Autorin: Katja VadersDie Entwicklung von künstlicher Intelligenz schreitet rasant voran. Auch viele Unternehmen verschiedenster Branchen integrieren immer mehr KI-Tools in ihre Abläufe. Bei der Transformation brauchen sie meist Unterstützung – eine Aufgabe, die Petra Lammers und ihr Team mit der Agentur onto[story] – Büro für Transformation & Storytelling gerne übernehmen. Bei einem Gespräch erzählte sie uns, was es bedeutet, ein Unternehmen zu transformieren, und über Chancen, aber auch Risiken der künstlichen Intelligenz.

FASHION TODAY: Petra, du bist Gründerin und Geschäftsführerin der Agentur onto[story]. Was ist der Schwerpunkt eurer Arbeit?
PETRA LAMMERS: „onto[story] ist ein Büro für Transformation und Storytelling. Ursprünglich bin ich Theaterregisseurin. Ich betrachte daher das Leben als Geschichte und überlege, auf welche Art und Weise ich sie erzählen kann. Eine Geschichte ist immer der Weg zu einem sogenannten Nordstern – Transformationen funktionieren ganz ähnlich. Wichtig ist zunächst einmal zu wissen, wo man hinmöchte, man muss diesen Nordstern also definieren. Anschließend kann man ihn in ein Narrativ oder ein strategisches Storytelling übersetzen, erzählen, wie der Nordstern besonders gut wirkt oder funktioniert, und damit die Mitarbeitenden eines Unternehmens wissen lassen, dass er da ist. Da heutzutage jedoch viele Menschen durch eine Flut an Informationen überfordert sind, braucht man über das strategische Storytelling hinaus kollaboratives Storytelling: aktivierende Formate, in die Trigger eingebaut sind.“
Welche Formate sind das?
„Das können Plattformen sein, auf denen Ideen gesammelt werden, oder ein Podcast, der darüber berichtet, woran die Mitarbeitenden im Unternehmen aktuell arbeiten. So verweben wir unterschiedliche Storystränge miteinander auf dem Weg zum Nordstern, also unserem Ziel. Anschließend setzt eine semantische Analyse ein: Wir schauen, ob unser Storytelling verstanden wurde. So unterstützen wir Unternehmen dabei, andere Wege zu gehen, derzeit gibt es einen hohen Bedarf an Innovationskultur. Dazu gehört, gemeinsam voneinander zu lernen, sich auszutauschen, miteinander zu arbeiten. Aktuell kommt dann noch die künstliche Intelligenz hinzu, zu der es natürlich extremen Beratungsbedarf gibt.“
Wie genau sieht so eine KI-Beratung aus?
„Wir erklären, was KI ist, erarbeiten, wie sich die Mitarbeitenden zu dem Thema verhalten sollten, was ethisch vertretbar ist – und was nicht – und wie KI interne Strukturen verändert. Vor allem geht es aber darum, wie man KI erlernt, denn sie erfordert eine völlig andere Art zu denken und sich zu verhalten. Die Unternehmen müssen die KI sozusagen mit an ihren Tisch einladen und sie als Arbeitspartner integrieren.“
Inwiefern muss man die Art zu denken und des Verhaltens in der Arbeit mit KI verändern?
„Wenn sich ein Unternehmen für KI entscheidet, ist der nächste Schritt, die Mitarbeitenden zu befähigen, mit ihr umzugehen, um mehr Effektivität zu erzeugen – und dabei Spaß zu haben. So machen wir es jedenfalls: die Leute motivieren, KI auszuprobieren, sich ihr anzunähern und mit ihr zu spielen.“
Wie sieht dieser spielerische Umgang mit KI aus?
