„Weltmacht anerkennen“

China

„China hat nicht nur seine textile Industriebasis ausgebaut, sondern ist mittlerweile in ganz vielen Wirtschaftsbereichen und Industriesektoren führend. Daher gibt es einen großen Wettstreit der verschiedenen Unternehmen um die Arbeitskräfte." Dr. Sabine Ferenschild vom südwind Institut ©ILO / Crozet M.

Autorin: Katja Vaders
China ist die Werkbank der Welt – auch, was die Textil- und Bekleidungsindustrie angeht. Im Jahr 2019 entfielen 30,5 Prozent des Welthandels mit Bekleidung auf die Volksrepublik. Aber zu welchem Preis? FT sprach mit Dr. Sabine Ferenschild, wissenschaftliche Mitarbeiterin beim südwind Institut, über Arbeitsbedingungen und Menschenrechte in China und über das Bestreben des Reichs der Mitte, seine Vormachtstellung auf dem Weltmarkt weiter auszubauen.

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Die chinesische Öffnungs- und Reformpolitik ist älter als der Begriff Corporate Social Responsibility und hat auch einen unterschiedlichen Hintergrund.“ Dr. Sabine Ferenschild © südwind Institut

FT: Frau Dr. Ferenschild, Sie sind wissenschaftliche Mitarbeiterin beim südwind Institut und arbeiten für die Kampagne Saubere Kleidung. Wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?
„Das südwind Institut ist vor mittlerweile 32 Jahren aus der ökumenischen Basisbewegung heraus gegründet worden, um eine eigene wirtschaftliche Expertise aufzubauen und sich für soziale Gerechtigkeit zu engagieren. Eins der ersten Themen des südwind Instituts waren die Arbeitsbedingungen von Frauen in der globalen Wirtschaft, insbesondere in der Textilindustrie. Zudem sind wir Gründungsmitglied der Kampagne Saubere Kleidung, da wir unsere Erkenntnisse auch in die politische Lobby-, Advocacy- und Kampagnenarbeit einfließen lassen wollen. Ich habe mich im Laufe der letzten Jahrzehnte immer wieder mit China, den dortigen Arbeitsbedingungen und der Rolle der chinesischen Textil- und Bekleidungsindustrie auf dem Weltmarkt beschäftigt.“

Was hat sich seit Beginn der Reform- und Öffnungspolitik Chinas im Bereich Corporate Social Responsibility (CSR), also der sozialen Verantwortung von Unternehmen, getan?
„Zunächst einmal: Die chinesische Öffnungs- und Reformpolitik ist älter als der Begriff Corporate Social Responsibility und hat auch einen unterschiedlichen Hintergrund. Sie begann bereits Ende der 1970er-Jahre und diente erst einmal der wirtschaftlichen Entwicklung, um aus der Armutsfalle herauszukommen. Das bedeutete vor allem, Abschied von der Planwirtschaft der Mao-Jahre zu nehmen, ohne allerdings komplett das kommunistische Leitbild aufzugeben.

Der Begriff CSR stammt eher aus den 1990er-Jahren, als NGOs wie auch die Kampagne Saubere Kleidung darauf aufmerksam machten, dass das Outsourcing von arbeitsintensiven Industrien wie der Textil- und Bekleidungsindustrie aus den ,kapitalistischen Kernländern‘ Europas, Nordamerikas und auch Japan in Länder des globalen Südens dazu geführt hat, dass die Arbeitsbedingungen immer schlechter wurden.“

Wie kam dann die CSR ins Spiel?
„Durch das Outsourcing der Produktionen verwandelten sich viele Unternehmen auch auf dem deutschen Markt von Bekleidungsproduzenten zu Händlern, die über die Auftragsvergabe und den Druck bei Preispolitik und Lieferzeiten enormen Einfluss auf die Arbeitsbedingungen nahmen. Die Kampagne forderte diese Unternehmen deshalb dazu auf, innerhalb ihrer Lieferkette soziale Verantwortung zu übernehmen.

