Wir brauchen mehr gebraucht!

Circular Fashion

Second Hand Mode könnte bis 2030 einen Marktanteil von 20 Prozent erlangen. ©pixabay

Autor: Markus Oess
Die Namen umschiffen bemüht den Begriff „gebraucht“. Dabei handelt es sich genau um das: gebrauchte Kleidung. Verbraucherinnen und Verbraucher nutzen heute ganz selbstverständlich Plattformen wie Ubup, jetzt momox FASHION, oder Kleiderkreisel/Mamakreisel, jetzt Vinted, um Secondhand-Mode zu kaufen. Aber auch Anbieter wie zalando (Pre-owned), ABOUT YOU (Second Love) und selbst Konzerne wie HUGO BOSS (Pre-Loved) mischen mit. Der Markt professionalisiert sich zusehends und er wächst. Es gibt gute Gründe, warum.

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An Secondhand-Ware sollte es vorläufig nicht mangeln. In einer Studie des Wuppertal Instituts in Zusammenarbeit mit Ebay Kleinanzeigen erklärte mehr als jeder zweite Befragte (57 Prozent), Kleidung, Schuhe und Accessoires im Schrank zu haben, die er seit mindestens zwölf Monaten nicht mehr getragen hat. Und Greenpeace moniert zu Recht, dass Jahr für Jahr mehr als 100 Milliarden Kleidungsstücke produziert werden, von denen drei Viertel auf Müllkippen landen oder einfach verbrannt werden. Allein in Europa packen wir pro Jahr 5,8 Millionen Tonnen Kleidung in die Mülltonne. „Kleidung ist zur Wegwerfware verkommen – eine wahnsinnige Ressourcenverschwendung, unter der auch das Klima leidet“, wettern die Umweltaktivisten. Für ein konventionelles T-Shirt aus Baumwolle zum Beispiel werden bekanntlich etwa 2.000 Liter Wasser verbraucht, bei einer Jeans sind es sogar 10.000 Liter.

Die Artikel der Second-Love-Kategorie bezieht ABOUT YOU von professionellen Secondhand-Partnern. Dazu zählen unter anderem VITE ENVOGUE, Mädchen Flohmarkt und vinokilo. ©Screenshot www.aboutyou.de

Zurück zur Vermarktung. Mittlerweile gehört es zum guten Ton, gebrauchte Kleidung zu kaufen. Die Fangemeinde von Secondhand wächst zusehends und Studien bescheinigen zirkulärer Mode eine gute Zukunft. Re-Commerce sei ein Megatrend und könnte, wenn es gut läuft, 2030 einen Marktanteil von 20 Prozent auf sich vereinen, schreiben die Autoren der Studie „Fashion 2030 – Sehen, was morgen Mode ist“ der Unternehmensberatung KPMG und des Kölner EHI Retail Institute. Secondhand wird angetrieben vom Wunsch nach mehr Nachhaltigkeit, der wiederum durch die Pandemie größer wurde. Und auch das wird kommen: Die staatlichen Vorgaben für zirkuläre Mode und Recycling nehmen immer konkretere Formen an, das heißt, dass die Interpretationsspielräume für Handel und Industrie weiter sinken. Auch hat die Digitalisierung ihren Anteil an diesem Aufschwung, weil heute jeder mit jedem immer und überall kommunizieren kann und die logistischen Strukturen, um Ware von A nach B zu schicken, auch für die Verbraucher erprobt sind und gut funktionieren. Zusammenfassend kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass Kleidung aus zweiter Hand die nachhaltigste Kleidung ist, da sie schon vorhanden ist. Preisgünstig ist sie zumal. So wundert es nicht, dass der 2021 Resale Report der US-Resale-Plattform THREADUP dem Secondhand-Markt eine Dynamik bescheinigt, die das Volumen innerhalb von fünf Jahren auf rund 77 Milliarden US-Dollar verdoppeln lässt und das Wachstum bis 2025 auf das Elffache des gesamten Textil-Sektors beschleunigt.

Eine momox-Umfrage aus dem letzten Jahr unter fast 8.000 Deutschen kommt zu dem Ergebnis, dass sogar schon 67 Prozent der Deutschen Secondhand-Kleidung gekauft haben. Über die Hälfte (53 Prozent) der Deutschen schätzt, dass ihr Kleiderschrank aus bis zu 20 Prozent Secondhand-Kleidung besteht. Gekauft wird laut momox am liebsten im Internet (44 Prozent). 28 Prozent gehen in den Secondhand-Laden und 14 Prozent auf den Flohmarkt. Erstaunlich auch: Die Generation 50+ kauft gerne online (44 Prozent), die Generation Z (unter 25-Jährige) lieber in Secondhand-Läden (30 Prozent). Die Umfrageergebnisse lassen außerdem vermuten, dass Männern (87 Prozent) der günstige Preis wichtiger zu sein scheint als Frauen (82 Prozent). Diese wiederum legen mehr Wert auf Umweltschutz (88 Prozent) als ihre männlichen Artgenossen. Die jüngere Generation (18 bis 29 Jahre) achtet besonders auf den Preis der Ware (92 Prozent), während älteren Menschen (60+) der Umweltschutz wichtiger zu sein scheint (83 Prozent).

