Slim Fit, Extra Slim Fit und andere Trends

Mittelalter

Aus dem Trachtenbuch von Matthäus Schwarz ©Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek

Autor: Markus Oess
Mitte des 14. Jahrhunderts suchte Europa die schwarze Seuche heim: Die Menschen bekamen dunkle Beulen am ganzen Körper und starben. In den ersten sechs Jahren starb ein Drittel der europäischen Bevölkerung an der Pest. Gerade in den Städten fand der Schwarze Tod Idealbedingungen vor: Viele Menschen, die unter schlechten hygienischen Bedingungen eng zusammenlebten. Gab es da noch anderes zu berichten? Gab es. Mode im Mittelalter, genauer gesagt im Hochmittelalter, lieferte auch damals schon Gesprächsstoff. Die Historikerin und Spezialistin für das Hochmittelalter Dr. Kirsten O. Frieling im FT-Interview über Urban Lifestyle, Trends, Trendsetter und zirkuläre Mode aus längst vergangenen Tagen.

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FT: Frau Dr. Frieling, wie setzte sich die Bevölkerung in der mittelalterlichen Stadt zusammen?

„Erst in den aufblühenden Städten, wo sich (Textil-) Handwerk und Handel entfalteten und sich breitere Käuferschichten jenseits des Adels herausbildeten, entstand im Laufe des 12. Jahrhunderts ein nennenswerter Markt für Kleidermode.“ Dr. Kirsten O. Frieling

Dr. Kirsten O. Frieling: „Die mittelalterliche Gesellschaft war eine Ständegesellschaft, in der drei Stände voneinander unterschieden wurden: diejenigen, die beten, das heißt die Kleriker (1. Stand), diejenigen, die kämpfen, also der Adel (2. Stand), und diejenigen, die arbeiten, worunter Bauern, Handwerker, Kaufleute und andere (3. Stand) gefasst wurden. Diese Ständeordnung differenzierte sich mit der Zeit zu einer komplexeren sozialen Struktur aus, blieb aber immer einer strengen Hierarchie verhaftet. Die Menschen glaubten, dass dieses soziale Gefüge von Gott gegeben und damit auch der Platz jedes Einzelnen in der Gesellschaft von Gott bestimmt worden ist.

In der mittelalterlichen Stadt bildete sich eine Gesellschaftsordnung heraus, die aus verschiedenen sozialen Gruppen bestand. Im 14. und 15. Jahrhundert – das ist im Wesentlichen die Zeit, die wir als Spätmittelalter bezeichnen – begegneten sich dort Handwerker, Kaufleute, städtische Bedienstete, Mägde, Knechte, Händler, Prediger, Pfarrer und andere Kirchenmänner. An der Spitze der Gesellschaft standen reiche Handwerks- und Kaufmannsfamilien, die die Mitglieder des Rates stellten und damit die politischen Geschicke der Stadt lenkten. Am unteren Ende der sozialen Hierarchie fanden sich Kranke, Bettler, Prostituierte und Spielleute.“

Welche Rolle spielte die Bekleidung?
„Grundsätzlich besaß Kleidung im späten Mittelalter dieselben Funktionen, die Kleidung auch heute noch hat. Sie war zunächst einmal nützlich, da sie ganz praktisch den nackten Körper bedeckte und ihn vor Witterungseinflüssen schützte. Vor allem aber spielte sie eine wichtige Rolle als Kommunikationsmittel, das Auskunft über Lebensstile, soziale und politische Ordnungen, gesellschaftliche Wertvorstellungen und Konventionen oder Geschlechterbilder gab. Die Bekleidung machte soziale Unterschiede zwischen einem einfachen Handwerker und einem wohlhabenden Kaufmann sichtbar, hob den Geistlichen aus der Menge der weltlich gewandeten Männer hervor oder markierte die Zugehörigkeit des Knechts zu einem Dienstherrn.