An diesem Punkt treffen sich Chinas Reformpolitik und die Debatte um CSR. China war eins der ersten Länder, die die Textil- und Bekleidungsindustrie wie ein Staubsauger ansogen: Die Öffnungspolitik begann mit dem Ausbau von Kapazitäten in der Textilindustrie und der Beschäftigung von vielen Millionen Arbeitskräften sowohl in staatlichen als auch später in privaten Firmen. Und das leider oft zu katastrophalen Bedingungen.“

„Die Löhne haben sich in den letzten Jahrzehnten nach oben entwickelt – das hat aber auch mit der Arbeitskräfteknappheit in China zu tun.“

Wie reagierten die westlichen und auch die chinesischen Unternehmen auf die Interventionen der Kampagnen?
Das Bewusstsein der europäischen Auftraggeber wuchs, etwas ändern zu müssen, um nicht von den Kampagnen an den Pranger gestellt zu werden. Das hat zu einem verstärkten Dialog mit den chinesischen Firmen geführt und dazu, dass es auch in China zunehmend Sozial-Audits und Bemühungen gab, zumindest für die europäischen Auftraggeber Arbeitsrechte einzuhalten und Mindestlöhne zu zahlen. Vieles davon war allerdings Schaufensterpolitik, was wir auch immer wieder kritisiert haben. Die Arbeitsbedingungen hatten sich längst nicht so verbessert, wie es in den Auditberichten und auf den Marketingseiten der Unternehmen nachzulesen war. Trotzdem: Die Löhne haben sich in den letzten Jahrzehnten nach oben entwickelt – das hat aber auch mit der Arbeitskräfteknappheit in China zu tun.“

Wieso kam es dazu? Sie haben gerade noch von Millionen Arbeitskräften in der Textilindustrie gesprochen …
„China hat nicht nur seine textile Industriebasis ausgebaut, sondern ist mittlerweile in ganz vielen Wirtschaftsbereichen und Industriesektoren führend. Daher gibt es einen großen Wettstreit der verschiedenen Unternehmen um die Arbeitskräfte. Die Textilindustrie war schon immer eine Billigindustrie, auch hier in Europa. Daher ist sie auch als eine der ersten nach Fernost verlagert worden.

Zu Beginn der Öffnungspolitik war für viele der Binnenmigrantinnen und -migranten die Textil- und Bekleidungsindustrie sehr attraktiv. Nachdem andere Unternehmen zum Beispiel im Technologie- oder Automobilbereich aufgebaut wurden, in denen sich die Arbeiterinnen und Arbeiter qualifizieren konnten und damit auch die Löhne besser wurden, verlor die Textil- und Bekleidungsindustrie immer mehr an Attraktivität.

China ist immer noch weltweit führend in dem Bereich mit einem Anteil von ungefähr 30 Prozent. Dennoch gibt es eine größere inländische Konkurrenz um Arbeitskräfte als in anderen Ländern, wie etwa Bangladesch. Hier ist man voll auf Bekleidung ausgerichtet und tut sich schwer, andere Wirtschaftszweige aufzubauen.“

Wenn wir von den Arbeitsbedingungen in China sprechen: Gibt es dazu internationale Abkommen und wird deren Einhaltung überprüft?
„Es gibt die globalen Abkommen der International Labour Organization (ILO). Deren internationalen Arbeitsrechte sind der wichtigste Bezugspunkt für alle Debatten um die Einhaltung von unternehmerischen Sorgfaltspflichten. China gehört nun wirklich nicht zu den führenden Ländern, was die Ratifizierungen von Konventionen des internationalen Arbeitsrechts angeht. Von den zehn sogenannten Kernarbeitsnormen, die als Menschenrechte für Arbeiterinnen und Arbeiter gelten, hat China sieben ratifiziert. Dazu gehören zwar die beiden Konventionen, die Zwangsarbeit verbieten – diese sind in China allerdings derzeit noch nicht in Kraft, sondern erst ab Mitte August dieses Jahr. Das liegt daran, dass China sie erst nach den Zwangsarbeitsvorwürfen in Xinjiang ratifiziert hat. Dazu kommen die beiden Antidiskriminierungskonventionen, bei denen es um gleiche Bezahlung gleicher Arbeit sowie um das Verbot von Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf geht. China hat zudem beide Konventionen gegen Kinderarbeit ratifiziert sowie eine Konvention zu Sicherheit und Gesundheit am Arbeitsplatz – die zweite dazugehörige aber nicht. Und was sie vor allem nicht ratifiziert haben, sind die beiden Konventionen zu Vereinigungsfreiheit, da sie keine Gewerkschaftsfreiheit im Land zulassen.“

„Man gewinnt Menschen eher für ein System, indem man ihnen gewisse Freiheiten erlaubt, sie teilhaben lässt am Wohlstand, sie einbindet und nicht durch Unterdrückung.“

