Verlust der Mitte

Warenhäuser

„Der österreichische Einzelhandel kennt schon lange keine vergleichbare Warenhauslandschaft mehr.“ Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands Österreich. ©Stephan Doleschal 

Autorin: Eva Westhoff
Vom Symbol der Modernisierung zum Sorgenkind der Innenstädte. Hat das Konzept des Kauf- oder Warenhauses noch Potenzial? Und wenn ja, wie lässt es sich heben? Wir waren interessiert an einer internationalen Perspektive und haben im Ausland nachgefragt – bei Rainer Will, Geschäftsführer des Handelsverbands Österreich.

WERBUNG

Vergangenen Oktober wurde es bekannt: Erneut geht GALERIA Karstadt Kaufhof in ein Insolvenzverfahren, ein erheblicher Teil der noch verbliebenen Filialen schließt. Der Status quo heute: Von zuvor 129 Häusern sollen rund 90 übrig bleiben. Ein ähnliches Verfahren hatte der Warenhauskonzern bereits 2020 durchlaufen, kurz nach der Fusion von Karstadt und GALERIA Kaufhof. Der frühere GALERIA-Kaufhof-Chef Olivier van den Bossche, der seit Anfang Juni an der Spitze von GALERIA Karstadt Kaufhof steht, strebt nun Veränderungen an. Bereits als Vertriebschef des Konzerns, der er seit Juni 2022 war, hatte van den Bossche die Wichtigkeit einer stärkeren lokalen Ausrichtung der Sortimente betont und zu mehr Tempo bei der Modernisierung der Filialen aufgerufen.

Doch kann das reichen? Hat das Konzept des Kauf- oder Warenhauses in Zeiten des Online-Handels und der vertikalen Anbieter überhaupt eine Chance? Wie könnten Zukunftsperspektiven aussehen? FASHION TODAY hat mit Rainer Will gesprochen, Geschäftsführer des Handelsverbands Österreich und Mitautor des Buchs „Das Ende des Online-Shoppings. Die Zukunft des Einkaufens in einer vernetzten Welt“. 

FT: Herr Will, Sie sind Geschäftsführer des Handelsverbands Österreich. Wie nehmen Sie als Österreicher die deutsche Warenhauslandschaft wahr, insbesondere, nachdem GALERIA Karstadt Kaufhof im Rahmen des erneuten Schutzschirmverfahrens zahlreiche Filialen geschlossen hat und weitere schließen wird?
Rainer Will: „Der österreichische Einzelhandel kennt schon lange keine vergleichbare Warenhauslandschaft mehr. Die letzten klassischen Warenhäuser wurden bei uns in den 1990er- und 2000er-Jahren teils geschlossen (zum Beispiel Quelle- und WOOLWORTH-Kaufhäuser), teils in Shoppingcenter umgewandelt (unter anderem Kaufhaus Gerngross in Wien, Kaufhaus tyrol in Innsbruck), teils in Mode- und Lifestylekaufhäuser transformiert (etwa STEFFL in Wien, Kastner & Öhler in Graz).
Vor diesem Hintergrund ist es spannend zu sehen, dass nun die KaDeWe Group voraussichtlich im Frühjahr 2025 ein Kaufhaus neuen Typs auf der Mariahilfer Straße in Wien eröffnen wird. Da das Kaufhaus LAMARR im Luxus-Segment positioniert werden soll, das bekanntlich eigenen Gesetzmäßigkeiten folgt, stehen die Chancen, dass dieses Projekt erfolgreich sein wird, aus meiner Sicht recht gut.“ 

Ist der Handelstyp nicht doch aus der Zeit gefallen? Man hört ja oft, das neue Warenhaus sei das Internet. In Ihrem Buch „Das Ende des Online-Shoppings“ entwerfen Sie ein Zukunftsszenario mit dem sogenannten ONLIFE-Handel als neuem Wirtschaftsparadigma. Was verbirgt sich dahinter und hat ein Warenhaus, das sich an diesem Paradigma ausrichtet, seine beste Zeit vielleicht noch vor sich? Oder gilt dies eher für den Fachhandel?
„Lage, Sortiment und Kundeneigenschaften bestimmen erfolgreiche Retail-Modelle. Große Kaufhäuser im Sinne von Shopping-Tempeln sind vor allem in touristischen Hotspots beliebt. In Österreich haben schon vor Jahrzehnten vor allem Shoppingcenter die Funktion von klassischen Warenhäusern übernommen. Daher ist auch die Shoppingcenter-Dichte in Österreich deutlich höher als in Deutschland. Der Innenstadthandel hat es aber gut geschafft, sich an die veränderten Marktbedingungen anzupassen.

Generell haben wir in den letzten Jahrzehnten viele technologische Neuerungen mit offenen Armen willkommen geheißen. Wir haben uns mit Begeisterung auf das mobile Internet, Smartphones, die Cloud und Online-Shopping eingelassen – gerade Letzteres ist zum täglichen Zeitvertreib von Millionen Menschen auf der ganzen Welt geworden. Die Auswirkungen der Technologie auf den Handel sind beispiellos und auch das Einkaufsverhalten der Menschen hat sich nachhaltig verändert, im Geschäft und online. 