Pre-Loved von HUGO BOSS

Unlängst hat HUGO BOSS angekündigt, im dritten Quartal dieses Jahres seine Resale-Plattform „HUGO BOSS Pre-Loved“ zu starten, über die ein Sortiment an neuwertiger gebrauchter Kleidung des Unternehmens verkauft werden soll. Die Kundinnen und Kunden können getragene Kleidungsstücke über die Plattform sowohl kaufen als auch eigene Kleidung zurückgeben. Anlaufen soll Pre-Loved zunächst in Frankreich, Deutschland und weitere Länder folgen später. Frankreich ist ein Schlüsselmarkt in Europa für HUGO BOSS und gleichzeitig ein besonders affiner Markt für Secondhand-Mode“, begründet eine Sprecherin auf FT-Anfrage. Zu den Kosten für die Prüfung und Aufarbeitung der Kleidungsstücke pro Teil und ab welchem Wert gemessen am VK die Entscheidung gegen die Aufbereitung und den Wiederverkauf fällt, ist noch nicht ausdefiniert: „Einen Minimalwert haben wir aktuell für uns noch nicht definiert, eine Orientierung an marktüblichen Grenzen ist aber denkbar. Der Wiederverkauf von Secondhand-Ware hängt in erster Linie vom Zustand der Ware ab“, so die Sprecherin weiter. Zunächst bleibt die Plattform HUGO BOSS vorbehalten, den Wholesale einzubinden, wird aber nicht ausgeschlossen. Nachhaltigkeit sei ein integraler Bestandteil der CLAIM-5-Unternehmensstrategie und die Umsetzung eines Kreislaufwirtschaftsmodells eines der strategischen Nachhaltigkeitsziele. Hierfür sei der Wiederverkauf von Secondhand-Ware wiederum eine wichtige Komponente, heißt es weiter. Zahlen nennen die Metzinger nicht.

 

Seit dem Start von Pre-owned im September 2020 hat sich das Angebot von 20.000 auf über 400.000 Artikel mehr als verzwanzigfacht. ©Screenshot www.zalando.de

Bei zalando hat sich indessen seit dem Start von Pre-owned im September 2020 das Angebot im Fashion Store von 20.000 auf über 400.000 Artikel mehr als verzwanzigfacht und es wurde auf 13 seiner 23 europäischen Märkte erweitert. „Mit unserem Pre-owned-Angebot schließen wir die Lücke zwischen neuer und gebrauchter Mode. Durch die direkte Integration im Fashion Store ist Pre-owned für Millionen Kundinnen und Kunden in Europa verfügbar, die sowohl neuwertige gebrauchte Mode bei zalando kaufen als auch ihre eigenen pre-owned-Stücke für eine Gutschrift an zalando verkaufen können“, erklärt eine Sprecherin gegenüber FT.

In der Pre-owned-Kategorie wird den Kundinnen und Kunden ein ausgewähltes, qualitätsgeprüftes Sortiment mit professionellen Fotos und Produktdetails geboten. „Damit garantieren wir ein einheitliches Einkaufserlebnis auf unserer Plattform“, sagt die Sprecherin. Der Versand und die Konditionen sind wie bei der Neuware: 100 Tage Rückgaberecht und verschiedene Zahlungsoptionen. Der Online-Riese steht für irreführendes Bildmaterial und gefälschte Ware ein. Käufer müssten sich darüber keine Gedanken machen. Mit Pre-owned wolle man das Verständnis von gebrauchter Mode verändern und dafür eine bequeme, angenehme und vertrauenswürdige Lösung bieten.

Zalando-Ware für Zalando-Ware

zalando kauft nur neuwertige Ware ohne sichtbare Gebrauchsspuren an. Pro Paket können Kundinnen und Kunden bis zu 20 Kleidungsstücke einsenden. Sie finden alle Artikel, die bei zalando gekauft worden sein müssen, im Wardrobe-Bereich ihrer Wunschliste im Kundenprofil. Hier wird ihnen auch der Betrag angezeigt, den sie für das Produkt als Gutschein erhalten oder an einen der Spendenpartner weitergeben können. Danach wird das Kleidungsstück für die Qualitätsprüfung eingeschickt. Nach der letzten Expansion in sieben weitere Länder liegt der Fokus jetzt darauf, die Kategorie in diesen Märkten weiter zu etablieren.