Es gibt keine Gewerkschaften in China?
„Die einzige zugelassene Gewerkschaft ist der allchinesische Dachverband All-China Federation of Trade Unions (ACFTU), der Gesamtchinesische Gewerkschaftsbund. Alle Betriebs- oder Provinzgewerkschaften müssen sich diesem Dachverband anschließen, der wiederum ein Unterarm der Partei ist. Das heißt natürlich im Umkehrschluss, dass es keine Gewerkschaftsfreiheit gibt. Hier kommen meines Erachtens alle unternehmerischen Sorgfaltspflichten an ihre Grenzen: In einem Land, in dem es per Gesetz keine Gewerkschaftsfreiheit gibt, können Unternehmen nicht garantieren, dass die Menschenrechte bei der Arbeit eingehalten werden. Sie dürften aus diesem Land dann eigentlich auch nichts beziehen.“

Staatspräsident Xi Jinping verbat sich zudem im letzten Jahr ganz öffentlich eine Einmischung beim Thema Menschenrechte. In einem Videogespräch mit der UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet sagte er, die Entwicklung der Menschenrechte passe zu den nationalen Bedingungen.
„Bei diesem Thema gibt es definitiv eine Veränderung gegenüber den Vorjahren, mit Xi Jinping ist eine deutliche Kehrtwende eingetreten. Ich beschäftige mich seit Ende der 1990er-Jahre mit der Produktion in China. Bis zum Amtseintritt von Xi Jinping im Jahr 2012 konnte man feststellen, dass China zwar nach wie vor restriktiv im Bereich der politischen Menschenrechte war, aber beim Thema soziale Menschenrechte durchaus Zugeständnisse machte. Man drängte die Auftraggeber aus dem Westen, ihre Preise zu erhöhen, damit die Unternehmen in China bessere Löhne zahlen und die Beschäftigten dementsprechend auch von dem Aufschwung profitieren konnten. Dahinter steckte der Gedanke, die Leute zwar politisch ruhig zu halten, sie aber ökonomisch teilhaben zu lassen. Seinerzeit herrschte sogar beim ACFTU Offenheit, sich für die Belange der Arbeiterinnen und Arbeiter einzusetzen, und man war stolz darauf. Ich glaube, so etwas wäre im heutigen China nicht mehr möglich.“

Seit Xi Jinping gibt es also eine Verschlechterung der Arbeitsbedingungen?
„Ganz sicher, was die sozialen Menschenrechte angeht, im politischen Bereich ist es sogar noch offensichtlicher. Was in Hongkong oder Xinjiang passiert, hängt definitiv mit der Regierung von Xi Jinping zusammen.“

Stichwort Xinjiang. Das ist ein sehr großes, autonomes Gebiet im Nordwesten Chinas, in dem zahlreiche ethnische Minderheiten, darunter vor allem die Uigurinnen und Uiguren, leben. Man liest immer wieder, dass diese interniert und zu Zwangsarbeit rekrutiert werden. Glauben Sie diesen Berichten?
„Diese Berichte kommen meines Erachtens aus seriösen Quellen und sind nicht mehr widerlegbar. Man hört immer wieder von Schätzungen, dass 1,8 Millionen Uigurinnen und Uiguren interniert sind, manche gehen sogar von 2 Millionen aus. Es bleiben aber Schätzungen, weil niemand in diese Region reisen darf. Dennoch können Unternehmen davon ausgehen, dass sie innerhalb der Region Xinjiang nicht mehr ohne das Risiko von Zwangsarbeit produzieren lassen können. Und das betrifft jeden Wirtschaftssektor.“

Dabei hat Xinjiang insbesondere für die Textilindustrie einen großen Stellenwert.
„Es wird von der chinesischen Regierung sehr forciert, dort immer mehr Betriebe aus der Textilindustrie anzusiedeln. In Xinjiang werden ungefähr 90 Prozent der chinesischen Baumwolle angebaut, die einen Anteil von circa 20 Prozent auf dem Weltmarkt hat. Und die soll zunehmend auch vor Ort versponnen und weiterverarbeitet werden. Das passt zur chinesischen Strategie, die schon älter als Xi Jinping ist und ,Going West‘ heißt: Die industrielle Entwicklung des Landes soll sich von den östlichen und südöstlichen Küstenzonen immer weiter nach Westen, ins Landesinnere bewegen.

Von dieser Strategie und den damit verbundenen gezielten Investitionen des Staates profitieren auch die Region Xinjiang und deren Regierung, aber mit Sicherheit nicht die Uigurinnen und Uiguren, die systematisch unterdrückt werden.

