Mode, Musik, Moral – Teil 2

Subkulturen

©Andreas Grüter

Autorin: Katja Vaders
Im letzten Monat unternahm ich den Versuch, die Entstehung von Subkulturen in einen historischen Kontext zu stellen und eine Definition zu wagen: Was ist überhaupt unter dem Begriff „Subkulturen“ zu verstehen? Und wie haben sich diese Bewegungen vor allem in den letzten hundert Jahren entwickelt? Die Reise durch die Geschichte des Undergrounds geht weiter in den 1970er-Jahren, in denen Jugendbewegungen politisch wurden – wenn auch nur für kurze Zeit. Außerdem stelle ich die Frage, ob Subkulturen heute überhaupt noch existieren. Lesen Sie dazu den zweiten Teil zur Geschichte des Undergrounds und dem Zusammenspiel von Mode, Musik und Moral. 

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Die 1970er: Politisierung der Subkulturen 

Der Kalte Krieg, die militärische Eskalation in Vietnam, die Angst vor kapitalistischen und imperialistischen Strukturen, die 1968er-Unruhen und eine immer größere Distanz zwischen Jugend- und Elterngeneration förderten die Politisierung junger Menschen auf der ganzen Welt. Politische Ideen fanden demzufolge auch Einzug in die Musik, globale Protest- und Friedensbewegungen gründeten sich, die wiederum mit den Subkulturen interagierten und sie maßgeblich beeinflussten.  

Vor allem die amerikanischen Hippies plädierten für Frieden, freie Liebe und protestierten gegen den Vietnamkrieg und die US-Regierung. Das äußerte sich auch in ihrer Mode: Sie ließen sich die Haare lang wachsen, trugen weite, bunte, asiatische oder orientalische Kleidung und stellten sich damit gegen den akkuraten und gepflegten Look der Elterngeneration. Auch das Experimentieren mit Drogen, um bewusstseinserweiternde Stadien zu erreichen und sich selbst zu finden, gehörte zum festen Bestandteil der Jugendkultur. Genau wie die Musik: Man hörte neben (psychedelischem) Rock vor allem den Sound von Singer-Songwritern.  

In eine ganz andere Richtung steuerte die Subkultur der Skinheads, die vor allem in den Straßen der britischen Wohngettos entstand. Die Skins waren ursprünglich nicht alle rechts, ein Großteil von ihnen verfolgte allerdings rechtsextreme und antisemitische Ziele und spielte mit Nazisymbolen, die sie auch in ihre Mode adaptierten, und kämpfte für eine „weiße und arische Rasse“. Dies äußerte sich in gewalttätigen Übergriffen gegen Ausländer und Immigranten sowie gegen linkspolitisch orientierte Jugendliche. Musikalisch orientierte man sich zunächst am Ska und Reggae, der sich in der englischen Arbeiterklasse bis heute größter Beliebtheit erfreut. Der rechtsextreme Teil der Skins hörte vor allem Musik, die sich an hartem, schnellem Punkrock orientierte, allerdings rassistische und antisemitische Texte hatte.  

In ihrer Mode zitierten Skinheads gleichermaßen englische Arbeiterkleidung wie einen Militärlook. Sie trugen bevorzugt sogenannte Donkey Jackets, Jacken britischer Müllmänner, oder Dr.-Martens-Stiefel mit Stahlkappen, um ihre Verbundenheit mit und ihren Stolz auf die Working Class zu unterstreichen.  

Politisch links gerichtet, dafür aber nicht minder provokativ in ihrem Auftreten, waren die Industrials, eine Subkultur, die Mitte der 1970er-Jahre an englischen Kunstschulen entstand, deren Mitglieder aber dennoch vornehmlich der Arbeiterklasse entstammten. Die Bewegung entwickelte sich aus Elementen der experimentellen und Avantgardemusik sowie der Konzept- und Aktionskunst. Eine wesentliche Komponente des Industrials, der vor allem die Folgeerscheinungen der Industriegesellschaft, zum Beispiel die zunehmende Künstlichkeit und Technisierung vieler Lebensbereiche, thematisierte, waren die Provokation entlang der äußersten Ränder des Erträglichen und das Experiment mit audiovisuellen Grenzerfahrungen. Der Gebrauch von Nazisymbolen war dazu ein ebenso probates Mittel wie extreme Darstellungen von Gewalt, Sexualität, Krankheit, Krieg und Tod, die sie mit bedrohlichen und aggressiven Klangcollagen und Lärm bis zur Erreichung der Schmerzgrenze unterlegten.  

