Rumhängen mit Sinn

29 Jahre nach der Veröffentlichung ihres stilprägenden „Digital ist besser“-Albums haben Tocotronic längst ihr Slacker-Image abgelegt. ©Andreas Grüter

Autor: Andreas Grüter

In der zweiten Folge unserer „The Missing Link“-Serie nehmen wir uns die Trainingsjacke vor, die in den neunziger Jahren nicht nur den Look weiter Teile der britischen Casual-, Indie- und Manchester-Rave-Szene prägte, sondern auch als unverzichtbares Accessoire für Fans der sogenannten Hamburger Schule im Allgemeinen und der Band Tocotronic im Besonderen galt. 

Was zum Teufel hat das Thema Trainingsjacken in einem Modefachmagazin zu suchen, mögen Sie fragen. Und das natürlich zu Recht, denn einfach nichts an den leichten Sportjoppen von Adidas, Puma und Co. riecht auch nur annähernd nach Fashion oder Style. Schon gar nicht, wenn die guten Stücke auch noch aus Secondhandläden stammen oder aus der Kleidersammlung gezogen wurden.

Aber Mode im popkulturellen Raum funktioniert bekanntlich nach ihren ganz eigenen Regeln und kümmert sich nicht weiter um das, was die Fashionbranche gerade als das neue große Ding ausgerufen hat. Werfen wir also einen Blick zurück in die Neunziger, als das Phänomen des Slackers, also des etwas schluffigen Tunichtguts, dem eine calvinistische Arbeitsmoral fremd ist, im Zuge der aus Seattle herüberschwappenden Grunge-Mania auch Deutschland erreichte.

„Wir sind hier nicht in Seattle, Dirk“ (Tocotronic)

Die 1993 gegründete Hamburger Band Tocotronic gilt dabei schnell als das Aushängeschild der Szene. Während auf der Bühne musikalisch betont gelangweilt mit maximal drei Akkorden herumgeschrammelt wird, befeuern die Musiker schon früh mit clever abgehangenen Texten den deutschen Diskurs-Pop und treten mit der Kombination aus 70s-Cordhose, verknautschter Bad-hair-day-Frisur und Secondhand-Trainingsjacke einen Antitrend-Trend im Indie-Camp los, der dann auch schon fast wieder vorbei ist, als kleine Fashionbrands wie das ebenfalls in Hamburg ansässige Derbe oder Logoshirt aus dem Ruhrgebiet sich anschicken, die steigende Nachfrage mit Styles im Retro-Look zu bedienen.

„Ich möchte Teil einer Jugendbewegung sein“ (Tocotronic)

29 Jahre nach der Veröffentlichung ihres stilprägenden „Digital ist besser“-Albums haben Tocotronic längst ihr Slacker-Image abgelegt und sind mit ihren epischen Popsongs gern gesehene Gäste in den Feuilletons. Wir empfehlen zur musikalischen Untermalung dieses Textes jedoch das Frühwerk der Band.