nicht die Russen) diesen Krieg beginnen werden, entsprechend haben wir uns darauf vorbereitet und Ausweichwerke aufgetan und glücklicherweise auch gefunden. Dennoch muss man klar sagen: Die wichtigen Monate März und April werden hart werden, was die Belieferung angeht, da ein neues Werk meist drei bis sechs Monate braucht, um auf Stand zu sein. Auf der Sales-Seite haben wir alle Aufträge für Russland storniert, wohl aber die für die Ukraine in die Produktion gegeben.“

Mark Bezner, Geschäftsführender Gesellschafter OLYMP Bezner KG, Bietigheim-Bissingen

Die Sorge darüber, dass sich die dramatische Lage noch verschlechtern und weiter zuspitzen könnte, ist groß.” Mark Bezner, Geschäftsführender Gesellschafter OLYMP Bezner KG

„Über Jahrzehnte hinweg ist es uns gelungen, unser Vertriebsnetz in Russland und der Ukraine durch eine konsequente Marktbearbeitung auf mehrere Hundert gute Handelskunden auszudehnen. Hinzu kommen einige wenige Monomarkengeschäfte, die im Großraum Moskau in Lizenz betrieben werden. Mit unseren Marken OLYMP und OLYMP SIGNATURE waren wir regelmäßig auf der renommierten Modemesse Collection Premiere Moscow (CPM) präsent. In 2019 konnten wir in beiden Ländern in Summe noch Umsätze im höheren einstelligen Millionen-Euro-Bereich erlösen. Die virusbedingt über einen längeren Zeitraum stark beeinträchtigte Orderbereitschaft des Fachhandels hatte zuletzt wieder deutlich zugenommen. Zur Herbstsaison 2022 waren bereits wieder erfreuliche Auftragseingänge zu verzeichnen. Doch diese durchaus erheblichen Verluste für unser Unternehmen sind vollkommen nichtig und belanglos im Vergleich zu dem unermesslichen Leid, das der Krieg über die Menschen bringt. Ich bin völlig fassungslos und fühle mit der ukrainischen Bevölkerung und ihrem schlimmen Schicksal. Alle bisher gegen Russland verhängten und zusätzlich notwendigen Wirtschaftssanktionen befürworte ich ausdrücklich und trage diese uneingeschränkt mit.

Die Sorge darüber, dass sich die dramatische Lage noch verschlechtern und weiter zuspitzen könnte, ist groß. Was die Menschen jetzt am dringendsten brauchen, ist ein Ende der Waffengewalt.

Ich hoffe inständig, dass die neuen Verhandlungen, zu welchen sich beide Seiten bereit erklärt haben, erfolgreich verlaufen, die Angriffe beendet werden und die russischen Truppen abziehen. Sich auf eine derartige Situation vorzubereiten, erachte ich für schlichtweg nicht möglich. Neben den schweren Folgen für Millionen Menschen werden auch die ökonomischen Verwerfungen lange Zeit anhalten und die Weltwirtschaft für viele Jahre enorm belasten.“