Darauf muss der Handel reagieren. Der plakative Titel ‚Das Ende des Online-Shoppings‘ ist für mich der Beginn einer neuen Ära, einer neuen Wirtschaft des vernetzten Einkaufens. In meinem Buch habe ich vier neue, sich gegenseitig verstärkende Entwicklungen beschrieben, die eine eigene Dynamik haben: die Smart Economy, die Sharing Economy, die Circular Economy und die Platform Economy. Es ist das Zusammenspiel dieser vier Bewegungen, das zu enormen sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen führt und gleichzeitig den Omnichannel- oder ONLIFE-Handel befeuert. 

WERBUNG

Natürlich hat der Online-Handel die Karten nochmals neu gemischt. Und auch wenn es einige Jahre gedauert hat: Spätestens mit den Herausforderungen der Pandemie hat der stationäre Handel den Sprung ins digitale Zeitalter geschafft. Onlife – die Verknüpfung von Online- und Offline-Erlebnis – ist heute gelebte Praxis. Viele österreichische Händler setzen mittlerweile auf KI-Tools und Geo-Shopping sowie auf neue Verkaufskanäle wie Instagram Shopping. In Kombination mit der permanenten Arbeit an ihrem stationären Geschäft liegen viele Händler damit bei der Kundenzufriedenheit deutlich besser als die internationalen Online Pure Player.“ 

Sie plädieren auch für einen „New Digital Deal“ – auf europäischer Ebene und unter Berücksichtigung globaler Entwicklungen. Die Politik sei gefordert, regulierend einzugreifen. Was genau erwarten Sie von der Politik? 
„Der ‚New Digital Deal‘ ist für mich die logische Antwort auf die Digitalisierung und Globalisierung. Chatbots sind auf dem Vormarsch, Roboter revolutionieren die Lagerhallen, während die Marktmacht globaler Tech-Konzerne unaufhörlich wächst. Trotz aller Verschiebungen Richtung E-Commerce und Mobile Commerce werden neun Zehntel der Umsätze im Handel nach wie vor auf der Fläche erwirtschaftet. Das dynamische Wachstum und die steuerliche wie abgabenrechtliche Bevorzugung globaler E-Commerce-Plattformen sind jedoch für den heimischen Mittelstand eine enorme Herausforderung. Ein Beispiel: Während klassische Unternehmen im europäischen Schnitt 23 Prozent an Steuern zahlen, liefern ausländische Digitalkonzerne nur 9 Prozent ab. Legale Steuervorteile für globale Online-Konzerne sind untragbar und gefährden den heimischen Wirtschaftsstandort. 

Deshalb sind die Regierungen in ganz Europa gefordert, Mut für einen ‚New Digital Deal‘ aufzubringen, um mehr Fair Play im Online-Handel und damit gute Preise für die Konsumentinnen und Konsumenten langfristig sicherzustellen. Der Handelsverband kämpft als freie Interessenvertretung für alle österreichischen Handelsunternehmen weiterhin mit aller Kraft für eine globale Mindeststeuer sowie für faire Online-Plattformen. Hierzu gibt es mittlerweile einen intensiven Dialog mit den führenden E-Commerce-Marktplätzen.“ 

Faktum ist, der Handel kann ohne Stadt leben, aber eine Stadt kann ohne Handel nicht leben.

Bleiben wir bei der internationalen Perspektive: Sehen Sie Positivbeispiele im europäischen oder auch globalen Ausland, was zukunftsträchtige Warenhauskonzepte anbelangt?
„Für Warenhäuser gilt mehr als für jeden anderen Bereich des Handels der oft zitierte Verlust der Mitte. Moderne Warenhäuser sind dann erfolgreich, wenn sie sich auf die Premium- und Luxuskundschaft konzentrieren, wie Harrods in London, La SAMARITAINE in Paris oder das KaDeWe in Berlin. Oder sie konzentrieren sich auf den Diskont. Hier haben in vielen Fällen vor allem Non-Food-Discounter wie ACTION Retail, TEDi, HEMA und jüngst auch pepco die Funktion von Kaufhäusern übernommen, wo Kunden von Bekleidung bis zum Kochtopf, von Schreib- und Spielwaren bis zu Kleinmöbeln ein breites Warenangebot trendgerecht präsentiert bekommen. In der Marktmitte ist aber der spezialisierte Fachhandel deutlich kompetitiver – national wie international.“

Wie wichtig sind Warenhäuser und deren Überleben überhaupt für die Innenstädte? Wann ist dem Strukturwandel Rechnung zu tragen, zum Beispiel durch Mixed-Use-Nachnutzungskonzepte?
„Faktum ist, der Handel kann ohne Stadt leben, aber eine Stadt kann ohne Handel nicht leben. Unsere Städte leben von der Vielfalt ihres Angebots. Wenn ein einziger Anbieter – wie das jüngst im Fall von GALERIA Karstadt Kaufhof in Heidelberg von einer Studie aufgezeigt wurde – 37 Prozent des gesamten Einzelhandelsangebots ausmacht, kann das für eine Innenstadt nicht wünschenswert sein. Städte haben historisch immer am besten funktioniert, wenn sie vielfältige Anlässe für einen Besuch bieten. Gastronomie, Behörden, Bildungseinrichtungen oder Dienstleister schaffen für Kunden vielfältige Anlässe, ins Stadtzentrum zu kommen. Der Handel kann und wird diese Kundenfrequenzen für sich zu nutzen wissen.“