Dazu trug die Szene Gasmasken, Schweißerbrillen, Mundschutz, Sicherheits- und Tarnanzüge, manchmal auch Fetischkleidung oder sogar SS-Uniformen. Ihre Provokationen gingen so weit, dass eine der wichtigsten Industrial-Bands, Throbbing Gristle aus Manchester, das Bild eines Ofens aus Auschwitz als Logo für ihr Plattenlabel benutzte. Der Look der Industrials wurde später von einigen anderen Subkulturen adaptiert und imitiert.  

 

Punk: „The Great Rock ’n’ Roll Swindle“  

Mitte bis Ende der 1970er-Jahre wurde die Unzufriedenheit der Jugendlichen immer größer. Die Zeit war reif für etwas Neues, mit dem sich auch größere Massen identifizieren konnten und das der allseits vorherrschenden Endzeitstimmung auch unter den bürgerlichen Kids gerecht wurde.   

Bereits Mitte der 1970er-Jahre entstand in der New Yorker Nachtclub-Szene rund um den legendären Nachtclub CBGB’s eine pulsierende Musikbewegung, die sich epidemieartig ausbreitete. Kids von der Straße und Künstler schnappten sich Instrumente und gründeten Bands. Die meisten waren musikalisch absolute Dilettanten, kreierten aber gerade deshalb einen völlig neuen Sound. Die Musik war hart, schnell und orientierte sich vor allem an dem klassischen Rock ’n’ Roll. Der Lifestyle, den die Musik transportierte, griff schnell auch auf andere Lebensbereiche über. Die Kids kreierten ihre eigene Mode aus selbst designten Klamotten, die sie mit billiger Kleidung aus Kaufhäusern oder von Flohmärkten und schrillen Accessoires kombinierten. Zudem schnitten sich Männer wie Frauen die Haare kurz und färbten sie in allen erdenklichen Farben – was in den hippiegeprägten 1970ern fast einer Revolution gleichkam. Die Message war klar: Man wollte sich in seinem Look von den Hippies und ihrer „Love and Peace“-Attitüde abgrenzen und gnadenlos seine Individualität abfeiern. Neben der Mode und der Musik griff das Lebensgefühl auch auf die Literatur über, was unter anderem die Gründung zahlreicher Fanzines zur Folge hatte. Das wichtigste unter ihnen war das New Yorker Fanzine „Punk“, das der neuen Subkultur gleichzeitig ihren Namen gab.  

Der Londoner Modedesigner Malcolm McLaren, seinerzeit Manager der Band „New York Dolls“, war fasziniert von diesem komplett neuen Lifestyle und nahm ihn mit nach Europa. In London, wo gerade eine ganz ähnliche Stimmung wie in New York herrschte, schlug Punk ein wie eine Bombe. McLaren gründete die Punkband The Sex Pistols, die vermutlich weltweit erste gecastete Boyband überhaupt. Außerdem begann er mit seiner Lebensgefährtin Vivienne Westwood, den passenden Style zu dem neuen Lebensgefühl zu kreieren, der wohl am ehesten mit dem Wort Anti-Mode beschrieben werden kann: Westwood druckte ironisch gebrochene Bilder der Queen und Nazisymbole auf Shirts, nähte sogenannte Bondagehosen, deren Hosenbeine mit Schnallen zusammengebunden waren, und arbeitete mit Schlagwörtern wie „Anarchy“ oder „No Future“ und dem Union Jack, Insignien, die die Monarchie und bürgerliche Werte verhöhnen sollten.   

