Die Demokratisierung der Kunst

SPEAKING GARMENTS

Im Gespräch mit Lina Miccio von SPEAKING GARMENTS. Alle Bilder ©Speaking Garments
Autor: Maximilian Fuchs

Interview mit Lina Miccio, Gründerin und kreativer Kopf von SPEAKING GARMENTS

Wie mannigfaltig die Symbiose von Kunst und Mode sein kann, zeigt die Kölnerin Lina Miccio mit ihrem Label SPEAKING GARMENTS. In streng limitierten Editionen werden textile Unikate angefertigt, die es sogar auf die älteste Kunstmesse der Welt geschafft haben, die ART COLOGNE.

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Die Künstler Gert und Uwe Tobias mit Lina Miccio beim kreativen Schaffensprozess ©Sebastian Wolf

FT: Lina, erzähl uns bitte etwas über SPEAKING GARMENTS, über dich und deinen Werdegang.
Lina Miccio: „Ich habe viele Jahre als Leiterin Kommunikation für diverse Brands in der Mode gearbeitet und mich 2015, nach einer sehr langen Zeit bei einem Unternehmen, entschlossen, eine Pause zu machen, um zu überlegen, wie meine weitere berufliche Laufbahn in der Welt der Mode aussehen kann. Schon davor hat mich meine Leidenschaft zur Kunst begleitet, durch den Besuch von Messen und Ausstellungen. So ist der Wunsch entstanden, diese beiden Themen miteinander zu verbinden und etwas Neues zu kreieren. Es sollte kein klassisches Abdrucken von Kunstwerken auf Produkten wie T-Shirts, Tassen und so weiter sein, wie man es aus Museums-Shops kennt. Das ist vollkommen okay, war mir aber ein bisschen zu wenig als Content, um mit dem Thema Kunst auf Textil umzugehen. Ich habe die Arbeit von Michail Pirgelis, einem Bildhauer aus Köln, schon seit einigen Jahren verfolgt. Seine Arbeit besteht größtenteils aus ausrangierten Flugzeugteilen, die er auf Flugzeugfriedhöfen in Kalifornien entdeckt hat. Er verwandelt diese Fundstücke in Objekte. 2016, während der Vorbereitung einer Ausstellung bei Sprüth Magers in Los Angeles, schickte er mir Fotos, die er auf einem Flugzeugfriedhof in der Wüste gemacht hatte. Das war das Schlüsselerlebnis für mich. So kam ich auf die Idee für die erste SPEAKING-GARMENTS-Edition und sah mich vor der Herausforderung, seine Kunst am Thema Textil zu interpretieren.

Der Künstler Michail Pirgelis transformiert ausgemusterte Flugzeuge zu skulpturaler Kunst.

Also habe ich ihn angefragt und mich mit ihm eine Zeit lang ausgetauscht, weil es natürlich auch für ihn als Künstler eine Überlegung ist, sich mit Textil in Verbindung zu sehen. Er ist glücklicherweise mit dem Vorschlag einverstanden gewesen, einfach anzufangen, dem kreativen Schaffensprozess seinen Raum zu geben und gemeinsam zu schauen, wo die Reise hingeht und wie die fertigen Teile aussehen werden. Also haben wir uns gemeinsam auf den Prozess eingelassen und ich habe ihm Vorschläge gemacht, wie ich seine Arbeit in textiler Form interpretieren würde. Letztlich habe ich mit ihm gemeinsam zwei Teile entwickelt, einen Sweater und ein T-Shirt. Auf dem Sweater sind Fragmente eines Flugzeuges montiert. Der Künstler hat aus einer Maschine ein Teil ausgeschnitten, zu kleinen Fragmenten. Michail hat sie aus einer DC-10 ausgeschnitten, die Elemente wurden dann gemeinsam mit einem Goldschmied auf dem Sweater befestigt. Beim Kauf bekommt man einen Schraubenzieher mitgeliefert, damit man das Element abschrauben und der Sweater gewaschen werden kann. Das ist, was ich meine; es geht darum, wie der Künstler arbeitet und wie man diese Herangehensweise auf Textil interpretieren kann. Dazu wurde dann noch ein weiteres Teil entwickelt, was den Minimalismus seiner Arbeit widerspiegelt. Und zwar ein sehr cleaner, weißer Sweater, der in der Mitte eine auffällige Naht hat, was das Schweißen symbolisiert. Es ist also sehr konzeptionell, aber eben auch sehr tief befasst mit der Arbeitsweise und den Werken. Alle Teile kommen in limitierter und nummerierter Auflage, dazu gibt es die Signatur des Künstlers. Das als Beispiel, wie die erste Edition entstanden ist – bei den folgenden Zusammenarbeiten war der Ablauf ganz ähnlich.“

