„Balance statt Uniformität“

ALBERTO

„Gerade in der Fashion sollte die Bereitschaft, Neues auszuprobieren, stets vorhanden sein. Schließlich ist es die Lust am Neuen, die Mode ausmacht und Marken überhaupt erst entstehen lässt." Marco Lanowy © ALBERTO

Autor: Markus Oess
Marco Lanowy, Geschäftsführer des Hosenspezialisten ALBERTO, über Verantwortung, Risikoteilung und die Chancen von Pop-ups im stationären Handelund wie der Modehandel Sicherheit schaffen kann. Ein Gespräch über das gute Gleichgewicht.

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FASHION TODAY: Marco, was bedeutet Sicherheit für dich, wie wichtig ist Sicherheit?
Marco Lanowy:
„Sicherheit bedeutet in erster Linie Schutz. Ein Schutz, der in der Folge selbstverständlich auch für Freiheit und Stabilität bürgt und somit letztlich das persönliche Wohlbefinden gewährleistet. All diese Faktoren ergänzen sich natürlich. In der Philosophie spricht man in diesem Zusammenhang von symmetrischer und asymmetrischer Balance. Erstere erzeugt ein Gefühl von Stabilität und Harmonie, Letztere sorgt für Dynamik und Spannung. Beide Pole sind für mich in diesem Zusammenhang sehr wichtig.“

Die Menschen suchen gerade in schwierigen Zeiten Sicherheit. Was bedeutet in dem Zusammenhang Sicherheit im Modehandel dabei nicht?
„Es schafft keine Sicherheit, wenn der Modehandel, wie leider in der Vergangenheit häufig geschehen, die Verantwortung für Kreativität und Stabilität ablegt. Im Gegenteil, er darf in einer Branche, die aktuell einem immensen Wandel unterworfen ist, mehr denn je neue kreative Impulse setzen und eine Stabilität schaffen, die sich an Werten orientiert. Gerade was Materialien und Verarbeitung angeht, gibt es bei vielen Brands hier einen Shift zu anderen Qualitäten. Wo bis vor Kurzem noch synthetische Stoffe zum Einsatz kamen, wird heute wieder viel mit natürlichen Materialien wie Baumwolle und Wolle gearbeitet. Ich denke, die Branche ist in puncto Materialmix gerade dabei, sich neu zu orientieren und neu zu ordnen.“

Du sprichst von der richtigen Balance auch für unsere Branche. Wann ist uns denn die Balance verloren gegangen und vor allem warum?
„Die Uniformität einerseits und die Übersättigung des Marktes mit immens viel Ware andererseits haben dafür gesorgt, dass die Branche aus dem Gleichgewicht geraten ist. Marken haben ihr eigenes Profil nicht mehr geschärft, sondern darauf spekuliert, vom Profil der anderen zu profitieren. Hinzu kommt, dass die mitunter viel zu strenge Unterteilung in Preislagen und Qualitäten Kreativitätsverlust verursacht und nachhaltig für Verunsicherung gesorgt hat.“

Die Uniformität einerseits und die Übersättigung des Marktes mit immens viel Ware andererseits haben dafür gesorgt, dass die Branche aus dem Gleichgewicht geraten ist.“

Früher war es dann vielleicht auch nicht besser, aber vielleicht weniger kompliziert. Gibt es dennoch etwas, das wir von der Vergangenheit lernen können?
„Ich beobachte, dass das Profil von Produkten und Marken in der Vergangenheit wesentlich deutlicher war und weniger verwässert. Eine Rückbesinnung darauf birgt viele Chancen und steht einer Internationalisierung, entgegen anderer Meinungen, überhaupt nicht im Weg – vor allem, wenn man eine gewisse Produktexzellenz beherrscht.“

