Realismus tut gut

Editorial

Markus Oess ©FT

Das war schon ein Paukenschlag, als HUGO BOSS seine aktuellen Quartalszahlen bekannt gegeben hatte. Die Umsätze sind im zweiten Quartal geradezu explodiert und das EBIT in die schwarzen Zahlen gesprungen. Klar, das Vergleichsquartal war äußerst schwach und im Zweijahresvergleich sieht die Sache wieder anders aus. Trotzdem: Wer hätte eine solche Entwicklung noch im Januar dieses Jahres für möglich gehalten? Andererseits hätte es Anfang 2020 auch niemand für möglich gehalten, dass ein Virus die Welt in einen solchen Würgegriff nehmen kann. Erwartungen an die unmittelbare Zukunft werden unter dem Eindruck akuter aktueller Ereignisse gern überzeichnet, in die eine wie in die andere Richtung. Hin und wieder tut nüchterner Realismus gut, um unter richtigen Annahmen auch realistisch planen zu können. Denn noch sieht die Pandemielage dank der Impfungen besser aus, als derzeit diskutiert. Dirk Heinrich, medizinischer Leiter des Hamburger Impfzentrums, macht eine einfache Rechnung auf, die uns Mut machen sollte: Stand heute haben 58,9 Prozent aller Deutschen eine erste Impfdosis erhalten. 43,7 Prozent sind Stand heute vollständig geimpft. Rechnet man nun die vergebenen Impftermine der kommenden Wochen dazu, erhalten schätzungsweise rund 10 bis 12 Prozent der Deutschen ebenfalls eine Impfung, allen Impfschwänzern zum Trotz kommen wir dann auf 70 Prozent Erstimpfungen. 10 Prozent können nicht geimpft werden, weitere 10 Prozent wollen nicht. Wir sprechen also von 10 Prozent der Menschen, die hier leben, die wir im wahrsten Wortsinn erreichen müssen: Menschen, die vor hohen sprach- oder kulturellen Hürden stehen, Wohnungslose oder Menschen, die keinen offiziellen Aufenthaltsstatus haben. Was also spricht dagegen, Impfteams loszuschicken und auch noch die letzten 10 Prozent zu schützen? Sinnvoller ist das allemal und eine Impfprämie auszuloben, ist kontraproduktiv, da sie die Impfweigerung ja gewissermaßen in die Mitte der Gesellschaft holt und so getan wird, als sei das ein Kinderspiel. Tausche Fahrrad gegen Spritze. Und was ist mit der Boosterimpfung? Wird dann die Prämie verdoppelt? Wir benötigen nur noch wenige Wochen, um die Pandemie erfolgreich einzudämmen. Sollten wir durch Ungeduld, wahltaktische Versprechen oder so unselige Events wie die Fußballeuropameisterschaft die globalen Bemühungen der vergangenen eineinhalb Jahre einfach wegwerfen, alle Mühen umsonst? Wer denken kann, ist im Vorteil!

WERBUNG

Generell geht es auch dem Corona-Patienten Anzug wieder besser als vermutet. Die Pitti war in meinen Augen ein Erfolg. Nicht, weil es ein Riesengedränge war oder sich im Vorfeld die Aussteller ungeduldig auf die Warteliste setzen lassen mussten, sondern weil ein starkes Signal ankam zum richtigen Zeitpunkt. Auch die messe frankfurt hat mit dem STUDIO FFW ein neues Format weiterentwickelt, das anfangs als alternatives nun als Teil des Gesamtentwurfes bestanden hat. Entsprechend sind die Erwartungen an die anstehende Order. Es ertönt jetzt kein Hurra, aber Anzugspezialisten wie Création Gross gehen gut gerüstet in die Order und das ist kein Zweckoptimismus. Auch bei den Hemden bewegt sich etwas, wird nach neuen Wegen gesucht, das Geschäft wieder anzuschieben. Mit MEYER-HOSEN AG und HILTL sind auch zwei klassische Hosenanbieter am Start, die so klassisch nicht sein wollen und nicht sind. MEYER hat sich bereits als grüner Anbieter ausgerichtet und damit vor zehn Jahren begonnen. Auch modisch hat sich das Unternehmen weiterentwickelt, ohne die angestammte Klientel zu düpieren. HILTL steht erst noch am Anfang seiner Neuausrichtung. Spannend bleibt es allemal, denn mit bubeundkönig hat die Marke einen Fan, der so gar nicht in das angestaubte Herrenausstatter-Klischee passen will. Wir haben uns generell mit modischen Trends auseinandergesetzt und ziehen eine kurze Bilanz, wie es dem Handel in diesem Jahr ergangen ist. Realistisch betrachtet, wird die Order nun nicht Rekorde brechen, aber sie wird besser, als noch vor wenigen Monaten erwartet. Es geht wieder was in der Mode. Freuen wir uns drauf!

Vor wenigen Wochen ging der Pride Month zu Ende. Wir haben uns daher auch dem Thema Pinkwashing zugewandt. Inzwischen ist es ja selbst im Profifußball chic, sich mit Regenbogenfaben in Verbindung zu bringen, auch wenn Homosexualität im Fußball immer noch ein Tabu ist. Längst haben die großen Marken wie LEVI’S oder H&M die queere Szene für sich entdeckt und machen damit Mode – verkäufliche Mode wohlgemerkt. Wir haben mit Markus Ulrich, Pressesprecher des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD), gesprochen, was er davon hält. Er sagt, dass gerade Bekleidungsunternehmen das Gefühl zu haben scheinen, mit Pride-Kollektionen und dem Regenbogen Geld verdienen zu können. Aber darunter seien dann durchaus auch Firmen, deren Verhältnis zu Diversität auch über den Pride Month hinaus sehr glaubwürdig sei. Aber natürlich gebe es auch viele Trittbrettfahrer. Eine realistische Einschätzung, wie ich finde, die trotz allem das Ansinnen, mit vermeintlichem Gutmenschsein Geld machen zu wollen, nicht ausblendet. Und wie gehabt, gehört zu einer guten Order auch gute Musik, die bekommen Sie wieder wie gewohnt unter GEHÖRT – GEKAUFT.

Ihnen eine glückliche Hand und gute Geschäfte bei der bevorstehenden Orderrunde.

WERBUNG

Ihr

Markus Oess