Was spätmittelalterliche Kleidung jedoch wesentlich von moderner Kleidung unterscheidet, ist ihr hoher materieller Wert, der sich sowohl aus den verwendeten Stoffen als auch aus den Kosten für die Herstellung speiste. Die Anfertigung eines schlichten Gewandes aus hochwertigem Stoff konnte rasch den Jahreslohn eines gut verdienenden Handwerkers verschlingen. Dementsprechend sorgsam und effizient wurde mit der Ressource Kleidung umgegangen. Kleidungsstücke wurden regelmäßig gereinigt und ausgebessert, aber auch umgearbeitet oder ganz und gar in ihre Einzelteile zerlegt, um die Stoffe und Pelze anderweitig zu verarbeiten.“

Wer konnte sich überhaupt Kleidung leisten?
„Die Möglichkeit, Kleidung anzuschaffen, hing in der spätmittelalterlichen Stadt vom gesellschaftlichen Status und den damit einhergehenden finanziellen Mitteln ab. Die große Mehrheit der Stadtbevölkerung des 14. und 15. Jahrhunderts konnte sich Kleidung aus eigener Kraft nicht leisten, sondern erhielt sie neben Kost und Logis als Teil des Lohns. Zumeist handelte es sich um ein Gewand pro Jahr. Dazu konnten Kleidungsstücke kommen, die der Dienstherr dem Personal geschenkt oder vererbt hatte, wobei diese in der Regel nicht tatsächlich getragen wurden, sondern der materiellen Absicherung des Gesindes dienten und veräußert wurden.

Gut situierte Kaufleute oder Handwerker aus der gehobenen Mittelschicht konnten durchaus ihre Garderobe erweitern und verändern, wenn auch nicht immer mit neuwertiger Kleidung vom Schneider, sondern gebrauchter aus dem Altkleiderhandel. In Städten wie Nürnberg oder Basel gab es für diese Klientel einen florierenden ,Secondhandmarkt‘, der übrigens maßgeblich in der Hand von Unternehmerinnen lag.

Regelmäßig neuwertige, aufwendig geschnittene Kleidung aus exquisiten Stoffen und Pelzen konnten sich hingegen nur die allerwenigsten leisten. Und selbst äußerst wohlhabende Kaufleute wie die Nürnberger Anton Tucher oder Michael Behaim kauften hin und wieder gebrauchte Gewänder.“

Wie entstand Mode im Mittelalter und wie hat sie sich verbreitet?
„Auch wenn es Bekleidungsweisen, die zu einer bestimmten Zeit dominierten, schon früher gegeben hat, kann man von Mode im eigentlichen Sinne meines Erachtens erst seit dem 12. Jahrhundert sprechen. Denn erst in den aufblühenden Städten, wo sich (Textil-)Handwerk und Handel entfalteten und sich breitere Käuferschichten jenseits des Adels herausbildeten, entstand im Laufe des 12. Jahrhunderts ein nennenswerter Markt für Kleidermode. Ein entscheidender Impuls für diese Entwicklung ging von der Entdeckung des Schnitts aus. Bis ins 12. Jahrhundert hinein war die Ausgestaltung eines Kleidungsstücks an die Breite der Stoffbahnen und damit die Größe des Webstuhls gebunden gewesen, nun konnten Gewänder zugeschnitten und ihnen damit jede beliebige Form gegeben werden. Diese neu gewonnene Fertigkeit zog sogleich eine weitere bahnbrechende handwerkliche Neuerung nach sich, nämlich die Erfindung des Verschlusses beziehungsweise des Knopflochs. Sowohl Schnürungen mit Bändern auf dem Rücken oder an der Seite als auch Knöpfungen am Halsausschnitt und an den Ärmeln erlaubten es von da an, Kleidungsstücke eng um den Körper zu modellieren. Damit erfuhr die Mode im 12. Jahrhundert eine Dynamisierung, wie sie sie bis dato nicht gehabt hatte und in dieser Schubhaftigkeit auch das restliche Mittelalter hindurch nicht wieder erreichen sollte. Das bedeutet keineswegs, dass die Kleidungspraktiken im 13., 14. und 15. Jahrhundert gleich blieben; ganz im Gegenteil: Die Techniken des Zuschnitts und des Verschlusses führten auf lange Sicht zu einer schier unerschöpflichen Formenvielfalt. Aber die Schneiderkunst wandelte sich eben nicht noch einmal derart einschneidend wie im 12. Jahrhundert, als der Schnitt zum wichtigsten Gestaltungselement der europäischen Mode wurde.

Wie Moden im Spätmittelalter konkret entstanden, lässt sich en détail nicht mehr nachvollziehen. Da es viel Geld erforderte, eine umfassendere Garderobe zu unterhalten und modisch auf dem neuesten Stand zu bleiben, war wohl lange Zeit hauptsächlich das hochadelige Milieu tonangebend. Wurden dort neue Kleidungsstile geprägt, griffen früher oder später auch der niedere Adel und wohlhabende Stadtbürger die Veränderungen in den Kleidungspraktiken auf. Insofern ist Mode im Spätmittelalter vorwiegend ein Phänomen der oberen sozialen Schichten.