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zalando habe, wie die Sprecherin sagt, in den vergangenen zwei Jahren wichtige Grundlagen für die Kreislaufwirtschaft geschaffen und daran gearbeitet, die Lebensdauer von 50 Millionen Modeprodukten bis 2023 zu verlängern. Es gehe nun darum, Recycling schon bei dem Entwurf des Teils zu berücksichtigen „Durch die Anwendung der Circular Design Criteria ermöglichen wir es Designerinnen und Designern, die Art und Weise, wie sie Produkte entwerfen, zu ändern, und setzen einen klaren Rahmen für Marken, die solche Produkte auf unserer Plattform verkaufen und bewerben wollen. Mithilfe dieser Kriterien können zirkuläre Produkte unserer 5.800 Markenpartner (Stand: 2021) standardisiert werden“, erklärt die Sprecherin dazu. In den vergangenen Jahren habe sich das Wissen darüber, was eine Kreislaufwirtschaft insbesondere der Modeindustrie bringen kann, sehr stark erweitert. „Neue Geschäftsmodelle wie der Wiederverkauf und der Verleih von Mode sowie die Recycling-Infrastruktur kommen langsam in Schwung. Der Teil des Puzzles, der bisher weniger in Angriff genommen wurde, ist der Design-Prozess“, so die Sprecherin. Nun gehe es darum, diese Kriterien zu testen und gegebenenfalls anzupassen.

Second-Hand Fashion boomt

Vintage Fashion ist auf dem Vormarsch. Laut einer Studie des Anbieters momox FASHION haben 84 Prozent der befragten Konsumentinnen und Konsumenten aufgrund von Second-Hand Shopping weniger Neuware gekauft. Das Marktforschungsunternehmen REPORTS & MARKETS geht ebenfalls von einem enormen Wachstum aus, über alle Segmente hinweg. Vor allem durch den Online-Handel erlebt das Geschäft mit gebrauchter Mode ein neues Allzeithoch – so heißt es hier oftmals „Pre-Loved“ statt „bereits getragen“, was die Haltung zu Secondhand-Artikeln zeigt. Unternehmensberatungen sehen das globale Marktvolumen bei bis zu 34 Milliarden Euro. mehr 

Auch die OTTO -Tochter ABOUT YOU mischt seit Dezember 2020 mit. Hier heißt das Angebot Second Love. „Mit dem Verkauf von Secondhand-Artikeln möchte ABOUT YOU ein Angebot im Bereich Circular Fashion schaffen“, sagt eine Sprecherin gegenüber FT. Das Secondhand-Sortiment umfasst verschiedene Styles und Preislagen. Kundinnen und Kunden können im Shop Neu- und Gebrauchtware in einem Schritt kaufen. Die Artikel der Second-Love-Kategorie beziehen die Hamburger von professionellen Secondhand-Partnern, wo sie auf ihre Echtheit und Qualität geprüft werden. Dazu zählen unter anderem VITE ENVOGUE, Mädchen Flohmarkt und vinokilo. Als schnell wachsende Online-Fashion-Plattform wollen wir unserer gesellschaftlichen Verantwortung nachkommen und wirtschaftlichen Erfolg mit nachhaltigem Handeln vereinen. Wir glauben daran, dass Secondhand eine wertvolle Alternative zu Neuware ist und einen wichtigen Beitrag zur Kreislaufwirtschaft leistet“, betont die Sprecherin gegenüber FT. Aktuell bietet ABOUT YOU die Second-Love-Kategorie für den DACH-Raum an und arbeitet an der stetigen Ausweitung des Sortiments. Weitere Länder sollen dazukommen, ebenso wie die Möglichkeit für die Endkonsumentinnen und -konsumenten, ihre eigenen Secondhand-Artikel bei ABOUT YOU einzusenden.

Also alles gut, also, wenn doch Secondhand, Mietmodelle wachsen und auch Recycling-Modelle auf den Markt drängen? Mitnichten. Die Greenpeace-Expertin moniert, dass die Bemühungen, wirklich einen Secondhand-Markt zu etablieren, noch nicht sonderlich weit gediehen seien. Oft stecke hinter dem Deal „Alt gegen Neu“ immer noch Greenwashing. Dazu komme, dass gebrauchte Kleidung im professionellen Stil zum Beispiel nach Afrika verschifft wird, dies aber eher in der Absicht, möglichst billig den textilen Müllberg des globalen Nordens zu entsorgen. Auch was die Recyclingfähigkeit der Textilien angeht, ist viel zu wenig passiert. Wir müssen umdenken und das schnell. Bei zirkulärer Mode stehen wir immer noch am Anfang, hier muss viel und schnell Aufbauarbeit geleistet werden.

Neue, alte Liebe