Ihr Look faszinierte Jugendliche in ganz Europa, die Westwoods Mode als Inspiration nahmen, im heimischen Kinderzimmer selbst zu Designern zu werden. Schnell entstanden Punk-Szenen mit eigenen Bands und selbst kreiertem Style in ganz Großbritannien und vielen anderen europäischen Großstädten.  

Malcolm McLaren wurde schnell klar, dass er etwas ganz Großes erschaffen hatte. Er ging damit als der erste Mensch in die Geschichte ein, dem es gelungen war, eine Subkultur künstlich zu konstruieren, um damit ein merkwürdiges Experiment durchzuführen. McLaren sah Punk als großen „kommerziellen Schwindel“ und wollte aufdecken, dass der Kapitalismus seinen größten Feind selbst vermarkten würde. Für ihn war Punk ein Spiel und hatte nichts mit einer authentischen Jugendkultur zu tun, sondern vielmehr mit einer Inszenierung, die die größte Manipulation seit der Entstehung von Gegenkulturen darstellte.  

Sein Erfolg gab ihm recht: Schon nach kurzer Zeit griffen die Massenmedien den Hype auf und der Punk schwappte auch in die europäischen Vorstädte und Provinzen. Immer mehr Punks bevölkerten die Straßen, schnitten sich sogenannte Irokesen, färbten sich die Haare in allen Farben des Regenbogens, zogen sich Sicherheitsnadeln durch die Wangen und verwandelten ihre Shirts, Lederjacken und Jeans zu Eigenkreationen.  

Für die Begründer des Punk war schnell klar, dass die Bewegung bereits Ende der 1970er-Jahre in dem Moment zu Grabe getragen wurde, als die große Masse dieses ganz neue Lebensgefühl für sich entdeckte. Dennoch sieht man auch noch heute Punks in den Metropolen und Kleinstädten auf der ganzen Welt. Zudem beeinflusste der Punk nachfolgende Subkulturen wie den Hardcore oder den Grunge maßgeblich und brachte eine politische Haltung in das Bewusstsein unzähliger Jugendlicher, die sich gegen Kapitalismus, Krieg und Globalisierung engagierten. Viele antifaschistische Gruppierungen, Umweltorganisationen oder NGOs wie Attac wären sicherlich nicht ohne die Protestbewegungen des Punk entstanden. Zudem kann man Parallelen zu vielen Ideen des Punk in den Strukturen des Internets entdecken.   

 

Die 1980er-Jahre: Subkulturen werden salonfähig  

Slamdancing beim Konzert von Scream (Washington D.C.) im Eschhaus Duisburg, 1985 ©Andreas Grüter

In den 1980er-Jahren erlebten die Subkulturen ihre Blütezeit. Ein Großteil der westlichen Jugend formierte sich in einer Gegenkultur, war politisch engagiert, lebte seine Individualität und spielte in einer Band. Die Skins, Teds, Mods, Punks sowie viele Untergruppierungen der einzelnen Bewegungen wie Gothics, Waver oder Rude Boys feierten eine Renaissance und bevölkerten die Straßen der westlichen Großstädte. In diesem Klima fanden sich auch völlig neue Subkulturen wie die Heavy-Metal-Freaks oder, in den afroamerikanischen Gettos der USA, die Hip-Hopper und Graffiti-Sprayer zusammen.  

Selbstverständlich präsentierten sich die verschiedenen Subkulturen mit ihrer eigenen Mode, Musik und (politischen) Attitüde. Die Hip-Hopper beispielsweise prangerten nicht nur die sozialen Missstände für People of Colour in den USA an, sondern begründeten zudem die Streetwear und die Turnschuhkultur.  