Wie die Verbreitung von Mode im Spätmittelalter vonstattenging, können wir indes etwas genauer fassen. Der europäische Fürstenstand war durch ein recht dichtes Netz von Heiratsbeziehungen verbunden, welches die Vermittlung von Moden begünstigte. Die bestehenden Kontaktmöglichkeiten erweiterten sich noch einmal erheblich, als im ausgehenden Mittelalter die Mobilität zunahm. Zwischen den Höfen verkehrten Boten und Gesandte, die über die jeweiligen Kleidungsgewohnheiten berichteten und für einen regen Austausch von Stoff- und Kleidungsgeschenken sorgten. Auch Adelige, die ihre Ausbildung an verschiedenen Höfen erhielten und von einem Hof zum nächsten reisten, nahmen das Wissen über andere Kleidungspraktiken mit. Noch bedeutsamer für die Ausbreitung von Moden dürfte die persönliche Begegnung der Fürstinnen und Fürsten selbst gewesen sein, sei es bei verwandtschaftlichen Besuchen, bei längeren Aufenthalten zu Erziehungs- und Ausbildungszwecken, bei höfischen Festen oder bei politischen Zusammenkünften. Gut dokumentierte Fürstenhochzeiten und Herrschertreffen zeigen, dass solche Anlässe in der zweiten Hälfte des 14. und im 15. Jahrhundert hervorragende Gelegenheiten boten, fremde Kleidungsstile kennenzulernen. Befördert wurde die Ausbreitung von Moden außerdem dadurch, dass bei Heiraten innerhalb des Hochadels die Ehepartner für gewöhnlich aus unterschiedlichen Ländern oder Regionen stammten. Eine Fürstin, die nach der Eheschließung an den Hof ihres Mannes übersiedelte, brachte nicht nur zahlreiche Gewänder als Teil der Brautausstattung mit, sondern auch ein kleines Gefolge, das sich ebenfalls nach den Gepflogenheiten seiner alten Heimat kleidete.

Über die Höfe gelangten neue Moden auch in die Städte, wo sich reiche Kaufleute und Handwerker an den Kleidungspraktiken des Hochadels orientierten. Hierfür spielten ebenfalls persönliche Begegnungen im Rahmen von Fürstenhochzeiten, Herrschertreffen oder Turnieren eine wichtige Rolle, bei denen die wohlhabenden Stadtbürger die im Fürstenstand gerade angesagten Kleidungsgewohnheiten in Augenschein nehmen konnten.“

Der europäische Fürstenstand war durch ein recht dichtes Netz von Heiratsbeziehungen verbunden, welches die Vermittlung von Moden begünstigte. Die bestehenden Kontaktmöglichkeiten erweiterten sich noch einmal erheblich, als im ausgehenden Mittelalter die Mobilität zunahm. Zwischen den Höfen verkehrten Boten und Gesandte, die über die jeweiligen Kleidungsgewohnheiten berichteten und für einen regen Austausch von Stoff- und Kleidungsgeschenken sorgten.“

Gab es damals schon eine Art „Modedesigner“, das heißt Menschen, die Kleidung ein bestimmtes Aussehen gaben?
„In gewisser Weise könnte man die Schneider als Designer betrachten. Sie besprachen mit ihren Kunden in der Werkstatt, wie das anzufertigende Gewand aussehen sollte, gingen auf Wünsche ihrer Kundschaft ein und entwickelten eigene Ideen. Wenn es sich um ein aufwendigeres Kleidungsstück handelte, wurden Kürschner, Goldschmiede und Seidensticker in die Planung miteinbezogen, die ebenfalls am Herstellungsprozess beteiligt waren. Der Schneider übernahm dann nur das Zuschneiden und Nähen der Stoffe, bevor er das Gewand für Pelzverbrämungen, Gold- und Perlenbesatz und Stickereien weiterreichte. Anders als bei modernen Designern waren solche Gewänder allerdings wirkliche Unikate, also Einzelstücke, die nicht Teil einer Kollektion waren, geschweige denn vervielfältigt wurden.