Wie lässt sich das mit dem Handel mit Blick auf die Order, faire Risikoverteilung und die richtige Kundenansprache wieder ins Lot bringen, wo sollten wir ansetzen?
„Eine faire Risikoverteilung ist natürlich wichtig, aber wir sollten auch die Chancen berücksichtigen. Diese werden vom Handel leider nicht immer erkannt. Der relativ höhere Preis für eine Hose aus hochwertigen Materialien, die zudem im europanahen Raum produziert wurde, wird unserer Erfahrung nach vom Endverbraucher akzeptiert, während der Handel hadert und immer noch an Preislagen festhält. Als wir vor über 20 Jahren unsere Golfkollektion auf den Markt brachten, sagten mir Einkäufer über zwei Jahre hinweg, dass sie keine Golfhosen benötigen. Heute sind wir in diesem Segment Marktführer. Ähnliches gilt für unsere Business-Jeans, die über 50 Prozent der Jeansumsätze in diesem Segment ausmachen.“

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Das setzt aber auch die Bereitschaft des Gegenübers voraus, wirklich zu kooperieren. Wenn es nicht der Unwille ist, woran hakt es?
„Gerade in der Fashion sollte die Bereitschaft, Neues auszuprobieren, stets vorhanden sein. Schließlich ist es die Lust am Neuen, die Mode ausmacht und Marken überhaupt erst entstehen lässt. Leider entscheiden sich aktuell viele Händler für den vermeintlich sicheren Weg und setzen auf Altbewährtes.“

Wie lässt sich das ändern?
„Indem man auf geschulte Mitarbeiter setzt, die Spaß an dem haben, was sie tun, und die Mode und Looks wirklich gestalten möchten.“

Hast du ein, zwei Beispiele für uns?
„Wir haben sehr gute Erfahrungen mit Pop-up-Flächen gemacht, die wir mit Themen wie ‚Bundfalten‘ oder ‚Business-Jeans‘ gefüllt haben. In den vierwöchigen Aktionszeiträumen haben unsere Handelspartner teilweise ein Umsatzplus von bis zu 60 Prozent erzielt. Voraussetzung für diese Erfolge ist natürlich, dass die Themen ausgearbeitet und an die Kunden kommuniziert werden und die Pop-ups nicht bloß als zweite Lagerfläche dienen.“

Was heißt das dann für die richtige Ansprache an die Kundinnen und Kunden und wer soll das übernehmen – Handel oder Industrie oder beide gemeinsam?
„Es gilt, persönliche Beziehungen aufzubauen. Die Digitalisierung bietet zwar neue Möglichkeiten für die Kommunikation, kann den persönlichen Kontakt aber nicht ersetzen. Ein Markenprodukt ist heute das perfekte Zusammenspiel von Digitalisierung, Mensch, Fläche und Kaufkraft. Die Impulse für die Ansprache müssen dabei sowohl von der Industrie – etwa durch Pop-ups – als auch vom Handel kommen, der die Kunden mitnimmt und ihnen die Produkte erklärt. Nur so lässt sich nachhaltige Brand Awareness beim Kunden aufbauen.“

Letzte Frage, es geht ja auch ums Geschäft. Wird dein Ansinnen deine Order in der Zukunft stärken oder wird es doch Business as usual …?
„Ich glaube, dass wir in der Menswear aktuell den größten Umbruch aller Zeiten erleben, was Stil, Preislagenarchitektur, Markenumfeld und Qualitätsempfinden angeht. Wir haben über Jahrzehnte in Kompetenzen gearbeitet, die jetzt aufbrechen und sich immer weiter verdichten. Durch das Internet als neuen Faktor sind wir einerseits in der Verantwortung, Outfits und Looks zu kreieren. Andererseits müssen wir dem Online-Einkaufsverhalten der Kunden auch im stationären Handel Rechnung tragen, dort ebenfalls für eine schnelle Produktverfügbarkeit sorgen und das Produkt zudem in der Fernwirkung sichtbar, fühlbar und anfassbar machen.“