Geschnallt?

Was uns lieb und teuer ist …

Hin und wieder krame ich ihn hervor und schnalle ihn um die Hüfte. Dann sind wir wieder ein echtes Team, der Gürtel und ich.

Autor: Markus Oess
In der Rubrik „Was uns lieb und teuer ist“ erzählen unsere Redakteure die Geschichten hinter Fashion Pieces, die einen besonderen Platz in ihren Kleiderschränken gefunden haben. In dieser Ausgabe berichtet Markus Oess über die Probleme, als persönliches Lieblingsstück zu überdauern. Die Zeit heilt nicht nur alle Wunden, sie nimmt sich auch, was sie kriegen kann.

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Diesmal kann ich es nicht mehr abwenden und ich bin an der Reihe, über mein Lieblingsstück zu berichten, das im Kleiderschrank einen Ehrenplatz bekommen hat. Allein, es mangelt an einem solchen Teil, das der Welten Gang überdauert hat. Die erste Prüfung des heimischen Bekleidungsaufbewahrungssystems förderte leider nichts Brauchbares zutage und um nicht zu konfabulieren und Lücken unbewusst mit Erfundenem zu füllen, unterzog ich den Schrank einer zweiten, intensiveren Überprüfung. Tatsächlich fand ich dann ein Accessoire, das überlebt hatte: ein (für meine damaligen Begriffe) schwerer brauner Ledergürtel mit Messingschnalle unbekannter Herkunft.

Ich hatte das Teil während des ersten Londonbesuches mit meiner Exfreundin auf einem Flohmarkt erstanden. Das war noch in der ersten Hälfte der 90er Jahre und wir hatten es tatsächlich fertiggebracht, in London zu zelten. Es war Sommer und die Sonne brannte ordentlich auf die City – und es war Sale. Ausgerechnet jetzt, wo wir eigentlich gar nicht so richtig zuschlagen konnten, da das Platzangebot für zusätzlich erworbenes Reisegepäck limitiert war. Und so mussten wir das tagsüber so irre günstig erworbene schicke, weil britische Zeugs in die Rucksäcke stopfen und hoffen, dass wir am nächsten Tag unserer Shopping-Safari weniger erfolgreich sein würden und nicht noch mehr würden stopfen müssen.

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Zurück zum Gürtel. Ich fand ihn auf einem Flohmarkt, ich wollte schon immer mal ein solch schweres Prachtstück wie dieses mein Eigen nennen. Der war aber eigentlich viel zu lang, sodass ich ihn mehr oder weniger kunstvoll kürzte und neue Löcher einstanzte, um ihn überhaupt mit Würde tragen zu können. Eigentlich war der Gürtel auch zu breit, ich konnte ihn nur mit Mühen durch die Schlaufen stecken. Aber eben gerade das war es, was mich damals beeindruckte: breit, fast zu breit, und mit einer kräftigen Schnalle versehen. Ein echter Schmuck für jede einzelne meiner Hosen, und so wurde der Gürtel das meistgetragene Teil meiner damaligen Garderobe und Zeuge vieler nicht erzählter Abenteuer der nächsten 15 Jahre, die vor uns liegen sollten. Er könnte berichten von wilden Reisen, heißen Partys und durchgefeierten Nächten. Von schrägen Erlebnissen und seltsamen Bekanntschaften.

Happy End

Ja, es hätte eine Lebenspartnerschaft werden können. Aber mit der Zeit lebten wir uns im wahrsten Wortsinn auseinander, der Gürtel und ich. Es sollte sich rächen, dass ich das gute Stück gekürzt hatte, denn damals war ich noch spürbar schlanker gewesen und als Raucher hatte vermeintlich auch kein Grund zur Sorge bestanden, der Gürtel könnte dereinst an seine Grenzen stoßen und nicht in Würde an meinen Hüften altern. So kam es, dass wir uns trennen mussten, der Gürtel und ich. Ich wollte ihn aber nicht einfach entsorgen, schließlich verbinde ich damit viele schöne Erinnerungen, und meine damalige Exfreundin ist heute meine Frau. Also landete er in den Tiefen des Kleiderschrankes, aus denen ich ihn unlängst aus gegebenem Anlass ans Tageslicht zerrte, und da liegt er nun in seiner Pracht, immer noch breit und mit beeindruckender Schnalle versehen. Und die Geschichte hat auch noch ein Happy End. Hin und wieder krame ich ihn hervor und schnalle ihn nach durchgestandener Diät um die Hüfte. Dann sind wir wieder ein echtes Team, der Gürtel und ich.