Die Investitionen in die Region haben aber nicht nur ökonomische, sondern auch geopolitische Gründe. Xinjiang ist ein wichtiger Knotenpunkt für die Landverbindung der neuen Seidenstraße. Von hier führen viele Straßen- und Eisenbahnstrecken nach Europa und natürlich auch in die asiatischen Nachbarländer.

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Xinjiang ist zudem eine riesige Landmasse innerhalb Chinas und daher geopolitisch von großer Bedeutung. In den letzten Jahrhunderten gab es immer wieder Unabhängigkeitsbestrebungen der Uigurinnen und Uiguren, die aber stets nur kurz erfolgreich waren. Xi Jinping möchte die Region befrieden, dort soll eine Han-Mehrheit leben, damit gar nicht mehr infrage gestellt wird, dass Xinjiang zum Kernland gehört – nicht zuletzt wegen der großen Mengen an Rohstoffen, die hier zu finden sind: Gas, Öl, Silizium, alle sehr wichtig für moderne Industrien.“

„Chinesische Investoren, oft finanziert über Staatsfonds, sind sehr interessiert an strategisch wichtigen Knotenpunkten, um sich dadurch eine gute Ausgangsposition für eine anhaltende Vormachtstellung im Welthandel zu verschaffen.“

Die Regierung von Xi Jinping unterdrückt also die Uigurinnen und Uiguren, damit man an dieses große, wertvolle Stück Land kommt?
„Ich denke, dass das nicht nur ethisch falsch ist, sondern vor allem politisch. Man gewinnt Menschen eher für ein System, indem man ihnen gewisse Freiheiten erlaubt, sie teilhaben lässt am Wohlstand, sie einbindet und nicht durch Unterdrückung.

Was ich noch einmal betonen möchte: Wenn ich von Freiheiten in China spreche, meine ich damit nie politische, sondern ausschließlich soziale Rechte. In den 2000er-Jahren gab es eine Zeit lang ein Klima, in dem man sogar für Arbeitsrechte auf die Straße gehen und streiken konnte. Aber auch das ist jetzt nicht mehr möglich.“

Wenn ich von Freiheiten in China spreche, meine ich damit nie politische, sondern ausschließlich soziale Rechte.“ © ILO / Crozet M.

Wir haben jetzt vor allem über die Einhaltung von Arbeitsrechten in China gesprochen. Ein wichtiger Faktor in der Textilindustrie ist aber natürlich auch der Umweltschutz. Wie wird dieser umgesetzt?
„Das ist nicht mein Fachgebiet, aber natürlich verfolge ich auch hier die Entwicklungen. Ein anhaltendes Problem nicht nur für die Textilbranche ist: China ist die Werkbank der Welt und hat derzeit noch einen Anteil von 60 bis 70 Prozent Kohleverstromung. Auch beim Umgang mit Chemikalien passieren in China nach wie vor große Umweltverschmutzungen. Das liegt vor allem daran, dass ein großer Teil der Textilindustrie und natürlich auch der Färbereien in China konzentriert ist. Ich habe aber gelesen, dass man sich bemüht, die Umweltkontrollen und die entsprechenden Gesetzgebungen zu verschärfen.

Was die Exportunternehmen angeht, sind die Umweltstandards sehr gut geregelt, da sie regelmäßig von ihren westlichen Kunden überprüft werden. Erheblich größere Probleme gibt es bei den Unternehmen, die nur für den Binnenmarkt produzieren.

Es ist übrigens viel schwieriger, einen Missstand in der ordnungsgemäßen Lagerung von Chemikalien zu verbergen als bei den Lohnzahlungen. Im sozialen Bereich befragen viele Auditorinnen und Auditoren ausländischer Marken nicht einmal die Beschäftigten und wenn doch, dann immer nur im Beisein des Managements. Und das ist nicht wirklich seriös.“

Halten sich die chinesischen Produktionen also nur an die Umweltauflagen, weil sie die Audits der westlichen Brands fürchten?
„Ich glaube, man muss China anders einschätzen: Schon als ich 2012 eine der ersten freien Wirtschaftszonen des Landes an der Südostküste besuchte, in der viele Millionen Menschen lebten, hatte man den Gebrauch von Mofas mit Verbrennungsmotoren verboten, weil viele der Städte im Smog erstickten. Das war der Grund, warum etliche Kommunen und Provinzen Umweltmaßnahmen umsetzten, nicht die Überprüfung durch ausländische Marken.