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Wir wissen außerdem, dass an Fürstenhöfen zu Beginn des 16. Jahrhunderts Künstler mit Entwürfen für Kleidung befasst waren. So wurde etwa Albrecht Dürer 1515 vom späteren Kaiser Maximilian I. damit betraut, die Hofkleidung zu entwerfen. Am Hof Herzog Friedrich des Weisen übernahm Lucas Cranach diese Aufgabe.“

Was war in der spätmittelalterlichen Stadt angesagt? Gab es Trends? Und gab es Trendsetter?
„In der Zeit vom 14. bis ins 16. Jahrhundert gab es im Wesentlichen drei große Modetrends in der Männerkleidung. Der erste setzte um die Mitte des 14. Jahrhunderts ein, nachdem die großen Pestwellen etwa ein Viertel der europäischen Bevölkerung dahingerafft hatten. Die Röcke der Männer, die bislang aus einem Stück bestanden hatten, wurden in Jacke und Hose getrennt. Die sogenannte Schecke (französisch ,Jaque‘ oder ,Jaquette‘) war ein eng anliegendes Kleidungstück, dessen Brustpartie mit Wattierungen in der Breite betont und dessen Taille möglichst knapp gehalten wurde. Sie war so kurz geschnitten, dass sie kaum noch das Gesäß bedeckte. Ihre Ärmel hingegen endeten oft in langen Stoffbahnen. Weil sich die Röcke derart stark verkürzt hatten, wurden die Beinlinge immer länger und schließlich zu eng anliegenden Hosen. Diese neue Mode brach nicht nur radikal mit den bisherigen Kleidungsformen, sondern stellte den Männerkörper regelrecht aus. Von daher ist es wenig verwunderlich, dass sie massive Kritik vonseiten der Kirche hervorrief.

Im beginnenden 15. Jahrhundert kristallisierte sich ein neuer Trend heraus, der seinen Ausgangspunkt am Hof der Herzöge von Burgund nahm. Die Kombination aus kurzem Oberteil und Beinlingen wurde zwar beibehalten, aber die Kleidungsformen wurden üppiger, aufgelockerter. Voluminöse, taillierte Obergewänder und lange Mäntel kontrastierten mit eng anliegenden Hosen und langen, vorne spitz zulaufenden Schnabelschuhen. Die Ärmel wurden nicht fest angenäht oder angeschnitten, sondern mithilfe von Nesteln oder Knöpfen am Torso befestigt und konnten daher beliebig ausgewechselt werden. Ihre Formen reichten vom schmalen Hängeärmel über den kegelförmigen Trompetenärmel bis zum weiten Flügel- oder Fledermausärmel.

Nachdem die burgundische Mode das 15. Jahrhundert weitgehend dominiert hatte, setzte sich ab den 1480er-Jahren schließlich ein dritter Trend durch. Die Männerkleidung verlor alles Spitze und nahm rundere, bauschig-gewölbte Formen an. Puffärmel, weite Pluderhosen, die bis zum Knie oder bis zur Wade reichten, und die Schaube, ein mantelartiges Obergewand, das vorne offen stand und einen breiten Kragen besaß, bildeten die Charakteristika dieser Mode. Auch die Schuhe verloren die langen Spitzen und wiesen nun eine abgeflachte, runde Form auf. Schwarz wurde als Bekleidungsfarbe zunehmend beliebt.

Vergegenwärtigt man sich die langen Zeiträume, in denen Trends im Spätmittelalter entstanden und anhielten, wird deutlich, dass der Wandel von Moden damals viel langsamer vonstattenging und kaum mit der Kurzlebigkeit aktueller Moden zu vergleichen ist.

Wenngleich der zweite skizzierte Trend zu langen, spitzen Formen in der Männerkleidung erwiesenermaßen vom burgundischen Hof ausging, lässt sich das Aufkommen eines Trends nicht auf einzelne Personen zurückführen. Dafür ist die Quellenlage viel zu schmal. Eine Ausnahme gibt es allerdings. Als die bayerische Herzogstochter Isabella 1385 mit dem französischen König Karl VI. vermählt und zur französischen Königin Isabeau wurde, trug sie als Erste den sogenannten Hennin, eine schultütenförmige Haube mit einem dünnen Schleier an der Spitze, die heute noch im Karneval zu jedem Burgfräuleinkostüm gehört. Doch das ist meines Wissens für das späte Mittelalter der einzige Fall, in dem die Einführung eines neuen Bekleidungsstücks tatsächlich greifbar wird.“

„Wir wissen außerdem, dass an Fürstenhöfen zu Beginn des 16. Jahrhunderts Künstler mit Entwürfen für Kleidung befasst waren. So wurde etwa Albrecht Dürer 1515 vom späteren Kaiser Maximilian I. damit betraut, die Hofkleidung zu entwerfen. Am Hof Herzog Friedrich des Weisen übernahm Lucas Cranach diese Aufgabe.“

