„‚Der Deutsche‘ fällt nicht so gerne auf“

Ausblick

Lieber grau als bunt (Bild: pixabay)

Autor: Markus Oess

Der Businessman sei in seinem Accessoireverhalten relativ berechenbar, sagt Gerd Müller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Mode-Instituts, Köln, im FT-Interview. Und auch sonst lassen sich die modischen Entwicklungen in der Businesswear ziemlich deutlich ablesen. Dabei gilt: Je konservativer die Branche, desto stärker der Formalismus. Was in den nächsten Saisons kommt und was politische Großwetterlagen damit anstellen.

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Gerd Müller-Thomkins (Bild: DMI)

FT: Herr Müller-Thomkins, wann haben Sie das letzte Mal einen richtigen Anzug getragen? Gerd-Müller Thomkins: „Heute!“

In Mode gedacht, in welcher Zeit würden Sie am liebsten leben?
„Heute!“

Die Businesswear war in der jüngeren Vergangenheit Umsatzgarant in der Menswear, muss jetzt aber eher mit etwas schwächeren Absatzzahlen rechnen. Schlägt das Pendel zurück oder macht das Segment eine Atempause?
„Zugegeben befinden wir uns gleichzeitig in einer Phase des Silhouettenwechsels sowie im Wandel des Konsumverhaltens. Da kann auch schon mal eine Orientierungssuche bei Herstellern und Konsumenten stattfinden. Aber wenn man sich über Umsätze unterhält, sollte man zuvor klarstellen, über welche Umsätze, wo und von wem man spricht. Auch hier punkten der Online-Handel wie die modischen Marken. Natürlich aber haben ‚reine‘ Businessanzüge aus dem männlichen Fokus betrachtet modisch ein vermeintlich längeres Haltbarkeitsdatum als Casual-Outfits, deren farbenfrohe Kombinationen dem klassischen Anzug in der jüngsten Zeit einiges weggenommen haben.“        

Inzwischen haben sich die Grenzen zwischen den einzelnen Segmenten zusehends verwischt. Was macht das mit der Entwicklung der Businesswear?
„Verwischt würde ich nicht sagen – sie sind eher klarer getrennt. Vielmehr ist es die Frage: Wo wird was getragen? Gerade deshalb ist es für die Businesswear auch wichtig, sich neu zu verorten, sich auf die Unterschiedlichkeit im Selbstverständnis der Männlichkeitsbilder einzulassen und nach vorne gerichtet das Design seine Arbeit machen zu lassen.“  

Aber je konservativer die Branche ist, umso stärker gelten die formalen Verbindlichkeiten des Dresscodes, oder?
„Ja, das geht im schlimmsten Fall bis zum uniformen Anzug, woher er ja ursprünglich auch kommt. Aber dann sprechen wir nicht mehr von Mode, sondern lediglich von formeller Bekleidung.“

Welche Farben und Formen werden die nächsten Saisons bestimmen?
„Die Silhouetten, insbesondere die Hosen werden weiter. Casualisierte Sakkos aus hochwertiger Wirkware haben sich auch in der Businessmode durchgesetzt, der Anzug kommt zum Sommer auch in hellen, sanfteren Farben, allen voran Grau und die gesamte Blau-Palette … hier passiert insbesondere viel Neues bei den Materialien. Genaueres erfahren Sie in unseren Fashion Channels auf deutschesmodeinstitut.de oder zum kommenden Fashion Day am 11. Juli in Düsseldorf.“

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Was ist mit den Accessoires? Die Spielvarianten sind so vielfältig, da kann man leicht den Überblick verlieren.
„Der Businessman ist in seinem Accessoireverhalten relativ berechenbar. Natürlich spielen gerade hier Krawatten, allen Unkenrufen zum Trotz, nach wie vor eine große Rolle, aber eben auch anders. So kamen im Zuge der Casualisierung Wollkrawatten sowie neue Haptiken und 3-D-Strukturen mit einer ungewöhnlichen Optik. Digitale, animierte Minimals und Graphics zeigen nie da gewesene Motive. Ein unkomplizierter Allrounder im jüngeren Segment ist die schwarze Lederkrawatte. Einstecktücher und Manschettenknöpfe – wir sprechen vom New Dandy, denn Stil und Tradition sind wieder Schlüsselbegriffe in der nachwachsenden Männergeneration. Und natürlich bleiben Uhren das maskuline Schmuckstück schlechthin. Aber eigentlich kommt es vor allem auf den entsprechenden Schuh, auf dessen Wertigkeit und Ausdruck an, ob Sneakers, farbiger Slipper oder rahmengenähter Schnürer. Er entscheidet über die gesamte Stilistik wie auch die Wahl der dazu passenden Tasche. Bei beiden geht es vor allem um spannende Materialien wie etwa innovative Prägeleder.“ 

Wie stark lassen sich Trends in der Mode durch kurzfristige Ereignisse eigentlich beeinflussen? Haben zum Beispiel die Wahl von Donald Trump oder die Zuspitzung der Nordkorea-Krise Einfluss oder wird da etwas in die bestehende Entwicklung hineininterpretiert?
„Politische Großwetterlagen haben immer einen Einfluss auf die Befindlichkeit der Gesellschaft und damit das Verhalten des Einzelnen. Man muss sie nur rechtzeitig interpretieren können. Dazu analysieren wir den Zeitgeist und weisen dessen Phänomene im Trendgeschehen nach. Die derzeitige Polarisierung der Populisten findet natürlich ihr Spiegelbild im Marktgeschehen.“ 

Wie ist das mit der Kultur, Musik- oder Filmstars? Sind sie Trendsetter oder eher Ausdruck eines Zeitgeistes?
„Dort, wo der Zeitgeist im kreativen Ausdruck auf den Punkt kommt, setzt er Trends! Instagram und Social Media, Posting und Sharing sind Multiplikatoren des Zeitgeistes in der Digitalisierung. Wer da gerade von sich reden und auf sich aufmerksam macht, wird von seinen Followern und darüber hinaus beachtet.“

Wenn Sie die deutsche Mode im Vergleich zum europäischen Ausland sehen – in Frankreich oder Italien, selbst in Holland kleiden sich die Männer unterschiedlich. Wo würden Sie die Vorlieben der Deutschen in diesem Zusammenhang beschreiben?
„‚Der Deutsche‘ fällt nicht so gerne auf. Aber die erfreulicherweise wachsende Vielfalt unterschiedlicher ,Mannsbilder‘ in Deutschland hat schon deutlich zu ihrer modischen Emanzipation beigetragen.“ 

Welche ausländischen Messen würden Sie deutschen Händlern für einen Besuch empfehlen, um mal über den eigenen Tellerrand zu schauen und neue Impulse einzufangen?
„Ich glaube, die deutschen Händler brauchen da keine Ratschläge, schon gar nicht bei den wenigen Alternativen, die es gibt. Natürlich muss man zur Pitti und vielleicht nach Kopenhagen oder London, aber dann wieder zur Pitti …“