Ich kann es nicht mit Studien belegen, habe aber dennoch den Eindruck, dass sich China nicht verstecken muss im Vergleich zu westlichen Ländern, die sich sehr gerne hinter angeblichen Schwierigkeiten bei der Umsetzung von Umweltschutzmaßnahmen verbergen. Natürlich ist aber auch das Commitment von China nicht genug; bei den Reichtümern, die sie erwirtschaften, hätten sie schon längst aus der Kohleverstromung aussteigen können.“

Lassen Sie uns noch einmal auf die Politik von Xi Jinping zurückkommen. Er arbeitet sehr intensiv an der globalen wirtschaftlichen Vormachtstellung Chinas. Wie geht er vor?
„Ich hatte ja eben schon von seiner ,Going West‘-Strategie gesprochen, die hat sich schon vor Xi Jinping zu einer ,Going Out‘-Strategie entwickelt, was bedeutet: China möchte Billigindustrien und besonders schmutzige Produktionen in andere Länder verlagern. Für die Textil- und Bekleidungsbranche bedeutet das, dass man die Arbeitsleistung in Nachbarländer wie Pakistan, Kambodscha oder Vietnam auslagert, die chinesischen Unternehmen allerdings Eigentümer oder Investoren bleiben und die Profite weiterhin nach China transferiert werden.

Das wird begleitet beziehungsweise unterstützt von der großen Infrastruktur ,Neue Seidenstraße‘. Wir haben ja schon über die Landverbindungen gesprochen, aber viel wichtiger sind in diesem Zusammenhang die maritimen Verbindungen: 80 bis 90 Prozent des Güterverkehrs laufen über die Seewege und China hat dementsprechend schon einige wichtige Häfen aufgekauft beziehungsweise Terminal-Anlagen gepachtet oder sich an entsprechenden Unternehmen beteiligt. Dazu gehören Häfen in Griechenland, Sri Lanka oder Pakistan.

Chinesische Investoren, oft finanziert über Staatsfonds, sind sehr interessiert an strategisch wichtigen Knotenpunkten, um sich dadurch eine gute Ausgangsposition für eine anhaltende Vormachtstellung im Welthandel zu verschaffen. Wichtig ist aber, dass die USA oder europäische Länder nichts anderes machen – nur hinken sie derzeit noch ein bisschen hinterher.“

Man muss also nicht befürchten, dass China zukünftig auch politisch immer mehr globalen Einfluss ausüben wird?
„Nein, das glaube ich nicht. China gehörte zumindest über viele Jahrzehnte zu den Staaten, die nie expansiv waren. Das kann man natürlich im Moment infrage stellen, wenn man die Aggression gegen Taiwan oder ihre Hongkong-Politik betrachtet. Womit wir uns aber trotzdem anfreunden müssen, ist, China als eine Weltmacht anzuerkennen, die auch als solche behandelt werden muss und die man nicht durch Sanktionen oder Drohungen in die Knie zwingen kann. China finanziert viele afrikanische Staaten, die wiederum sehr schlechte Erfahrungen mit Europa gemacht haben und immer noch machen.

Im Gegensatz dazu erscheint ihnen China als guter Geldgeber, der weder menschenrechtliche Konditionen noch sonstige Auflagen vorgibt und daher bei vielen Ländern sehr gut angesehen ist. Europa sollte China nicht als Riesengefahr aufbauschen, sondern die afrikanischen Länder dabei unterstützen, nicht in eine Schuldenspirale zu geraten, die einen Ausverkauf ihrer Reichtümer zur Folge hätte. Eine Wiederholung eines solchen Ausverkaufs, wie er ja in der Vergangenheit leider schon durch die Europäer geschehen ist, sollte unbedingt vermieden werden.“

Vielen Dank für dieses sehr interessante Gespräch!

Dr. Sabine Ferenschild ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am südwind Institut für Ökonomie und Ökumene, das für gerechte Wirtschaftsbeziehungen arbeitet. Sie befasst sich dort mit den Themen Frauen und Weltwirtschaft – hier insbesondere mit den Arbeitsbedingungen für Frauen entlang der Lieferkette der Textil- und Bekleidungsindustrie in Ländern des globalen Südens. Darüber hinaus vertritt sie südwind unter anderem beim Textilbündnis und in der Kampagne für Saubere Kleidung.

Nach dem Studium der Psychologie, Sozialwissenschaften und katholischen Theologie an der Universität Münster und der Promotion in Sozialwissenschaften an der Universität Paderborn war Dr. Sabine Ferenschild für die Katholische Arbeitnehmerbewegung in Aachen sowie für das Ökumenische Netz RHEIN MOSEL SAAR tätig. 2011 nahm sie ihre Tätigkeit für südwind auf.