„Wir entwickeln Formate und Geschichten, um die Leute zu verführen, KI auszuprobieren oder inhaltlich über sie zu reflektieren. Viele Unternehmen setzen beispielsweise aktuell KI ein, um das Wissen der Mitarbeitenden, die demnächst in Rente gehen, im Unternehmen zu halten. Das Thema KI ist also erheblich größer, als einfach nur die verschiedenen Tools auszuprobieren und anschließend zu wissen, wie man sie nutzt. Es hat noch ganz viele weitere, unterschiedliche Aspekte.“
Wie nähert ihr euch diesen Aspekten an? Du hast eben von Storytelling gesprochen …
„Wir arbeiten oft mit 3D Characters, die wir für die jeweiligen Unternehmen entwickeln. Diese Characters erzählen Geschichten und sind so etwas wie die mutigen Vorreiter in Bezug auf die KI. Für ein Pharmaunternehmen ist das beispielsweise Yuuki – mit der wir übrigens schon einige Preise gewonnen haben. Sie ist ein ziemlich freches Mädchen, das sich als offizielle Mitarbeiterin der Learning- und Development-Abteilung vorstellt. Yuuki hat ihrer Großmutter, die sehr bewandert in der Heilpflanzenkunde ist, bei der Erforschung seltener Erkrankungen geholfen. Da sie Hackerin und Programmiererin ist, hat Yuuki anschließend heimlich die Daten dieser Forschungen in eine KI eingespeist. Plötzlich bekommt sie aber ethische Bedenken und verknüpft kurzerhand die KI mit ihrem Gehirn, um ihre eigenen Werte einzuspeisen; was leider nicht funktioniert, denn Yuuki verliert dabei ihre Erinnerungen … Die Mitarbeitenden können jetzt in einen virtuellen Escape Room eintreten, den Yuuki programmiert hat, um ihr zu helfen. Das funktioniert, indem sie verschiedene Tools erkunden, sich informieren und mit anderen austauschen.“
Yuuki zeigt auf, welche KI-Tools es im Unternehmen gibt und wie man sie in den Arbeitsalltag integrieren kann?
„Genau, aber sie ist noch ein wenig cleverer. Sie muss nämlich keine eigenen Ideen entwickeln, sondern zeigt Best-Practice-Beispiele auf oder bringt Mitarbeitende zusammen – sie kuratiert damit Lösungen, stößt an und fasst anschließend die Ergebnisse zusammen. Yuuki taucht aber auch bei allen möglichen Veranstaltungen auf, moderiert, stellt Plattformen vor, macht Workshops und aktuell sogar einen Podcast … Wichtig ist: Diese Lösungen werden immer von Menschen mithilfe von KI entwickelt, sie nutzen also die künstliche Intelligenz, um die eigene Effizienz zu steigern.“
Die KI wird also von den Menschen gesteuert – und nicht umgekehrt?
„Absolut! Daher ist es auch so wichtig zu lernen, was KI ist und wie man mit ihr umgeht. Sie soll ein Partner sein. Und sie übernimmt viele lästige, zeitaufwendige Aufgaben, die wir Menschen nicht mehr ausführen wollen.“
Du hast davon gesprochen, dass ihr mithilfe der KI das Wissen von Mitarbeitenden konservieren wollt, die demnächst in Rente gehen. Wie soll das aussehen?
„Zunächst müssen wir erkunden, was Wissen und Erfahrung in diesem Zusammenhang sind und wie wir es anwenden können – das versuchen wir gerade, gemeinsam zu erarbeiten. Hier kommen auch Sicherheitsaspekte hinzu: Welche Daten dürfen wir überhaupt in die KI einspeisen? Vorreiter im Bereich künstliche Intelligenz sind derzeit Tools aus den USA und aus China …“
… und die haben bekanntermaßen ganz andere Vorstellungen von Datenschutz als wir in Europa …
„Genau. Aktuell arbeiten wir mit einer Bank zusammen, die sich daher eine eigene künstliche Intelligenz aufgebaut hat, um ihre Daten zu schützen. Wichtig ist, dass sie dabei eine Care-Kultur integriert haben.“
„Alle, die sich dabei abhängen lassen und die aktuellsten Tools nicht bedienen können, haben daher ein massives Problem, mithalten zu können.“
Das ist ein gutes Stichwort für mich. Du sprichst gerade vor allem darüber, welchen tollen Mehrwert die Anwendung von KI für Unternehmen hat. Aber natürlich gibt es auch Nachteile. Du bist ursprünglich Theaterregisseurin: Wie beeinflusst künstliche Intelligenz die Arbeit von Kreativen?
„Eins ist klar: Wir nutzen beim Thema KI derzeit alles, was geht, und das Ganze hat ein unfassbar großes Tempo aufgenommen. Alle, die sich dabei abhängen lassen und die aktuellsten Tools nicht bedienen können, haben daher ein massives Problem, mithalten zu können. Ich merke aber auch, dass der ästhetische Blick und die Qualität weiterhin vom Menschen kommen müssen, er ist immer noch der Führungspartner der KI. Dennoch verändern sich viele kreative Berufe aktuell massiv.“
Denkst du, dass es einige Berufe der Kreativbranche in zehn Jahren nicht mehr geben wird?