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Auch die sogenannten Nerds, die intellektuellen sozialen Außenseiter und Computerfreaks, brachen auf in eine neue Ära. Sie griffen die schnell voranschreitende Technisierung der Gesellschaft auf und vertieften sich in die Welten ihres Personal Computers. Sie waren stets auf dem neuesten Stand der Wissenschaft, lasen Science-Fiction-Bücher, verehrten die entsprechenden TV- und Film-Formate und versuchten, mit ihrem Wissen die für die meisten Jugendlichen immer kompliziertere Welt zu erklären.  

Repräsentiert und salonfähig gemacht wurden die Nerds durch Bands wie Devo, die in einem Laboranzug, Astronauten-Kleidung oder Radioaktivitäts-Schutzanzügen auftraten und das Tragen von dicken Hornbrillen zum Modetrend erhoben. Zusätzlich tauschten sie die „No Future“-Attitüde der Punks mit ihrem zukunftsorientierten Science-Fiction-Fandom, das sich auch in der experimentellen Musik der Talking Heads, Jean-Michel Jarres oder Bands wie Tangerine Dream widerspiegelte. Schon Kraftwerk hatte bewiesen, dass der Computer jedem Interessierten die Möglichkeit gab, einen völlig neuen, elektronischen Sound zu kreieren. Mit technischen Errungenschaften wie den Atari-Spielekonsolen, Game Boys oder dem Commodore 64 trat der Computer endgültig den Siegeszug in die heimischen Wohnzimmer an.  

 

Von der Subkultur zum Mainstream 

Im Lauf der 1980er-Jahre adaptierten immer mehr Designer wie Jean Paul Gaultier oder COMME des GARÇONS den Stil der verschiedenen Subkulturen und verarbeiteten sie in ihrer Mode. Demzufolge war es nur eine Frage der Zeit, bis Billigmarken oder Kaufhäuser die Trends der Designer aufgriffen und in ihren Kollektionen zu Massenware verarbeiteten. Modische Elemente der Subkulturen wurden Teil der Leitkultur, mit dem Preis, dass immer mehr Jugendbewegungen ihre Glaubwürdigkeit verloren und im Mainstream versanken.   

©pexels by Mauricio Mascaro

Ende der 1980er-Jahre startete in Manchester die Rave-Bewegung, eine Subkultur, die jegliche Rebellion im eigentlichen Sinne hinter sich gelassen hatte. Der Protest der Raver gegen die Gesellschaft bestand im Feiern illegaler Partys und dem Konsum harter Drogen; Tanzen und Musik wurden dabei zur Religion erhoben. Bands wie die Happy Mondays verkörperten perfekt Image und Attitüde des Ravers: Mitglied der Arbeiterklasse, wenig gebildet, drogenabhängig, hedonistisch bis zum Exzess. Passend dazu war die Mode der Raver wenig inspiriert. Man trug Jeans, Turnschuhe, bevorzugt Design-Klassiker der 1960er, und bunte T-Shirts, oft mit Hippie-Symbolen wie Smileys, Blumen et cetera bedruckt. Die Rave-Bewegung schaffte sich kurze Zeit später selbst ab: Durch die stetig zunehmende Kriminalisierung der Szene, Schießereien auf Partys und Drogentote endete die Party genauso plötzlich, wie sie begonnen hatte. 

Der Grunge, der zu Beginn der 1990er die Welt eroberte, hatte erheblich weitreichendere Folgen. Die harte Gitarrenmusik, die auch ideologisch stark vom Punk beeinflusst war, entwickelte sich schnell von der Subkultur zum Massenphänomen. Die Band Nirvana, die Speerspitze der Grunge-Bewegung, verkaufte Schallplatten im zweistelligen Millionenbereich. Der schlampige Look des Grungers mit langem, ungewaschenem Haar, kariertem Hemd und zerrissener Jeans prägte das Erscheinungsbild einer ganzen Generation.  