Wo holten sich die Menschen Inspirationen? Wo kamen Innovationen in der Mode her?
„Da die mittelalterliche Ständegesellschaft eine Gesellschaft war, die stark auf dem Prinzip der Face-to-Face-Kommunikation beruhte, kann man wohl davon ausgehen, dass sich die Menschen in der alltäglichen direkten Begegnung auf den Straßen und Plätzen der Stadt, aber sicherlich auch bei besonderen Ereignissen wie einem Turnier, einem Stadtfest oder einer in der Stadt gefeierten Fürstenhochzeit inspirieren ließen. Allerdings stellt sich die Frage, was aus dieser Inspiration folgen konnte, wenn – wie oben gezeigt – nur ein kleiner Teil der Bevölkerung über die finanziellen Möglichkeiten verfügte, modisch auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Was Innovationen in der Mode betrifft, so wurden diese nicht nur, aber maßgeblich durch Weiterentwicklungen im Bereich der handwerklich-technischen Fähigkeiten vorangetrieben. Denn die Anfertigung von Kleidung wurde durch die web-, schnitt- und färbtechnischen Möglichkeiten, die zur Verfügung standen, begrenzt. Als im 12. Jahrhundert das Bedürfnis entstand, die Formen des Körpers mit Kleidung zu betonen, standen die Schneider vor einer Herausforderung. Um Gewänder taillieren zu können, konnten sie nicht mehr nur mit Stoffbahnen in ihrer ganzen Breite arbeiten. Also begannen sie, den Stoff in der Taille auszuschneiden und am Rock durch das Einsetzen von Keilen zu verbreitern. Der Schnitt war geboren. Doch schon stand man vor dem nächsten Problem: Wie sollten die Menschen in die engeren Gewänder hineinkommen? Die Schneider behalfen sich, indem sie das Knopfloch und damit das Prinzip des Verschlusses erfanden, der sowohl in Form einer Schnürung am Rücken oder an der Seite als auch in Form einer Knöpfung am Halsausschnitt und den Ärmeln ausgeführt werden konnte. Ohne Schnitt, Schnürung und Knöpfung hätte der Wunsch, den Körper stärker durch Kleidung zu konturieren, gar nicht praktisch umgesetzt werden können. Im 14. Jahrhundert verbesserte sich die Nähtechnik noch einmal erheblich, nachdem die Scharnierschere und die Metallnadel aufgekommen waren.

Ebenso wirkten sich technische Neuerungen im Färberhandwerk unmittelbar auf die Mode aus, denn abgesehen von kostspieligen, aufwendig gemusterten Seidenstoffen, wie sie in Italien produziert wurden, wurde das Gros der Stoffe erst gewebt und dann das Gewebe als Ganzes eingefärbt. So hing der Trend zu schwarzer Kleidung in der Oberschicht in der zweiten Hälfte des 15. und den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts auch damit zusammen, dass sich das Verfahren der Schwarzfärbung änderte, wodurch eine Farbsättigung erreicht wurde, die zuvor technisch schlicht nicht machbar gewesen war. Infolgedessen konnten schwarze Stoffe in einer deutlich besseren Farbqualität hergestellt werden, was bei der gut betuchten Oberschicht, die eine Vorliebe für satte, intensiv leuchtende Gewandfarben hatte, ausgesprochen gut ankam.“

Die Interviewpartnerin

Dr. Kirsten O. Frieling ist Historikerin und Spezialistin für das Spätmittelalter. Sie hat Geschichtswissenschaft, Französische Philologie und Skandinavistik studiert und mit einer Arbeit zu Kleidung an Fürstenhöfen um 1500 promoviert. Von 2011 bis 2020 war sie wissenschaftliche Assistentin im Arbeitsbereich Geschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit an der Universität Bielefeld. Neben ihrer Doktorarbeit hat sie zahlreiche Aufsätze zum Thema publiziert. Sie lebt und arbeitet in Hannover.

Das Buch

Sehen und gesehen werden: Kleidung an Fürstenhöfen an der Schwelle vom Mittelalter zur Neuzeit (ca. 1450–1530)Ausgehend von der Überlegung, dass Kleidungspraktiken kommunikative Akte sind, wird nach der sozialen Ordnungsfunktion von Kleidung an Fürstenhöfen um 1500 gefragt. Untersucht wird vor allem die vestimentare Kennzeichnung von Rang, familialem Status, national-kulturellen Unterschieden und Hofzugehörigkeit.

2013, Jan Thorbecke Verlag ISBN 978-3-7995-4360-6