„Ja – aber wir als Kreative haben den großen Vorteil, kreativ zu sein – wir können Transformation und müssen dies für uns mutig nutzen. Ich gebe Workshops, in denen ich zeige, wie man mit den schnellen Veränderungen umgehen kann und muss. Wir müssen anfangen, anders zu denken, unsere Qualitäten anders zu verstehen, zu deuten und zu nutzen – mit viel Mut.
Die viel größere Herausforderung für mich ist, dass wir in Europa beim Thema KI vor allem von den USA und China gesteuert werden. Daher müssen wir uns dringend positionieren, souverän sein und entscheiden, ob wir dieses große Tempo und das Vorpreschen dieser Länder mitgehen wollen.“
Meinst du das bezogen auf Ethik und Datenschutz?
„Ich sehe es vor allem als ziemlich gefährlich an, dass wir von Algorithmen gesteuert werden. Dahinter steckt eine Propaganda-Maschinerie, bei der wir keine Chance haben, sie zu durchschauen. Wir haben uns vor vielen Jahren dazu entschieden, uns mit den USA zu verbünden. Daher sind wir in einer gewissen Abhängigkeit und schrecken vor der KI aus China zurück. Leider sind die USA aktuell politisch kein verlässlicher Partner und Trump hat sich gegen China positioniert. Wie gesagt: Europa fehlen derzeit Souveränität und Handlungsfreiheit. Daher muss es sich meiner Meinung nach an bestimmten Punkten separat aufstellen, damit wir die Freiheit, die wir lieben und sehr laut propagieren, weiterhin leben können. China und die USA investieren sehr viel Geld in die Entwicklung von KI; auch das macht es für uns so schwierig, dabeizubleiben, ohne in eine Abhängigkeit zu geraten. Ich bezweifle zudem, dass es eine gute Idee ist, diese Schnelligkeit, die in der Entwicklung der KI vorangetrieben wird, mitzugehen.“
Es scheint aber so, als ließe sich die KI kaum noch aufhalten, denn sie ist offenbar längst in allen größeren Unternehmen angekommen. Für welche Branchen arbeitet ihr?
„Für die unterschiedlichsten Branchen, von Banken über Pharma und Logistik bis zu Stadtentwicklung und Industrie. Wir haben allerdings bisher noch nicht für Textilmarken gearbeitet.“
Wie würdest du denn künstliche Intelligenz in einem Textilunternehmen einsetzen? Als Blaupause gab es eine von KI entworfene Kollektion bei G-STAR …
„Dazu habe ich gerade einen sehr spannenden Vortrag gehört. Peek&Cloppenburg geht in diesem Zusammenhang sehr interessante Wege. Das Unternehmen macht Fotoshootings von Models mit verschiedenen Bodyschemas, die in die KI eingespeist werden. Die Kunden und Kundinnen bekommen anschließend aufgrund von Körper- und Konfektionsgröße, aber auch des Alters und des Typs eins dieser Models zugeordnet, an dem sie die Kollektionen auf der Website anprobieren können. Das ist eine komplett auf die Kundschaft zielgerichtete Kampagne, die man natürlich auf andere Marken übertragen kann.“
Gibt es auch Branchen, in die du auf gar keinen Fall KI integrieren würdest?
„Eigentlich würde ich hier gerne Waffen nennen – aber da alle Länder bereits KI in diesem Bereich nutzen, ist es wohl zu spät, dazu hätte es bereits vor einiger Zeit eine globale Entscheidung geben müssen. Abgesehen davon kann man künstliche Intelligenz überall einsetzen – natürlich mit gewissen Einschränkungen, was Datensicherheit und Kommunikation auf allen Ebenen angeht. Derzeit ist in diesem Bereich noch zu viel unkontrollierbar.“
Wir haben ja eben schon über die Kreativwirtschaft gesprochen. Wie siehst du das Thema KI in der Kunst?
„Auch Kunstschaffende können und sollten KI für sich nutzen. Ähnlich wie in der Kreativbranche müssen sie dazu lernen, ihren Job anders zu verstehen. Ich bin dazu ein gutes Beispiel: Als Theaterregisseurin mache ich jetzt Transformationen für Unternehmen und habe festgestellt: Im Endeffekt mache ich den gleichen Job – auch wenn natürlich die Zielsetzung eine andere ist. Ich brauche lediglich andere Handwerksmittel und führe keine Proben, sondern Workshops durch. Man muss seine Arbeit also übersetzen. So könnten meiner Meinung nach auch andere Künstlerinnen und Künstler mit dem Thema KI umgehen. Wichtig ist – meiner Meinung nach – vor allem, dass sie mit ihrer Kunst Orte schaffen, die Nähe und Zusammenhalt kreieren und für ein Demokratieverständnis stehen – das kann keine KI. Sie ist weder anwesend, noch hat sie ein Verständnis von Ästhetik. Der Mensch hingegen hat seine einzigartige Perspektive, bleibt Experte und hat damit den letzten Blick auf jede Arbeit.“
Dennoch gibt es viele Philosophen und Zukunftsforscherinnen, die es für wahrscheinlicher halten, dass die künstliche Intelligenz das Ende der Menschheit bedeutet als ein Atomkrieg oder der Klimawandel. Wie siehst du das?
