Everlasting 70s Love

Was uns lieb und teuer ist …

Glücklicherweise haben zumindest einige Teile meiner Mutter die Ära „Wald und Wiese“ überlebt, zu meiner Überraschung auch recht unbeschadet. ©privat
Autorin: Tays Jennifer Köper-Kelemen

Es ist 1994. Läden von Filialisten wie H&M sprießen vermehrt aus dem Boden und starten ihren Eroberungszug, um eine ganze Heerschar junger Menschen für trendorientierte Mode zu begeistern. Teenager organisieren gar regelrechte Pilgerfahrten mit dem Zug, um an die heiß begehrten Waren der expandierenden Anbieter zu kommen. Denn längst gibt es die Stores mit den erschwinglichen Trendlooks noch nicht in jeder Stadt. Und das neue Habenwollen kommt nicht von ungefähr. Es ist eine Zeit herangebrochen, die sehr von Kommerz geprägt ist. Musiksender wie MTV und Viva feiern einen Hype, befeuern neue Lifestyles. Das Medium „Musikvideo“ ist entdeckt. Das Angebot an Songs und Stilrichtungen ist breit, es reicht von Pop über Techno bis hin zu Hip-Hop und Grunge und präsentiert sich in quietschbunten Bildern und düsteren Szenarien. Marusha ravt unbeschwert über den Regenbogen, die Cranberries protestieren wütend gegen politische Missstände und The Offspring rocken lässig die Punk-Bühne. Es wird gespielt, es wird ausprobiert. Die Mode dazu präsentiert sich nicht minder abwechslungsreich. Ob knallfarbene Tops, hautenge Netzoberteile, weite Pants, karierte Shirts oder glänzende Miniröcke – es gibt nichts, was es nicht gibt. Und plötzlich hängen ebendiese Looks auch im Laden. Die Jugend will das haben, will das leben. Und ich? Ich bin zu diesem Zeitpunkt 14 Jahre alt. Und Mode interessiert mich da noch gar nicht. Ich kann die Aufregung nicht verstehen.

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Stattdessen treibe ich mich im Grünen rum, reiße mir die gute, sorgfältig von den Eltern eingekaufte Kleidung an Ästen auf und handle mir deswegen Ärger ein. Eine Lösung ist da für mich schnell gefunden. Ich plündere die hinterste Ecke im Kleiderschrank meiner Mutter, die als Teil ihrer Generation nichts eben mal weggeschmissen hat. Der lieben Freiheit wegen habe ich die abgelegten Sachen im Blick, die niemanden mehr wirklich interessieren. Tatsächlich entdecke ich eine ganze Reihe von Teilen aus den 1970er-Jahren. Meine Fundstücke umfassen eine Lederjacke, einige Blusen, Röcke. Und diese trage ich dann in der nächsten Zeit rauf und runter, bis sie ganz verschlissen sind. Anschließend tut es mir leid. Es tut mir spätestens mit 16 Jahren sehr leid, dass ich nicht sorgsamer mit ihnen umgegangen bin. Inzwischen war auch ich eine Anhängerin besagter Filialisten geworden, das gehörte einfach dazu. Und dennoch blieb parallel der Hang zu den alten Sachen mit ihren Schnitten, Materialien und Mustern. Einer meiner liebsten Läden damals nannte sich KAUFRAUSCH und vertrieb ausschließlich Secondhand-Ware, vornehmlich aus den 1960er- und 1970er-Jahren. Ich lernte mehr und mehr die Kleidung vorausgegangener Jahrzehnte als Schätze zu betrachten. Es gab sie nur einmal zu kaufen, ich würde ebendieses Teil nicht noch einmal in ebendieser Form und Größe finden.

Glücklicherweise haben zumindest einige Teile meiner Mutter die Ära „Wald und Wiese“ überlebt, zu meiner Überraschung auch recht unbeschadet. Sie hängen immer noch in meinem Kleiderschrank, mitunter eine gelbe, geblümte Bluse mit überschnittener Schulter. Diese hat alles miterlebt, jede Kombi mitgemacht – ob Festival mit Freunden oder Messe im Job, ob Destroyed Jeans und Latzhose oder braver Pencil Skirt. Lieb und teuer, ja unbezahlbar. Auch wenn das gute Stück nicht mehr allzu oft zum Einsatz kommt. Wie heißt es noch à la Marie Kondo, Minimalisten und Co? Alles Ungetragene spätestens nach ein bis zwei Jahren ausrangieren und Platz schaffen, da alles andere keinen Sinn macht? Nein. Diese Bluse nicht. Und auch so manches andere Teil nicht. Denn nur weil ein Kleidungsstück nicht so oft getragen wird, meine ich, heißt es nicht, dass es überflüssig ist. Vielmehr mag dahinter die Bemühung stecken, das Teil eben so erhalten zu wollen, wie es gerade ist, und die Absicht mitschwingen, das Teil mit seinem zunehmenden Alter besser mehr noch zu besonderen Anlässen hervorzuholen. Nicht zuletzt spielt bei all den aufgehobenen Schätzen im Schrank wohl auch etwas die beschriebene Experimentierfreude der 1990er-Jahre mit rein, die auch ich mitgelaufen bin und nicht loslassen kann. Denn wie sollte sich diese – gerade im austauschbaren Überangebot heutzutage – eigentlich besser noch leben lassen als mit Vintagemode? Eine Bluse. Eine Herzensangelegenheit.

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