Auch Techno wurde nach wenigen Jahren im Untergrund zur Massenbewegung. Ende der 1980er trug man allerdings in Berliner Clubs noch Gasmasken, Sicherheitswesten oder Arbeitskleidung von Müllmännern, kein politisches, sondern ein ästhetisches Statement, das Bezug auf die laute, kalte und technische Musik und die dunklen und rauchgeschwängerten Clubs nahm. Die Techno-Szene hatte ähnlich hedonistisch motivierte Grundsätze wie die Rave-Bewegung und ebnete damit den Weg für die sogenannte Spaßgesellschaft, die in den folgenden Jahren Feiern, Individualismus und Hedonismus zu den wichtigsten Aspekten des Lebens erklärte. Gleichzeitig hatte die Möglichkeit, dass jeder an seinem heimischen Computer Technosound produzieren konnte, auch eine Art Demokratisierung des Musikmachens zur Folge. Massenereignisse wie die Love Parade, eine als Demonstration bezeichnete Riesenparty, zogen schnell alljährlich über eine Million Menschen aus aller Welt nach Berlin. Inzwischen gehört Techno, soweit er noch existent ist, zur Leitkultur.  

©Rudy and Peter Skitterians auf Pixabay

Auch Hip-Hop ist längst Teil des Mainstreams geworden. Im Zentrum der Subkultur standen zu Beginn Ende der 1970er-Jahre die Musik, kombiniert mit Graffiti und Breakdance. Die Hip-Hopper idealisierten Black-Power-Ideen und prangerten in ihren Raps die sozialen Missstände in den schwarzen Wohngettos der USA an. Im Laufe der Zeit reduzierte sich Rap, abgesehen von kleinen, subkulturellen Splittergruppen, allerdings immer mehr auf ein Gangster-Image und den Wunsch, möglichst reich und berühmt zu werden. Dies spiegelte sich auch in der Mode wider: Kommerziell erfolgreiche Hip-Hopper trugen einen Mix aus kostspieligen Accessoires wie Uhren und Schmuck („Bling Bling“), Designermode und Pelzen. Die offene Zurschaustellung von Statussymbolen soll bis heute jedermann zeigen, dass auch ein Mitglied der PoC-Community aus einem Getto reich, berühmt und mächtig sein kann. Fans und Anhänger von Rappern hingegen, die aus ähnlichen sozialen Hintergründen stammen wie ihre Vorbilder, sind meist in Street- und Sportswear gekleidet. 

 

Cosplayer: Subkulturen gehen online   

©Максим Калмыков auf Pixabay

Im neuen Jahrtausend bevölkerte plötzlich vermehrt eine Subkultur die Straßen der internationalen Großstädte, deren Motivation besonders im Vergleich zu den früheren Jugendbewegungen schwer zu durchschauen war: die Cosplayer. Ihre Mitglieder sind Fans japanischer Computerspiele, Animes und Mangas und imitieren Kleidung und Lebensstil von Comic- oder Spielfiguren – meist tragen sie genaue Nachbildungen von deren Outfits sowie überlebensgroße Spielzeugwaffen. Seinen Ursprung hat Cosplaying im Science-Fiction-Fandom der USA.  

In Japan, wo die Subkultur entstand, ist sie immer noch extrem populär und sehr eng mit dem Mainstream verhaftet, aber auch in Europa sieht man immer noch viele Cosplayer auf den Straßen, insbesondere in Städten wie Düsseldorf, das aufgrund seines japanischen Viertels eine Art Pilgerort für Anhänger dieser Subkultur zu sein scheint. Politische, künstlerische oder philosophische Ideen beinhaltet das Cosplaying nicht. Cosplayer sind vielmehr eine Untergruppe der Anime-Manga-Fanszene, die eigene Merkmale, Rituale, Hierarchien und Treffpunkte für sich herausgebildet hat. Das Internet spielt für die Cosplayer eine wichtige Rolle, nicht zuletzt, da die Ausübung ihrer Subkultur mit dem Leben in digitalen Welten verknüpft ist. Zudem nutzen Cosplayer die technischen Möglichkeiten des Internets, um sich digitale Identitäten zuzulegen und ihre eigenen Avatare zu kreieren. Sie organisieren sich in Communitys, in denen sich die Cosplayer austauschen und verabreden können. Auch Social-Media-Kanäle wie Instagram oder TikTok bieten ihnen ideale Plattformen, um sich beziehungsweise ihre Outfits zu präsentieren. Dabei scheinen ihre Kostümierungen und das Leben einer digitalen und damit grenzenlosen Identität ihre Form der Rebellion gegen den Mainstream und vor allem die Realität zu sein, die ihrer Existenz und ihrem Individualismus Grenzen setzt.  