„Ich war gerade auf der Architektur-Biennale und habe dort eine sehr beeindruckende Ausstellung gesehen: ,the other side of the hill‘. Dort wurde gezeigt, dass der Peak der Weltbevölkerung im Jahr 2050 erreicht sein wird – von da an wird sich die Bevölkerungszahl minimieren, egal aufgrund von welchem Szenario. Grundsätzlich wurde die Biennale so kuratiert, dass unter dem Thema ,one place, one solution‘ die besten Ideen gesammelt und kuratiert wurden: Intelligens. Natural. Artificial. Collective., um mit unseren aktuellen Herausforderungen umzugehen. Nehmen wir als Beispiel den Klimawandel: Ob sich die Erde nun um 1,5 oder um 3 Grad erwärmen wird, ist völlig egal. So oder so wird es an vielen Orten auf unserem Planeten zu heiß sein, um dort zu leben. Dazu kommen geopolitische Konflikte und natürlich die KI … Du siehst, es ist tatsächlich egal, was das Ende der Menschheit einläutet, es gibt genug Horrorszenarien. Daher müssen wir diese Diskussion meiner Meinung nach nicht führen.
Die Frage ist vielmehr: Sind wir grundsätzlich in einer Haltung unterwegs, die resilient, die anständig ist, oder erschießen wir uns dann alle gegenseitig? Für mich ist daher wichtig, raus aus dem Ego und hin zum Netzwerk, zum systemischen Denken und zum Verstehen zu kommen.“
Eine schöne Vorstellung, dass der Mensch sich vom digitalen wieder zurück zum sozialen Wesen entwickelt und alle zusammenhalten, wenn es darauf ankommt. In die ferne Zukunft können wir nicht schauen, aber vielleicht auf die Entwicklung der nächsten fünf Jahre, was heutzutage eine lange Zeitspanne ist. Was denkst du, wo wir im Jahr 2030 bezogen auf die KI stehen?
„Ich glaube, dass der Mensch und die KI zusammenarbeiten werden. Die technische Weiterentwicklung wird definitiv so rasant bleiben, was momentan alle nervös und natürlich auch ängstlich macht. Wir leben in einer unfassbar hoch technologisierten Welt, die in Europa vermutlich in Richtung Personalized Medicine gehen wird. Hoffentlich werden die Menschen dadurch, systemisch gedacht, so achtsam und sorgsam wie möglich sein. Das ist natürlich jetzt schon extrem wichtig, auch für mich persönlich. Mein liebstes und wichtigstes Ritual ist, am Samstagmorgen nach dem Yoga Kaffee trinken zu gehen, um mich mit Menschen auszutauschen. Es geht dabei um Begegnungen in der Realität, die die Welt wieder in Ordnung bringen können. Man braucht diese Gegensätze – Realität und Virtualität – um im Gleichgewicht zu bleiben.“
Du glaubst also, dass das Pendel wieder mehr in Richtung physische Begegnung und Austausch ausschlägt und die Menschen weniger virtuell und digital unterwegs sein werden?
„Nein, ich glaube, diese beiden Seiten werden sich noch weiter dividieren: Es wird auf der einen Seite KI und auf der anderen das Gemeinsame geben, weil alles andere nicht möglich ist. Schon jetzt ist das Tempo kaum auszuhalten und es wird noch schneller, was sich natürlich auch auf uns Menschen auswirkt. Um das aufzuhalten, ist der einzige Weg, dass wir einen Umgang mit Achtsamkeit, Haptik und Ruhe pflegen. Wie der aussieht, kann ich dir nicht sagen, vielleicht ist er auch virtuell. Wichtig ist nur: Menschlichkeit und Begegnung müssen und werden unser Miteinander in einer hoch technologisierten Welt prägen.“
Wir dürfen gespannt sein! Vielen Dank für das Gespräch!


