Wo stehen die deutschen Marken?

Schlaglicht

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Autor: Markus Oess
Die Vertikalen haben gegenüber den klassischen Bekleidungsmarken immer noch die Nase vorn, was Themen wie Prozesse, Leadtimes und Produktinnovationen angeht. Aber die Markenindustrie holt auf und investiert in Marke und Markenpräsenz. Das eröffne Chancen, sagt Frank Ganzasch, Geschäftsführender Gesellschafter von h + p hachmeister + partner, im FT-Interview. Und: Warum Spezialisten ihr Kernsegment dominieren.

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„Sicherlich gab es schon mehrere disruptive Zeiten, die aber nicht wie die Situation der letzten drei Jahre einen derartigen Einfluss auf das modische Kaufverhalten hatten. Für die Zukunft gehen wir von mehr und auffälligeren modischen Veränderungen aus.“ Frank Ganzasch, Geschäftsführender Gesellschafter h+p hachmeister + partner ©h+p hachmeister + partner

FT: Herr Ganzasch, wie ist es bestellt mit der deutschen Bekleidungsindustrie aktuell?
Frank Ganzasch: „Der Start in die Frühjahr/Sommer-Saison schließt an die positive Entwicklung des Januars an, aber erreicht das Vorkrisenniveau nicht. Im Februar und März sind die Umsätze des stationären Bekleidungssortiments im Vergleich zum Vorjahr um 17,3 Prozent gestiegen, jedoch im Vorkrisenvergleich um minus 5,5 Prozent gefallen. Das Herrensortiment hat sich im Februar und März überdurchschnittlich mit 25 Prozent entwickelt. Die Aufholjagd hat begonnen.“

Wie sieht es mit der Zukunftsfähigkeit, mit der Innovationskraft gerade auch im Wettbewerb mit den Vertikalen aus?
„Hier ist klarzustellen, dass die Vertikalen zwar die Vorreiter sind, was das Thema Prozesse, Leadtimes und damit auch Produktinnovationen angeht. Aber gerade die nicht vertikal aufgestellten Brands haben aktuell großen Wert auf Produktinnovationen und Markenbildfokussierung gelegt: Es soll nicht mehr die breite Masse in Gänze angesprochen werden. Darüber hinaus wird stark in Digitalisierung und Vernetzung von Handel und Hersteller – trotz vermeintlicher Krise und Konsumverzicht – investiert. Marken, große wie kleine, investieren in Flächenprozesse, die immer häufiger durch den Einsatz von KI unterstützt werden. Hierüber werden automatisiert Umlagerungen, die optimale Preisfindung und Bestände kontrolliert und angepasst. Für den Mittelstand hat h + p eine optimale KI-Lösung geschaffen, wodurch Händler und Brands intelligent und automatisiert ihre Flächen bewirtschaften können.“

Wie sieht es mit der Finanzkraft, mit der Stabilität der Firmen aus, stehen wir vor einer ähnlichen Welle wie im Handel, wo es gerade die zentralisierte Großfläche trifft?
Diese Frage ist differenziert zu beantworten: Von Unternehmen zu Unternehmen gibt es große Unterschiede in der Ausrichtung und wie viel in den letzten Jahren in eine zukunftsweisende Strategie investiert wurde. Unternehmen, die in ihren Prozessen und ihrem Produkt fortschrittlich handeln und zugleich ein konsequentes Finanz- und Forecast- Management betreiben, stehen aktuell besser da als solche, die in den letzten Jahren nicht investiert haben. Natürlich sehen wir, dass Mainstream-Marken gerade durch die aktuelle Situation der Großfilialisten betroffen sind, aber nicht nur hierdurch: Insgesamt tendiert der Modern-Mainstream-Markt unterdurchschnittlich und muss sich modisch letztendlich neu erfinden, um hier eine Begehrlichkeit bei dem Endkunden zu erzeugen.“

Gibt es auch systembedingte Gründe, die im Strukturwandel des Marktes begründet liegen, aber nicht in aktuellen globalen, politischen oder konjunkturellen Krisen? Was kann da helfen?
„Im h + p Panel hat sich in den letzten zwei Jahren eine Verschiebung der Umsätze Richtung Online aufgezeigt. Jedoch sehen wir auch, dass die jüngeren Umsätze auf einem konstanten Level stagnieren oder sogar zurückgehen, denn die Kunden kommen gerne an den PoS zurück, zudem ist es für den stationären Händler schwierig, einen eigenen Online-Shop profitabel zu gestalten. Für den Hersteller gilt es, D2C voranzutreiben, ohne dabei den stationären Handel zu übergehen. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass Nachorder-Limits bei Online-Pure-Playern in den letzten Monaten immer geringer ausfallen. Sowohl für Händler als auch Brands über alle Kanäle gilt: Sie müssen ihren Zielkunden kennen, die Daten intelligent auswerten, um die Kunden entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen anzusprechen. Konsequentes Kundenmanagement ist essenziell!“