Natürlich ist auch der Soundtrack für die Cosplayer mit der virtuellen Welt verknüpft. Ein Superstar der Szene ist Miku Hatsune, eine von dem japanischen Illustrator Kei Garō entworfene virtuelle Figur, die ursprünglich als Werbe-Icon für die Software „Hatsune Miku“ kreiert wurde, eine von dem Unternehmen Crypton Future Media entwickelte, künstliche Gesangsstimme, die auf dem Synthesizer „Vocaloid 2“ basiert. Inzwischen ist Miku Hatsune der erste digitale Popstar, der sogar Liveauftritte als Hologramm absolviert. Ansonsten lieben Cosplayer japanische oder koreanische Rock- und Popmusik wie von der koreanische Boyband BTS.  

 

Subkulturen im Cyberspace? 

Natürlich wäre es jetzt verlockend, diverse weitere Subkulturen ausfindig zu machen, die sich in den unendlichen Weiten des Internets bewegen. Dies finge an bei Hackern wie Anonymous und manifestierte sich in der Krypto-Community, die in den letzten Jahren immer wieder durch digitale Währungen wie Bitcoins, NFT-Kunst oder das Metaverse von sich reden machte. Bei all diesen Bewegungen, die unbestritten politische Motivationen haben und auch jenseits der Mehrheitsgesellschaft agieren, fehlen jedoch die wichtigsten Parameter für eine Subkultur: Mode und Musik. Zudem bewegen sich immer größere Teile der Krypto-Community im Mainstream und kooperieren mit globalen Investoren, was eine immer weitreichendere Kommerzialisierung der Szene mit sich führt. Auch diverse Protestbewegungen der letzten Jahre, die meist ihren Anfang im Internet beziehungsweise in den sozialen Medien fanden – seien es Klimaaktivisten wie Fridays for Future, aber natürlich auch die sogenannten Querdenkenden oder rechtspopulistische und rechtsextreme Gruppierungen –, sind ausschließlich politisch motiviert und teilen weder modische noch musikalische Vorlieben.    

 

Internetaktivisten versus Subkulturen 

Wie klassische Subkulturen und ihre Anhänger, die über Jahrhunderte hinweg in der Außenseiterrolle gesehen wurden, sind auch viele dieser (Internet-)Aktivisten gegen die herrschende Klasse in der realen Welt und erschaffen einen virtuellen Space, in dem ihre eigenen Regeln gelten sollen. Diese Idee deckt sich interessanterweise mit Beschreibungen aus der frühen Metropolenforschung der 1920er-Jahre. Die Großstadt eröffnete ihren Bewohnern damals ganz ähnliche, völlig neue Sozialstrukturen: unmittelbare Massenkommunikation, große Mobilität und die daraus resultierende Zusammenführung von Menschen mit den unterschiedlichsten sozialen, nationalen oder religiösen Hintergründen, die Gründung von Künstlergruppen und Interessengemeinschaften. Man sah die modernen Metropolen als Zukunftsgesellschaft, ähnlich, wie wir heute ein mögliches Metauniversum als die Kommunikationsplattform, eventuell auch virtuellen Lebensraum der Zukunft bezeichnen. Ob und inwieweit das sogenannte Metaverse überhaupt existieren und neue Kommunikations- und Daseinsformen sowie Generationen von innovativen Subkulturen hervorbringen wird, kann man nur mutmaßen. Doch schon der Gedanke an die Möglichkeit, dass vielleicht irgendwann wieder Subkulturen jenseits des durchkommerzialisierten Mainstreams existieren könnten, und sei es auch nur digital, ist zumindest spannend.