Wo lässt du deine Textilien produzieren und welche Materialien, abseits von Flugzeugaluminium, kommen zum Einsatz?
„Ich lasse komplett in Deutschland produzieren, arbeite mit verschiedenen Schneidereien und Schnitttechnikern zusammen. Bisher war es so, dass wir für jede Edition auch neue Schnitte entwickelt haben, weil auch das der Arbeit des Künstlers gerecht werden soll. Bei den verwendeten Materialien kommt es auch immer darauf an, dass es den Habitus des Künstlers einfängt. Deshalb gibt es eigentlich bei jeder Edition Besonderheiten, was das Material beziehungsweise was die Umsetzung mit dem Material angeht. Bei der Zusammenarbeit mit Jan-Ole Schiemann ist in Anlehnung an sein Werk ‚Distractingly Sexy‘ eine Netzjacke entstanden, bei der das Werk des Künstlers in textile Layer transportiert wurde und die Entstehungsgeschichte der Arbeit dokumentiert. Auf der Jacke ist die Basis der Arbeit des Künstlers zu sehen. Eine weitere Schicht, die die kräftigen Farben aufruft, ist auf das Netzmaterial gedruckt, das anschließend mit der schwarz-weiß bedruckten Baumwolle gedoppelt verarbeitet wird. Beim Tragen geraten die zwei übereinandergenähten Stoffschichten in Bewegung. Ein anderes Beispiel aus der Kooperation mit den Künstlern Gert und Uwe Tobias: Wir haben einen Mantel entwickelt, der hinten auf der Rückseite einen kompletten Holzschnitt hat mit 16 Farben. Hier habe ich ein halbes Jahr suchen müssen, bis ich jemanden gefunden habe, der es gedruckt hat, da es natürlich sehr aufwendig ist und es sich für die meisten Drucker in der kleinen Auflage nicht lohnt. So hat jede Edition ihre speziellen Herausforderungen mitgebracht – aber das treibt mich an und gibt mir die Möglichkeit, in Abstimmung mit dem Künstler meine eigenen Impulse in den Schaffensprozess einfließen zu lassen.“

Aus der Kollaboration mit Jan-Ole Schiemann: Netzjacke mit verschiedenen Layern

Wie lange dauert es im Durchschnitt, eine neue Edition zu kreieren, vom Konzept bis zur Fertigstellung?
„Es dauert ungefähr ein Jahr. Deshalb ist es für die meisten großen Brands meiner Meinung nach zu aufwendig, das Thema ,Kunst auf Textil‘ mit solch einer Herangehensweise anzupacken, weil sie natürlich einen ganz anderen wirtschaftlichen Druck und ganz andere Rhythmen haben. Da ich mir bewusst diesen Zeitdruck nicht machen wollte, habe ich mich für den Weg des eigenen Labels entschieden.“

In wenigen Tagen startet die Berliner Modewoche. Auf welchen Fachmessen bist du als Besucherin unterwegs und wo stellst du aus?
„Ich finde Berlin eine tolle Stadt, ein richtiger Melting Pot. Wenn ich mehr Zeit hätte, wäre ich gerne mit einem entsprechenden Ausstellungskonzept bei der Fashion Week dabei – aber da ich sehr kleine Strukturen habe und die Arbeit mit den Künstlern sehr intensiv ist, habe ich einfach nicht die Zeit, an so vielen einzelnen Veranstaltungen teilzunehmen. Ich habe jedoch in Berlin mit SPEAKING GARMENTS meine Edition ausgestellt, in der Galerie ,Contemporary Fine Arts‘, die auch die Brüder Tobias betreut. Die beiden wurden zu der Zeit ausgestellt und ich konnte mit SPEAKING GARMENTS unsere gemeinsame Edition zeigen, was wirklich toll war. Dann habe ich 2022 an der ART COLOGNE als Ausstellerin teilgenommen. Ein ganz besonderer Moment für mich und eine Besonderheit, da ich als einzige Textilerin vertreten war neben den vielen renommierten Künstlern und Galerien.“

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Wo gibt es SPEAKING GARMENTS zu kaufen?
„Ich verkaufe hier in Köln im Showroom in der Benessistraße sowie online über den Shop auf www.speakinggarments.com. Mit APROPOS THE CONCEPT STORE habe ich auch schon zusammengearbeitet und wir haben exklusiv einen meiner ARTIST PROOF Sweater für deren Art Corner personalisiert, der auch nur dort exklusiv erhältlich war. Das war wirklich eine tolle Zusammenarbeit. Da aber viele meiner Kundinnen und Kunden aus dem Ausland kommen, ist der Online-Verkauf ein sehr wichtiger Kanal.“

Da wir gerade den Jahresanfang vollzogen haben: Was wünschst du dir vom Jahr 2023?
„Vielleicht eine schöne Kollaboration ─ zum einen natürlich weiterhin mit spannenden Künstlern, aber vielleicht auch mit einem coolen Brand. Ich habe da keine genauen Vorstellungen, aber mal sehen, was sich ergibt. Für meine eigene Marke finde ich alles wunderbar so, wie es aktuell läuft.“

Vielen Dank für das Gespräch!

SPEAKING GARMENTS auf der ART COLOGNE 2022