Wo liegen die Stärken der Marken – mehr im System, in den Prozessen oder mehr im Modischen, im Design?
„Je mehr Luxus, desto weniger Prozess ist gefordert. Aber für Premium- wie für Mainstream-Marken gilt es immer mehr, neben der Kollektions- und Produktleistung die Prozesse voranzutreiben. Für Produktspezialisten gilt es, eine Prozessstärke vorzuweisen.“

„Nur weil man etwas Neues macht, darf die Kernkompetenz keinesfalls vernachlässigt werden. Hier gilt es weiter, das Produkt zu schärfen.“

Global betrachtet, sind die großen Marken längst schon Generalisten und bieten vom Scheitel bis zur Sohle so ziemlich alles an … Wenn wir jetzt aber als Beispiel Hose, Schuhe und Anzug anschauen, wie sieht es in den Segmenten aus? Wer hat da die Nase vorn, der Spezialist oder der Generalist?
„Der Marktanteil der drei Segmente ,Hose‘, ,Schuhe‘ und ,Anzug‘ wird klar von Spezialisten dominiert. Beispielsweise im Bereich der Herren-Hose sind es Marken wie BRAX, ALBERTO, MAC und pierre cardin. Aber hier zeigen sich erste Outfitter wie PME und camel active, die in die oberen Ränge vorstoßen. Im Bereich der Anzüge sind es Marken wie ROY ROBSON, DIGEL, CG und CINQUE.“

Was sind die Gründe dafür?
„Für den Outfitter ist es attraktiv, seinen Fan komplett einzukleiden und dementsprechend ein passendes Produktportfolio vorzuweisen. Dies zahlt auch auf die Markenstrahlkraft ein. Jedoch ist herauszustellen, dass es die Spezialisten sind, beispielsweise im Hosen- beziehungsweise Konfektionsbereich, die ihre Passform und ihr Sourcing über Jahrzehnte perfektioniert haben.“

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Geht es auch ohne eigenen Retail oder brauchen große Marken umso eher eigene Läden, je breiter das Sortiment aufgestellt ist?
„Für die Marken bietet der Retail eine Möglichkeit, ein Markenschaufenster aufzustellen. Es ist allerdings aktuell unverändert schwierig, dies profitabel umzusetzen. Daher muss man hier selektiv vorgehen, auch gerade unter dem Aspekt der niedrigen Frequenzen und der zum Teil noch zu hohen Mieten, auch wenn diese eine Anpassung in den Corona-Zeiten erfahren haben. Letztendlich muss die Retailfläche mit der Wholesalefläche harmonisiert werden – gerade in den aktuellen Zeiten denkt der Wholesale über eine Intensivierung der Zusammenarbeit, aber mit einem kleineren Markenportfolio, nach.“

Wir haben es beim Anzug gesehen: in der Pandemie totgesagt und später ein unerwartetes Comeback, Lieferprobleme inklusive. Gab es schon einmal eine solche Achterbahnfahrt in der Vergangenheit für ein bestimmtes Segment?
„Sicherlich gab es schon mehrere disruptive Zeiten, die aber nicht wie die Situation der letzten drei Jahre einen derartigen Einfluss auf das modische Kaufverhalten hatten. Für die Zukunft gehen wir von mehr und auffälligeren modischen Veränderungen aus. Zurzeit arbeitet h + p an einem Trendforecast, um frühzeitig bei der Kollektionsentwicklung zu unterstützen. Unser Forecast wird innerhalb der Saison den h + p-Benchmarkzahlen gegenübergestellt und damit validiert.“

Als Spezialist kann man sich der allgemeinen Entwicklung im Guten wie im Schlechten kaum entziehen, Diversifizieren bedeutet aber auch ein wenig Abkehr von der Kernkompetenz. Lässt sich das Spannungsfeld überhaupt lösen?
„Nur weil man etwas Neues macht, darf die Kernkompetenz keinesfalls vernachlässigt werden. Hier gilt es weiter, das Produkt zu schärfen. Der Weg zum Outfitter ist ein evolutionärer Prozess. Es gilt, sich gesamtheitlich als Marke für die Zukunft aufzustellen. Jede Sortimentsentscheidung sollte zielgerichtet und durchdacht getroffen werden, um Risiken zu minimieren und sowohl Händler als auch Endverbraucher mitzunehmen. Viele Händler versuchen, ihr Markenportfolio zu reduzieren. Damit einhergehend, müssen Marken zukünftig breiter und tiefer eingekauft werden, was eine höhere Produkt- und Sortimentskompetenz voraussetzt.“

Der Gesprächspartner

Frank Ganzasch ist Geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung h + p hachmeister + partner. Im Unternehmen ist er bereits seit mehr als 26 Jahren tätig und verfügt über eine entsprechend breite, jahrzehntelange Beratungserfahrung im Einzel- und Großhandel sowie im Benchmarking. Zu seinen Fachthemen zählen unter anderem BI, ERP, CRM und Finanzen. Ganzasch hat sich außerdem auf die Menswear spezialisiert.